Dienstag, 28. Januar 2014

Ausnahmen vom Mindestlohn: Zwei Millionen Niedriglohnbeschäftigte würden leer ausgehen

Nach wie vor warnen Unternehmerverbände vor einen gesetzlich verordneten Mindestlohn. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer hatte schon Ende des Jahres 2013 (am 28.12.13) im „Handelsblatt“ den von der neuen Regierung geplanten flächendeckenden Mindestlohn scharf kritisiert. „Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn würde zulasten der Schwächsten am Arbeitsmarkt gehen“, warnte er in einem damals veröffentlichten Interview der Nachrichtenagentur Reuters. „Wir brauchen Differenzierungen, Stufenpläne und Ausnahmen.“ Kramer sagte, ein Zurückdrehen der erreichten Flexibilisierung des Arbeitsmarktes würde die Beschäftigungserfolge der letzten Jahre gefährden.

Demgegenüber sind Experten der Auffassung, die schwarz-rote Regierung dürfe bestimmte Arbeitnehmer nicht einfach vom geplanten Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro ausnehmen. Schon weil das gegen den Grundsatz im Grundgesetz verstoßen könne, alle Menschen gleich zu behandeln. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, das der „Süddeutschen Zeitung“ vorliegen würde.Verfassungrechtliche Bedenken bestehen demnach vor allem beim Ausschluss von Rentnern und Studenten vom Mindestlohn, wie ihn maßgebliche Unionspolitiker fordern.

Dazu stellt nun die Heinz-Böckler-Stiftung fest, dass in Deutschland gut 5 Millionen Beschäftigte weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienen. Würde die Bundesregierung Forderungen nach Ausnahmen vom Mindestlohn nachgeben, erhielten 2 Millionen dieser Niedriglohnbeschäftigten keinen Mindestlohn – und es könnte zu problematischen Verdrängungseffekten auf dem Arbeitsmarkt kommen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung.*

Bekanntlich soll nach den Plänen der Großen Koalition ab 2015 in Deutschland ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn gelten. Aktuell mehren sich allerdings Forderungen von Politikern und nach wie vor von Arbeitgeberverbänden nach Ausnahmeregelungen für bestimmte Arbeitnehmergruppen. Sollten sich diese Forderungen durchsetzen, würde der Mindestlohn zum „Schweizer Käse“, zeigt eine Analyse des WSI. Die Forscher berechneten auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels, wie viele Menschen mit einem Arbeitsverhältnis (also ohne Praktikanten oder Auszubildende) von solchen Ausnahmen betroffen wären. Ergebnis: Im Jahr 2012 lag der Stundenlohn von rund 5,25 Millionen Beschäftigten unterhalb von 8,50 Euro. Gälte der Mindestlohn nicht für Minijobber, Rentner, Schüler, Studenten und hinzuverdienende Arbeitslose, gingen 2 Millionen oder 37 Prozent der Geringverdiener leer aus. Ohne Ausnahmen für geringfügig Beschäftigte wäre es immer noch fast ein Viertel.

Damit würde der allgemeine Mindestlohn systematisch unterlaufen und ein neuer, eigener Niedriglohnsektor geschaffen, warnt Dr. Reinhard Bispinck, der Leiter des WSI. Die Ausgrenzung ganzer Arbeitnehmergruppen würde den eigentlichen Zweck der Regelung unterlaufen, nämlich den Schutz aller abhängig Beschäftigten. Laut einer Expertise des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages können Ausnahmeregelungen sogar gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz verstoßen.

Die Ausnahmen würden sich der WSI-Studie zufolge stark auf einige wenige Branchen konzentrieren: Knapp 56 Prozent aller Minijobber und 52 Prozent aller erwerbstätigen Rentner, Schüler und Studenten mit Stundenlöhnen unter 8,50 Euro arbeiten entweder im Gastgewerbe, dem Einzelhandel, den unternehmensnahen Dienstleistungen oder den „sonstigen Dienstleistungen“ wie beispielsweise Wäschereien oder das Friseurgewerbe. In diesen vier Branchen sind von denjenigen, die weniger als den Mindestlohn verdienen, zwischen 35 und 40 Prozent geringfügig beschäftigt und zwischen 7 und 25 Prozent Rentner, Schüler oder Studenten.

Die Auswirkungen von gesetzlichen Lohnuntergrenzen seien mittlerweile gut erforscht, so Bispinck. Zahlreiche Studien hätten gezeigt, dass keine negativen Beschäftigungseffekte zu erwarten sind. Dagegen seien die Folgen weitgehender Ausnahmen für den Arbeitsmarkt nicht absehbar. Es bestehe die Gefahr, dass es zu erheblichen Verdrängungs- und Substitutionseffekten kommt, dass Unternehmen also Beschäftigte mit Mindestlohn durch solche ohne Mindestlohn ersetzen. „Der allgemeine Mindestlohn ist ein sinnvolles Instrument, um Fehlentwicklungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt und bei der Lohnentwicklung einzudämmen“, sagt Bispinck. „Aber dazu muss er auch wirklich für alle Arbeitsverhältnisse gelten.“ 

Hans-Böckler-Stiftung (idw-Dienst) am 27.01.14

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