In jüngster Zeit habe ich bei meinen Einträgen verschiedentlich in Aussicht gestellt - dass ich zu dem einen und anderen Vorgang noch eingehender recherchieren müsse, um ein umfassendes und tunlichst objektives Bild zu erhalten. Und wenn ich das ernst meine – und das tue ich – muss ich zumindest hin und wieder auch mal ein Ergebnis offerieren. Das trifft zu in Anlehnung an die aktuelle Mitgliederversammlung des NUV zum Thema Bildung Schulabschlüsse am Beispiel der Oberschule Ellrich. Es betrifft das dort ebenfalls vorgestellte Thema „Europa-Service Nordthüringen“ und schließlich auch die Biomethananlage der EVN Nordhausen. Das alles sind Themen, die überschaubar sind, zur tieferen Erkundung nur etwas Zeit brauchen, um zu Ergebnissen zu gelangen.
Diese erforderliche Zeit habe ich derzeit trotz meines Status als Rentner nicht (gehabt) angesichts eines Themas, das unlängst durch einen Chemnitzer Supermarkt-Leiter entstand, der im Rahmen seines Angebots an Presseerzeugnissen „BILD“ nicht mehr anbieten wollte (mein Eintrag vom 31.05.: „Pressefreiheit: Gefährdung abgewendet?“). Auch dort hatte ich die Absicht geäußert, die Problematik am Beispiel des Verhältnisses von Pressegrosso gegenüber dem Einzelhandel näher zu erkunden.Die Weigerung jenes Einzelhändlers, „BILD“ nicht mehr anzubieten, hatte bei verschiedenen Leitern von Lokalredaktionen im Lande heftige Reaktionen ausgelöst, die in dem Verhalten des Händlers eine Art Zensur der Presse sahen, die sie als unzulässig erachteten. Seine Weigerung führte dazu, dass der zuständigen Pressegrosso das Vertragsverhältnis kündigte und er seitdem keine Presseerzeugnisse mehr anbieten kann. Andererseits hat die Weigerung zu verbreiteten, teils heftigen Reaktionen von Bürgern geführt, die das Verhalten des Einzelhändlers vornehmlich bei Facebook verteidigten und meinten, es müsse doch jeden Händler überlassen sein, ob er ein Presseerzeugnis anbietet oder nicht.
Inzwischen hat der Chef der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju in Verdi) Ulrich Janßen, im Nachrichten-Portal „kress.de“ zum Begriff „Zensur“ Stellung bezogen (Auszug): „Der Begriff der Zensur wird oft falsch benutzt oder sogar missbraucht. Viele Mediennutzer sind schnell mit Zensurvorwürfen bei der Hand, wenn sie ihre Meinung nicht ausreichend abgebildet sehen. Das ist aber unpassend, denn das Recht auf freie Meinungsäußerung schließt zwingend auch das Recht ein, etwas nicht zu sagen oder zu verbreiten. Insoweit geht der Zensurvorwurf im genannten Fall fehl" (Ende des Auszugs). Er fügt dann noch hinzu: "Ich kritisiere den voreiligen Gebrauch des Zensur-Begriffs auch deshalb, weil er letzten Endes auf eine Verharmlosung der tatsächlichen Zensur hinausläuft. Die Opfer tatsächlicher Meinungsunterdrückung durch Machtmissbrauch haben verdient, dass der Zensurbegriff nicht verwässert wird." Mir bleibt die Frage, warum die Lokaljournalisten, die die Pressefreiheit in Gefahr sahen, mit ihrer „Zensur“ Argumentation die Verhältnismäßigkeit nicht von sich aus erkennen?
Auch der Pressegrossist äußerte sich und da heißt es wiederum bei „kress.de“: „Wer Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland verkaufen möchte, hat es im Vergleich zu einigen anderen europäischen Ländern ziemlich komfortabel. Er schließt einen Vertrag mit dem für seine Region zuständigen Presse-Grossisten ab, der sich um die komplette Lieferung und Abwicklung kümmert. Das heißt auch, dass er Zeitungen und Zeitschriften wieder zurücknimmt, die ein Markt oder eine Trinkhalle nicht verkaufen konnte. Dafür verpflichten sich Presse-Einzelhändler aber auch, dass sie ein auf ihren Standort optimiertes Pressesortiment in ihrem Geschäft anbieten und verkaufen. Diesen Medienmix stellt der Presse-Grossist standortspezifisch zusammen - so gibt es im seltensten Fall beim Bäcker in Hamburg neben den lokalen Zeitungen auch überregionale Titel. Und zwar nicht, weil die "Süddeutsche" gerade einen Bericht schreibt, der dem Grossisten nicht gefällt. Sondern weil die Erfolgsaussichten, dass der Händler an diesem Standort regelmäßig die Zeitungen auch verkaufen kann, zu gering erscheinen bzw. sind. Pressefreiheit und Pressevielfalt werden einzig dann eingeschränkt, wenn strafrechtliche Grenzen überschritten werden .“ Soweit Erklärungen zum allgemeinen Verständnis, die auch nachvollziehbar sind. Den normalen Medienkonsumenten interessiert mehr auch nicht, er kauft seine Zeitung oder Zeitschrift eben dort, wo eine solche angeboten wird.
Die Problematik ist allerdings doch etwas differenzierter: zunächst geht es doch wohl um die Frage, um was es sich bei einem Presseerzeugnis handelt. Eine Ware etwa wie jede andere, die ein Einzelhändler im Sortiment hat? In der Rechtsprechung (kartellrechtlich) ist sie das, aus Sicht der Verlage oder des Pressegrosso unterliegt sie besonderer Betrachtung und Behandlung. Nun ist der Pressegrossist der Mittler zwischen Verlagen und dem Handel. Seine Aufgabe ist es, Zeitungen, Zeitschriften und andere periodische Presseerzeugnisse über den Handel „unters Volk zu bringen“. Es ist wohl grundsätzlich richtig, dass der Presse-Grossist den Medienmix für einen Vertragspartner zunächst versucht „standortspezifisch“ zusammenzustellen. Der Händler hat darauf wenig Einfluss. Auch nicht darauf, was sich daraus weiter entwickelt. Vermutlich kann er bei entsprechender Nachfrage Titel zusätzlich bestellen, aus dem „standortspezifischen“ Sortiment Titel abzubestellen dürfte schwieriger sein. „Das Grosso-Dispositions-System sorge dafür, dass Menschen in Deutschland beim Zeitungs- und Zeitschriftenhändler genau diese Pressefreiheit durch ein vielfältiges Angebot an Medien erleben können,“ meint zum Beispiel Springer-Sprecherin Sandra Petersen gegenüber „kress.de“. Während der Grossist also bemüht sein muss, Erzeugnisse von Verlagen – insbesondere auch neue Titel - im Einzelhandel unterzubringen, ist der betriebswirtschaftlich interessierte Händler demgegenüber interessiert, sich mit zunehmender Erfahrung auf Erzeugnisse und Titel zu beschränken, die bei ihm auch wirklich Käufer finden. Und das kann zu einer sich öffnenden Schere führen, bei der der Händler – zumal bei Magazinen mit längerer Angebotszeit – über Wochen und/oder sogar Monate totes Kapital in seinen Auslegregalen hat, das beträchtliche Ausmaße annehmen kann. Und da nützt es ihm wenig, wenn er nach Rücklieferung dieser Titel eine Gutschrift erhält, sein Gewinn ist belastet. Das trifft natürlich bei einem Bäcker nicht zu, der lediglich „BILD“ anbietet. Der aber ist auch nicht der klassische Anbieter von Presseerzeugnissen. Und so ist jeder bemüht, seine Interessen zu vertreten – oder zu verteidigen. Der Händler als Vertragspartner des Grossisten - obwohl das wichtigste Glied zum Kunden - sieht sich jedenfalls zum reinen Erfüllungsgehilfen degradiert.
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