Deutsche Bischofskonferenz und Zentralrat der Juden würdigen Konzilsdokument „Nostra aetate“
Den
Dialog und die Zusammenarbeit zwischen der katholischen Kirche und dem
Judentum hat heute Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff (Aachen),
Vorsitzender der Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum
Judentum der Deutschen Bischofskonferenz, bekräftigt. Bei einer
Diskussion unter dem Thema „Eine Revolution im Verhältnis der Kirche zum
Judentum: 50 Jahre Konzilserklärung ‚Nostra aetate‘“ auf Einladung der
Deutschen Bischofskonferenz im „Haus am Dom“ in Frankfurt am Main aus
Anlass des 50. Jahrestages der Verabschiedung der Konzilserklärung
„Nostra aetate“ über das Verhältnis der katholischen Kirche zu den
nichtchristlichen Religionen, würdigte Bischof Mussinghoff die große
Bereitschaft vieler Juden, schon wenige Jahre nach der Shoah das
Gespräch mit den Christen begonnen zu haben. „Meine Freude über die
Konzilserklärung verbinde ich mit einem aufrichtigen Dank an die vielen
Jüdinnen und Juden, die sich in Deutschland und andernorts für den
Dialog und die Zusammenarbeit mit den Christen eingesetzt haben und
weiterhin einsetzen.“ Bischof Mussinghoff warnte vor einem Anwachsen
antisemitischer Übergriffe: „Es ist die Pflicht aller Bürger dieses
Landes und es ist unsere Christenpflicht, jeder Form von Antisemitismus
klar und deutlich entgegenzutreten. Hier müssen Christen und Juden
zusammenstehen.“
Meilenstein der Versöhnung
Der
Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen
und der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, Kardinal
Kurt Koch (Vatikan), der selbst zu der Veranstaltung nicht kommen
konnte, zeichnete in einem in Frankfurt verlesenen Vortrag die
Entstehungs- und Wirkungsgeschichte von „Nostra aetate“ nach, die ein
Meilenstein in der Versöhnung zwischen Juden und der katholischen Kirche
sei. „Einen nicht mehr unterbietbaren Tiefpunkt hat die
Judenfeindschaft in der europäischen Geschichte in dem von den
Nationalsozialisten mit industrieller Perfektion geplanten und
durchgeführten Massenmord an den europäischen Juden gefunden. Die Shoah
muss dabei als hässlichster Ausdruck jenes primitiven rassistischen
Antisemitismus der Nazi-Ideologie beurteilt werden, der sich bereits im
19. Jahrhundert entwickelt hat, der aber dem Christentum von Grund auf
fremd ist und von den Päpsten Pius XI. und Pius XII. mehrfach scharf
verurteilt worden ist“, so Kardinal Koch. Er fügte hinzu: „Wir Christen
müssen ehrlich bedauern, dass erst das beispiellose Verbrechen der Shoah
ein wirkliches Umdenken bewirken konnte.“ So seien die Verarbeitung der
Katastrophe der Shoah und der Kampf gegen den Antisemitismus die
wichtigsten Triebfedern gewesen, „die zur Abfassung von ‚Nostra aetate‘
und zu der darin vollzogenen Wende im Verhältnis der katholischen Kirche
zum Judentum geführt haben“. Kardinal Koch unterstrich, dass bei einer
kritischen Rückfrage an die Mitverantwortung der Christen immer
deutlicher anerkannt worden sei, „dass der Widerstand der Christen gegen
den nationalsozialistischen Antisemitismus auch deshalb zu schwach
gewesen ist, weil ein über Jahrhunderte hin wirksamer
christlich-theologischer Antijudaismus eine weit verbreitete
antisemitische Antipathie gegen die Juden begünstigt hat“.
Umso
mehr sei heute theologisch zu erklären, dass es eine tief verwurzelte
Zusammengehörigkeit und innere Verwandtschaft von Judentum und
Christentum aufgrund der Existenz des Alten Testamentes als eines
wesentlichen Teils der einen christlichen Bibel gebe. Darauf hätten in
besonderer Weise alle Päpste seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil
aufmerksam gemacht. Johannes Paul II. habe mit seinem großen Engagement
für den katholisch-jüdischen Dialog wichtige Weichen für die Zukunft der
Begegnung zwischen Judentum und Christentum gestellt. Dieses
„Versöhnungswerk seines Vorgängers“ habe Papst Benedikt XVI.
weitergeführt und vorangebracht. Auch unter Papst Franziskus finde der
Dialog eine gute Fortsetzung, so Kardinal Koch. Für die Zukunft sei es
notwendig, dass theologische Fragen vertieft würden. Dazu gehöre auch
die existenzielle Frage nach dem Heil des Menschen.
Einsatz für die Religionsfreiheit
Der
Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef
Schuster, würdigte „Nostra aetate“ ebenfalls als Meilenstein und als ein
Versprechen, dass die Kirche den Juden gegeben habe: „Dahinter darf sie
nie mehr zurückfallen! ‚Nostra aetate‘ muss eine bleibende
Verpflichtung für die Kirche sein!“ Mit dem Konzilsdokument, so Dr.
Schuster, habe die Kirche nach 2000 Jahren ihren eigenen Kurs verändert
und sich so von ihrem über Jahrhunderte praktizierten Antijudaismus
lossagen können. Kritisch betonte der Zentralratsvorsitzende, dass die
katholische Kirche „in der Shoah ohne Frage Schuld auf sich geladen hat.
Aber es gab auch mutige Christen, die in der NS-Zeit für die Rettung
von Juden ihr Leben riskierten oder für ihren Glauben mit dem Leben
bezahlen mussten – das ist gerade in der jüdischen Gemeinschaft nicht
vergessen“. Die jüdisch-christlichen Beziehungen bildeten heute ein
stabiles Fundament, was sich in jüngster Vergangenheit in der
Beschneidungsdebatte 2012 gezeigt habe: „Nach dem unsäglichen Urteil des
Kölner Landgerichts gegen die Beschneidung stellten sich die beiden
großen Kirchen sofort an unsere Seite – und damit auch an die Seite der
Muslime! Die Situation damals war wirklich brenzlig: Wäre die Politik
der Auffassung der Kölner Richter gefolgt und hätte die Beschneidung aus
religiösen Gründen zum Straftatbestand erklärt – dann wäre jüdisches
Leben in Deutschland unmöglich geworden“, so Schuster. „Hier gilt es,
zusammen nicht nur für unsere Werte und Rituale zu kämpfen, sondern für
unsere Religionsfreiheit.“
Mit
Blick auf den Dialog der Religionen betonte der Zentralratsvorsitzende,
dass Gewalt geächtet und dass für gemeinsames Verstehen geworben werden
müsse: „Gegenseitiges Verständnis ist wahrlich nicht leicht. Es
verlangt uns allen viel ab. Es spricht aber viel dafür, dass nur mit
diesem Schlüssel das Tor zur friedlichen Welt geöffnet werden kann.“ Das
gelinge mit gegenseitigem Respekt: „Die respektvolle Haltung, die sich
durch die gesamte Erklärung ‚Nostra aetate‘ zieht, sollte für uns ein
Vorbild sein. Respekt ist eine Tugend, die leider in unserer
Gesellschaft – so scheint mir – verloren zu gehen droht. Wenn wir
Religionsgemeinschaften respektvoll miteinander umgehen und respektvoll
übereinander reden, dann können wir als Vorbilder in die Gesellschaft
wirken.“
Dienst am Glauben
An
ein solches respektvolles Miteinander erinnerte auch Bischof
Mussinghoff: „In den vergangenen Jahrzehnten hat sich in Deutschland
eine Kultur des Dialogs und der Zusammenarbeit entwickelt“, dazu
gehörten insbesondere die regelmäßigen Gespräche der Unterkommission mit
verschiedenen Vertretern des Judentums. „Ich glaube, es ist nicht
übertrieben zu sagen, dass wir heute einen Dialog auf Augenhöhe führen“,
so Bischof Mussinghoff. Erst am vergangenen Donnerstag war er mit einer
Gruppe von Rabbinern von einer gemeinsamen Reise aus Israel
zurückgekehrt, die ebenfalls von gegenseitigem Respekt für den anderen
geprägt gewesen sei.
Kardinal
Koch betonte in dem verlesenen Vortrag, dass Juden und Christen, wenn
sie ihren Überzeugungen treu blieben und sich darin gegenseitig
respektierten, einen „Dienst am Glauben tun. In diesem gegenseitigen
Glaubensdienst aneinander bleiben Judentum und Christentum, Synagoge und
Kirche unlösbar aneinander gebunden, wenn Christen und Juden aus jenem
‚gemeinsamen geistlichen Erbe‘ leben, das ‚Nostra aetate‘ in Erinnerung
ruft“.
Hinweis:
Die
Reden von Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff, Kardinal Kurt Koch und Dr.
Josef Schuster finden Sie als pdf-Dateien im Anhang sowie unter www.dbk.de.
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