Montag, 22. Juni 2015

„Christen und Juden müssen zusammenstehen“

Deutsche Bischofskonferenz und Zentralrat der Juden würdigen Konzilsdokument „Nostra aetate“

Den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen der katholischen Kirche und dem Judentum hat heute Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff (Aachen), Vorsitzender der Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum der Deutschen Bischofskonferenz, bekräftigt. Bei einer Diskussion unter dem Thema „Eine Revolution im Verhältnis der Kirche zum Judentum: 50 Jahre Konzilserklärung ‚Nostra aetate‘“ auf Einladung der Deutschen Bischofskonferenz im „Haus am Dom“ in Frankfurt am Main aus Anlass des 50. Jahrestages der Verabschiedung der Konzilserklärung „Nostra aetate“ über das Verhältnis der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen, würdigte Bischof Mussinghoff die große Bereitschaft vieler Juden, schon wenige Jahre nach der Shoah das Gespräch mit den Christen begonnen zu haben. „Meine Freude über die Konzilserklärung verbinde ich mit einem aufrichtigen Dank an die vielen Jüdinnen und Juden, die sich in Deutschland und andernorts für den Dialog und die Zusammenarbeit mit den Christen eingesetzt haben und weiterhin einsetzen.“ Bischof Mussinghoff warnte vor einem Anwachsen antisemitischer Übergriffe: „Es ist die Pflicht aller Bürger dieses Landes und es ist unsere Christenpflicht, jeder Form von Antisemitismus klar und deutlich entgegenzutreten. Hier müssen Christen und Juden zusammenstehen.“

Meilenstein der Versöhnung

Der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen und der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, Kardinal Kurt Koch (Vatikan), der selbst zu der Veranstaltung nicht kommen konnte, zeichnete in einem in Frankfurt verlesenen Vortrag die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte von „Nostra aetate“ nach, die ein Meilenstein in der Versöhnung zwischen Juden und der katholischen Kirche sei. „Einen nicht mehr unterbietbaren Tiefpunkt hat die Judenfeindschaft in der europäischen Geschichte in dem von den Nationalsozialisten mit industrieller Perfektion geplanten und durchgeführten Massenmord an den europäischen Juden gefunden. Die Shoah muss dabei als hässlichster Ausdruck jenes primitiven rassistischen Antisemitismus der Nazi-Ideologie beurteilt werden, der sich bereits im 19. Jahrhundert entwickelt hat, der aber dem Christentum von Grund auf fremd ist und von den Päpsten Pius XI. und Pius XII. mehrfach scharf verurteilt worden ist“, so Kardinal Koch. Er fügte hinzu: „Wir Christen müssen ehrlich bedauern, dass erst das beispiellose Verbrechen der Shoah ein wirkliches Umdenken bewirken konnte.“ So seien die Verarbeitung der Katastrophe der Shoah und der Kampf gegen den Antisemitismus die wichtigsten Triebfedern gewesen, „die zur Abfassung von ‚Nostra aetate‘ und zu der darin vollzogenen Wende im Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum geführt haben“. Kardinal Koch unterstrich, dass bei einer kritischen Rückfrage an die Mitverantwortung der Christen immer deutlicher anerkannt worden sei, „dass der Widerstand der Christen gegen den nationalsozialistischen Antisemitismus auch deshalb zu schwach gewesen ist, weil ein über Jahrhunderte hin wirksamer christlich-theologischer Antijudaismus eine weit verbreitete antisemitische Antipathie gegen die Juden begünstigt hat“.

Umso mehr sei heute theologisch zu erklären, dass es eine tief verwurzelte Zusammengehörigkeit und innere Verwandtschaft von Judentum und Christentum aufgrund der Existenz des Alten Testamentes als eines wesentlichen Teils der einen christlichen Bibel gebe. Darauf hätten in besonderer Weise alle Päpste seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil aufmerksam gemacht. Johannes Paul II. habe mit seinem großen Engagement für den katholisch-jüdischen Dialog wichtige Weichen für die Zukunft der Begegnung zwischen Judentum und Christentum gestellt. Dieses „Versöhnungswerk seines Vorgängers“ habe Papst Benedikt XVI. weitergeführt und vorangebracht. Auch unter Papst Franziskus finde der Dialog eine gute Fortsetzung, so Kardinal Koch. Für die Zukunft sei es notwendig, dass theologische Fragen vertieft würden. Dazu gehöre auch die existenzielle Frage nach dem Heil des Menschen.

Einsatz für die Religionsfreiheit

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, würdigte „Nostra aetate“ ebenfalls als Meilenstein und als ein Versprechen, dass die Kirche den Juden gegeben habe: „Dahinter darf sie nie mehr zurückfallen! ‚Nostra aetate‘ muss eine bleibende Verpflichtung für die Kirche sein!“ Mit dem Konzilsdokument, so Dr. Schuster, habe die Kirche nach 2000 Jahren ihren eigenen Kurs verändert und sich so von ihrem über Jahrhunderte praktizierten Antijudaismus lossagen können. Kritisch betonte der Zentralratsvorsitzende, dass die katholische Kirche „in der Shoah ohne Frage Schuld auf sich geladen hat. Aber es gab auch mutige Christen, die in der NS-Zeit für die Rettung von Juden ihr Leben riskierten oder für ihren Glauben mit dem Leben bezahlen mussten – das ist gerade in der jüdischen Gemeinschaft nicht vergessen“. Die jüdisch-christlichen Beziehungen bildeten heute ein stabiles Fundament, was sich in jüngster Vergangenheit in der Beschneidungsdebatte 2012 gezeigt habe: „Nach dem unsäglichen Urteil des Kölner Landgerichts gegen die Beschneidung stellten sich die beiden großen Kirchen sofort an unsere Seite – und damit auch an die Seite der Muslime! Die Situation damals war wirklich brenzlig: Wäre die Politik der Auffassung der Kölner Richter gefolgt und hätte die Beschneidung aus religiösen Gründen zum Straftatbestand erklärt – dann wäre jüdisches Leben in Deutschland unmöglich geworden“, so Schuster. „Hier gilt es, zusammen nicht nur für unsere Werte und Rituale zu kämpfen, sondern für unsere Religionsfreiheit.“

Mit Blick auf den Dialog der Religionen betonte der Zentralratsvorsitzende, dass Gewalt geächtet und dass für gemeinsames Verstehen geworben werden müsse: „Gegenseitiges Verständnis ist wahrlich nicht leicht. Es verlangt uns allen viel ab. Es spricht aber viel dafür, dass nur mit diesem Schlüssel das Tor zur friedlichen Welt geöffnet werden kann.“ Das gelinge mit gegenseitigem Respekt: „Die respektvolle Haltung, die sich durch die gesamte Erklärung ‚Nostra aetate‘ zieht, sollte für uns ein Vorbild sein. Respekt ist eine Tugend, die leider in unserer Gesellschaft – so scheint mir – verloren zu gehen droht. Wenn wir Religionsgemeinschaften respektvoll miteinander umgehen und respektvoll übereinander reden, dann können wir als Vorbilder in die Gesellschaft wirken.“

Dienst am Glauben

An ein solches respektvolles Miteinander erinnerte auch Bischof Mussinghoff: „In den vergangenen Jahrzehnten hat sich in Deutschland eine Kultur des Dialogs und der Zusammenarbeit entwickelt“, dazu gehörten insbesondere die regelmäßigen Gespräche der Unterkommission mit verschiedenen Vertretern des Judentums. „Ich glaube, es ist nicht übertrieben zu sagen, dass wir heute einen Dialog auf Augenhöhe führen“, so Bischof Mussinghoff. Erst am vergangenen Donnerstag war er mit einer Gruppe von Rabbinern von einer gemeinsamen Reise aus Israel zurückgekehrt, die ebenfalls von gegenseitigem Respekt für den anderen geprägt gewesen sei.

Kardinal Koch betonte in dem verlesenen Vortrag, dass Juden und Christen, wenn sie ihren Überzeugungen treu blieben und sich darin gegenseitig respektierten, einen „Dienst am Glauben tun. In diesem gegenseitigen Glaubensdienst aneinander bleiben Judentum und Christentum, Synagoge und Kirche unlösbar aneinander gebunden, wenn Christen und Juden aus jenem ‚gemeinsamen geistlichen Erbe‘ leben, das ‚Nostra aetate‘ in Erinnerung ruft“.

Hinweis:
Die Reden von Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff, Kardinal Kurt Koch und Dr. Josef Schuster finden Sie als pdf-Dateien im Anhang sowie unter www.dbk.de.

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