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Studie:
Wer atypisch beschäftigt ist, muss mit zahlreichen Nachteilen leben. Menschen in Leiharbeit, Teilzeitarbeit, mit befristeten oder Minijobs verdienen meist nicht nur weniger als die sogenannten Normalarbeitnehmer. Das Arbeiten jenseits der „Norm“ wirkt sich auch auf das Privatleben aus, wie Prof. Dr. Irene Gerlach, Dr. Regina Ahrens, Inga Laß und Henning Heddendorp vom Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik (FFP) in Münster herausgefunden haben. Die damit verbundenen Risiken tragen vor allem Frauen, zeigt ihre von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie.*
Im Kern der Untersuchung geht es darum, welchen Einfluss atypische Beschäftigungsverhältnisse auf Partnerschaft und Familie, soziale Netzwerke oder die gesellschaftliche Teilhabe haben. Die Datenbasis für die Analyse bildet das Sozio-oekonomische Panel (SOEP).
In den vergangenen Jahrzehnten ist die Zahl der atypisch Beschäftigten deutlich gestiegen. Ein großer Teil des Jobwachstums seit den 1990er-Jahren ging auf die zunehmende Verbreitung solcher Beschäftigungsverhältnisse zurück. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren 2012 knapp acht Millionen Menschen atypisch beschäftigt. Die WSI-Datenbank „Atypische Beschäftigung“ folgt der engeren Definition, die die Bundesagentur für Arbeit vom „Normalarbeitsverhältnis“ hat, und geht sogar von mehr als 13 Millionen aus.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um die Politikwissenschaftlerin Gerlach sehen atypische Beschäftigung nicht pauschal als negativ an, betonen aber den zwiespältigen Charakter: Während Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer befristete Stellen und Leiharbeit ganz überwiegend unfreiwillig und mangels alternativer Angebote übernähmen, sehe das bei Teilzeit- oder Minijobs auf den ersten Blick teilweise anders aus. Insbesondere Frauen entschieden sich häufig bewusst für einen solchen Job, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Doch selbst wenn es sich „oberflächlich betrachtet“ um eine freiwillige Wahl handele, steckten dahinter oftmals „strukturelle Zwänge“, wie etwa fehlende Möglichkeiten der Kinderbetreuung oder ein mangelndes Familienbewusstsein in der Arbeitswelt.
– Teilzeitbeschäftigte: Mehr Zeit für Kinder, höhere Abhängigkeit –
Ein Vergleich der verschiedenen Beschäftigungsformen zeigt: Beschäftigte in Teilzeit oder Minijobs investieren am meisten Zeit in die Betreuung von Kindern – im Schnitt zwischen gut sieben und mehr als elf Stunden pro Werktag, wenn das jüngste Kind unter drei Jahre alt ist. Diese Arbeit leisten der Studie zufolge vor allem Frauen. Zwar wenden auch Väter, die in Teilzeit arbeiten, mehr Zeit für Kinder auf als regulär Beschäftigte, aber bei den Müttern stellten die Forscher „weitaus deutlichere Effekte“ fest. Am wenigsten Zeit für die Kinderbetreuung – 2,7 Stunden pro Werktag – bringen Beschäftigte in Normalarbeitsverhältnissen auf, eine Gruppe mit besonders hohem Männeranteil (siehe auch die Infografik; Link unten).
In Partnerschaften ist eine traditionelle Rollenverteilung nach wie vor weit verbreitet: „Während normalbeschäftigte Männer zumeist eine Partnerin im Hintergrund haben, die ihnen den Rücken für das berufliche Engagement freihält“, sind Frauen mit regulärem Job mehrheitlich ledig, schreiben Gerlach, Ahrens, Laß und Heddendorp. Nur 38 Prozent von ihnen seien verheiratet, unter den normalbeschäftigten Männern seien es 59 Prozent.
Frauen, die ihre Arbeitszeit zugunsten der Familie reduzieren, seien abhängiger vom Partner und damit im Falle einer Trennung schlechter abgesichert. Außerdem zeigten die Untersuchungen, dass atypisch beschäftigte Frauen in erhöhtem Maße finanzielle Unterstützung von Familienmitgliedern außerhalb des Haushalts erhalten.
– Höheres Trennungsrisiko bei Unverheirateten in Leiharbeit und zwischen zwei atypisch Beschäftigten
Zudem scheint atypische Beschäftigung die Partnerschaft zu belasten: Nicht verheiratete Paare trennen sich deutlich häufiger, wenn ein Partner in Leiharbeit beschäftigt ist oder wenn beide Partner atypische Jobs (Leiharbeit oder andere) haben. Bei Verheirateten ist dieser Effekt nicht zu beobachten. „Hier scheint der höhere Institutionalisierungsgrad von Ehen für einen stärkeren Zusammenhalt bei beruflichen Belastungen zu sorgen“, schreiben die Wissenschaftler.
Große Unterschiede stellten die Forscher fest, wenn es um die Mitsprache im Betrieb geht: Je größer die Abweichung vom Normalarbeitsverhältnis ist, desto seltener gehören Beschäftigte einer Gewerkschaft oder einem Betriebsrat an. Geringfügig Beschäftigte sind am seltensten organisiert, befristet Vollzeitbeschäftigte dagegen relativ häufig.
– Aufklärung über Risiken, passende Kinderbetreuung für Normalbeschäftigte –
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des FFP sehen die politische und gesellschaftliche Kommunikation am Zuge. Sie müsse stärker als bisher den Zusammenhang zwischen individuellen und gesellschaftlichen Konsequenzen atypischer Beschäftigung in den Blick nehmen. So erhöhten atypische Beschäftigungsformen aufgrund der geringeren Erwerbsbeteiligung, von diskontinuierlichen Erwerbsbiographien sowie des tendenziell geringeren Einkommens das Risiko von Altersarmut, warnen die Forscher. Auch ein Faktor wie die höhere Trennungsrate im Zusammenhang mit Leiharbeit könne die soziale Integration von Beschäftigten schwächen. Neben den individuellen Problemen verursache dies sowohl volkswirtschaftlich als auch sozialpolitisch Folgekosten, die gerade in einer „alternden Gesellschaft“ nicht unterschätzt werden dürften.
Politik und Recht sollten daher „stärker als bisher echte Wahlmöglichkeiten zwischen unterschiedlichen Beschäftigungsformen schaffen“, empfehlen die Forscher. Das beginne etwa bei einer besseren Aufklärung Beschäftigter über die ökonomischen Risiken bestimmter Jobs. Zentral sei die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch im Normalarbeitsverhältnis, beispielsweise durch den weiteren Ausbau von qualitativ hochwertigen Kinderbetreuungsmöglichkeiten.
Rainer Jung Abt. Öffentlichkeitsarbeit, Hans-Böckler-Stiftung
Mitteilung
des idw – wissenschaftlichen Dienstes am 25.06.15
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