Dienstag, 30. Juni 2015

Griechenland: Nach den Verhandlungen ist vor den Verhandlungen

Vor der Volksabstimmung der Griechen am 5. Juli mahnt IWH-Präsident Reint E. Gropp zum Begraben des Kriegsbeils und zur Eile: Verhandlungen müssen unabhängig von dem Ergebnis der Abstimmung weitergehen, und die Reformen sind notwendiger denn je. Die Entscheidung am 5. Juli als eine Entscheidung über den Verbleib Griechenlands im Euroraum oder gar der EU zu sehen, führt in die Irre. Die Animositäten zwischen Griechenland einerseits und der EU und dem IWF andererseits dürfen jetzt weiteren Verhandlungen nicht im Wege stehen. Die Situation ist zu ernst für Griechenland, als dass man die Verhandlungen zu diesem Zeitpunkt einstellen könnte. Es ist nicht produktiv oder glaubwürdig zu sagen, dass der Vorschlag der Institutionen vom vergangenen Samstag „jetzt nicht mehr zu entscheiden sei“, wie es von einigen Vertretern der Institutionen kolportiert wurde. Natürlich muss dieser Vorschlag weiter auf dem Tisch bleiben, und wenn die Griechen am kommenden Sonntag bei der Volksabstimmung für die empfohlenen Spar- und Reformmaßnahmen votieren, sollten sie so schnell wie möglich umgesetzt werden. Die EU ist dabei im Gegensatz zu Griechenland in einer recht komfortablen Position: Anzeichen von Ansteckungseffekten sind kaum zu sehen, ihre Glaubwürdigkeit als Institution hat gewonnen, und es erscheint unwahrscheinlich, dass die Tsipras-Regierung ein Ja zu den Reformen in der Volksabstimmung überleben kann. Man hätte also ziemlich gewiss sogar einen neuen Verhandlungspartner, bei dem das Vertrauen, dass die beschlossenen Reformen auch wirklich umgesetzt würden, höher ist als bei der gegenwärtigen Regierung. Ein Nein wäre natürlich ein großes Problem. Doch selbst bei einem Nein muss selbstverständlich weiterverhandelt werden – obwohl dann unklar ist, auf welcher Basis. Es ist aber in jedem Fall falsch, von einem Votum „über den Euro“ oder sogar von einem Votum über „den Verbleib in der EU“ zu sprechen. Griechenland bleibt so lange im Euro und in der EU, wie es will, und obwohl es unter Umständen Gründe gibt, aus dem Euroraum auszuscheiden, hat das Land in der gegenwärtigen Situation sicherlich keine Anreize, die EU zu verlassen. Große Eile ist allerdings weiterhin geboten. Auch wenn die Regierung Tsipras es nicht wahrhaben will, wird die Notwendigkeit und Dringlichkeit von Reformen mit jeder Weigerung, ihnen zuzustimmen, nur umso größer. Griechenland wird heute seine Rate an den IWF nicht zahlen. Damit reiht sich Griechenland zunächst einmal unter die wenigen Länder wie Sambia oder Somalia ein, die Schulden an den IWF nicht pünktlich bezahlt haben. Das erhöht den Reformdruck immens, einfach deshalb, weil Griechenland ohne eine Erhöhung der EZB-Nothilfen schlichtweg das Geld ausgeht. Es ist unwahrscheinlich, dass die EZB es mit ihren Statuten vereinbaren kann, die Nothilfen an dann wohl insolvente Banken in einem zahlungsunfähigen Staat weiter aufrechtzuerhalten, ohne zumindest die Abschläge (haircuts) auf griechische Sicherheiten zu erhöhen. Die eingeführten Kapitalverkehrskontrollen sind nicht eng genug, um zu verhindern, dass die Banken dann in den nächsten Tagen zahlungsunfähig werden – dazu wurden sie zu spät eingeführt und erlauben noch immer zu viele Ausnahmen. Sperrfrist: 30. Juni 2015, 11:15 Uhr Pressekontakt: Stefanie Orphal +49 345 7753 720 E-Mail: presse@iwh-halle.de Ansprechpartner: Reint E. Gropp Telefon: +49 345 7753 700 E-Mail: president@iwh-halle.de Politische Ressorts: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), Bundesministerium der Finanzen (BMF), Bundeskanzleramt Wissenschaftliche Schlagwörter: Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds, Staatsanleihen, Euroraum Aktueller Bezug: Grexit-Szenario, Verhandlungen Euro-Gruppe und Griechenland, Volksabstimmung Griechenland Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) Kleine Märkerstraße 8 D-06108 Halle (Saale) Postfach 11 03 61 D-06017 Halle (Saale) Tel.: +49 345 7753 60 Fax: +49 345 7753 820 www.iwh-halle.de IWH-Pressemitteilung 23/2015 2 Abgesehen von diesen Problemen hat das Nichtzahlen der Rate an den IWF überraschenderweise eher weniger direkte Konsequenzen. Aus Sicht des IWF ist das Land damit in Zahlungsverzug (arrears), aber es handelt sich noch nicht um einen Zahlungsausfall (default). Ein Zahlungsausfall tritt nur dann ein, wenn der Managing Director des IWF das IWF-Board formal über einen Zahlungsausfall informiert. Dazu gibt es keine festen Fristen, sondern das liegt in der Entscheidungsgewalt des Managing Directors. Generell geschieht das jedoch spätestens einen Monat nach der Nichtzahlung. Sobald das IWF-Board informiert ist, tritt formal der Zahlungsausfall ein. Dieser Unterschied ist wichtig, da andere Kreditgeber wie zum Beispiel die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (European Financial Stability Facility, EFSF) erst dann ihre ausstehenden Forderungen (130 Mrd. Euro) zurückverlangen könnten. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass die EFSF von diesem Recht Gebrauch machen wird. Auch private Geldgeber hätten in vielen Fällen dieses Recht, doch diese existieren im Fall Griechenlands praktisch nicht mehr.
Mitteilung des IWH am 30.06.2015

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