Samstag, 17. Mai 2014

„Rigoletto“: Lust und Frust auf Nordhäuser Theaterbühne

Nachdem in der Einführung zu Verdis „Rigoletto“ Anfang Mai im Foyer des Nordhäuser Theaters eine fast spürbare Erwartungsstimmung verbreitet wurde, dürften die TeilnehmerInnen an dieser Einführung besonders gespannt die Premiere dieser Oper erwartet haben. Man hatte aufmerksam dem Regieassistenten zugehört, der das Geschehen am Hofe des Herzogs zu Mantua als Inhalt der Oper vortrug – obwohl es den meisten längst bekannt gewesen sein dürfte – und man hatte der Stimme des Baritons Kai Günther gelauscht, die man ja auch schon kannte, und die des Tenors Raffaele d'Ascanio auf sich wirken lassen. Und mag (wie ich) bedauert haben, dass nicht auch die Sopranistin Elena Puszta dabei sein konnte, von deren Gesang man immer wieder begeistert ist. Und wenn es sich auch nur um kurze Auszüge dessen handelt, was man in der Aufführung selbst zu hören bekommen würde.

Und gestern also fand die Premiere statt. Die Spannung allerdings, mit der man gekommen war und seine Plätze eingenommen hatte, verflüchtigte sich zunächst einigermaßen durch den Beifall, der bereits einsetzte, bevor überhaupt auf der Bühne etwas zu sehen war. Vielleicht als Ventil? Und sie baute sich langsam wieder auf, als die Musik aus dem Theatergraben zunächst verhalten begann, um dann aber voll einzusetzen als Auftakt der Handlung auf der Bühne. Auf der sich sehr schnell höfisches Leben und Treiben entwickelte. Durch das man einen Eindruck erhielt, wie es zur Zeit des Herzogs von Mantua an dessen Hofe zugegangen sein mag: unterhaltsam zunächst, bald aber ausgelassen und erkennbar von Ausschweifung und Wollust gekennzeichnet. Und Rigoletto (Kai Günther, Bariton), körperlich behinderter buckliger(?) Narr des Herzogs, dessen Aufgabe eigentlich die Unterhaltung und Vermittlung guter Laune am Hofe sein sollte, tat sich als zynischer und spottender Kommentator hervor.

Spätestens hier ist zu bemerken, dass sich das Geschehen auf der Bühne vor einer Ausstattung abspielt (gestaltet von Julia Müer), die in recht nüchtern wirkenden variablen Treppenteilen besteht, die aber durch die sich jeweils verändernden Teile einen interessanten Schauplatz darstellen. Was sich davor gesellschaftlich abspielt geschieht in Garderoben (entworfen von Barbara Häusl), die der damaligen Zeit nachempfunden sind.

Und die Handlung selbst? Der Herzog von Mantua (Raffaele d'Ascanio) wirkte gegenüber der
Einführung (natürlich) kostümiert sehr viel attraktiver, ließ allerdings damals schon ahnen, dass er es allein schon nach seiner Herkunft und seiner begeisternden Tenorstimme leicht haben werde, Frauen für sich zu gewinnen. Und seine nicht weniger natürliche Begabung in der Kunst der Verführung wurde anfangs der Aufführung zwar „nur“ beispielhaft erkennbar – gegenüber der Gräfin von Ceprano (Brigitte Roth, Sopran) – setzte sich aber im Laufe der Handlung eindrucksvoll fort, zynisch mit volltönender Stimme begleitet von Rigoletto gegenüber den jeweils gehörnten Ehemännern. Von der eigentlicher Aufgabe Rigolettos als erheiternd wirkender Hofnarr sah und hörte man demgegenüber so gut wie nichts. Der Herzog wiederum gefiel sich als zügelloser Verführer, als der er schließlich auch die völlig unbefangene
und unerfahrene Gilda (Elena Puszta, Sopran), Tochter Rigolettos, während des Gottesdienstes in der Kirche entdeckte und ihr (natürlich) nachstellt. Natürlich findet er auch einen Weg, sie zu gewinnen, ohne Skrupel gegenüber ihrer Unschuld. Dass dies zum Verhängnis für Gilda führen muss, war abzusehen und geradezu unausweichlich.

Das Ensemble um Regisseurin Katharina Thoma entwickelte innerhalb dieses nüchtern wirkenden Bühnenraumes ein Tableau der Figuren in ihrer inneren Zerrissenheit, das die Zuschauer über die Spanne des Abends in Atem hielt. Und diese sich mehrfach in Applaus nach szenischen Abschnitten entlud. Thoma vermochte gemeinsam mit den spielfreudigen Sängern des Nordhäuser Theaters alle diese Figuren in ihrer Psychologie durchaus plastisch wirken zu lassen.

Dazu gehört dann auch, dass der Graf von Monterone (Thomas Kohl, Bass) im Schloss erscheint, dessen Tochter gleichfalls zu den „Opfern“ des Herzogs gehört, und die Wiederherstellung ihrer Ehre fordert. Stattdessen erfährt auch er nur Spott und Hohn durch Rigoletto, worauf ihn dieser verflucht. Und eigentlich wird erst ab diesem Fluch das Geschehen zum Drama für Rigoletto, dem dadurch plötzlich sein bisheriges widersprüchliches Verhalten bewusst wird, mit dem er sich an der Gesellschaft bei Hofe rächte, die ihn ob seiner körperlichen Behinderung gering schätzt.

In einer zeitlosen Moderne vollzieht sich so die Geschichte vom buckligen Narr Rigoletto, dessen Tochter durch Höflinge des Herzogs entführt wird, die sie für Rigolettos Geliebte halten. Sie führen sie dem Herzog zu, der sich ihr als armen Studiosus vorstellte, in dem sich Gilda verliebt. Dazu kommt es, obwohl, oder gerade weil sie sich - von ihrem Vater Rigoletto völlig abgeschirmt von der Außenwelt – zu einer erblühten Frau entwickelt hat und erfahren möchte, was die Welt und die Gesellschaft ihr zu
bieten haben. Giovanna, ihre Gouvernante (Mary Elisabeth Osborne, Sopran) vom Herzog bestochen, ermöglicht Gilda den Weg aus ihrer behüteten Umgebung. Die Höflinge haben dann mit der Entführung leichtes Spiel. Selbstkritisch will Rigoletto sein Doppelleben aufgeben, das einerseits in Zynismus gegenüber der Gesellschaft besteht und andererseits in fürsorglicher Behütung seiner Tochter. Um feststellen zu müssen, dass es dafür zu spät ist.

Für den Herzog eben nur ein weiteres Abenteuer, für Gilda die große Liebe. Als Rigoletto davon erfährt, inszeniert er ein Mordkomplott gegen den Herzog, seinen Herrn. Er dingt Sparafucile (Florian Kontschak, Bass) als Mörder, der den Herzog umbringen soll, ohne dass er die wahre Identität des Opfers erfährt. Doch die mehrfache Tarnung dieser Welt, in der sogar die Liebe eine Maske trägt, wendet sich gegen den verzweifelten Vater, als seine Tochter sich für den noch immer geliebten Herzog opfert. Sparafucile nämlich vollbringt die Tat, ersticht allerdings statt den Herzog die Tochter Rigolettos, womit sich am Ende der Fluch des Grafen von Monterone auf tragische Weise erfüllt.

Zur Entfaltung und dem musikalischen Verlauf des Geschehens hatte in der Einführung Anfang Mai schon GMD Markus L. Frank in einer Weise eingestimmt, die nicht nur anschaulich war, sie war hörens- und sehenswert. Wobei die Eindrücke, die er dabei vermittelte, erwarten ließen, dass die Musik aus dem Orchestergraben ganz entscheidend (mit-)bestimmend sein werde. Und schon diese Vorschau vermochte die Zuhörer in ihren Bann zu ziehen. Und das vermochte sie dann auch während der gesamten Aufführung. Ob in instrumentalen Parts allein, ob als Begleitung der hervorragenden Solis der Hauptakteure oder des Chores: ich fand den Verlauf von allen Mitwirkenden hervorragend und bravourös. Und der begeisterte, lang anhaltende Applaus des Premierepublikums dürfte überzeugt und dankend gezeigt haben, dass das Ensemble des Theaters Nordhausen samt seinen Gastmitwirkenden einmal mehr sein Publikum begeistert hat. Sei schließlich noch erwähnt, dass in italienischer Sprache mit Übertiteln gesungen wurde. Die nächsten Aufführung findet am 23.05. statt.

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