Sonntag, 11. Mai 2014

Drag-Diva Conchita Wurst: Ein Phänomen

Was ein Widersinn – oder doch nicht? Anspruchslos unterhalten wollte ich mich gestern Abend gern vom Fernsehen lassen und wählte dafür im BR „Kaisermanöver“. Das aber fand gar nicht statt, man hatte es abgesetzt zugunsten des Meisterspektakels um den FC Bayern München. Nachdem mich das nun wirklich nicht interessierte, klickte ich mich durch die Programme verschiedener anderer Sender, übersprang den Countdown zum „Eurovision Song Contest“ der ARD, weil mich allein schon Barbara Schöneberger in die Flucht zu schlagen vermag und blieb bei n-tv hängen. Was dort geboten wurde war zwar alles andere als kurzweilige Unterhaltung, dafür aber Vergangenheit bewältigend: „Die Psyche der Nazis“. Und weil ich ja einer Generation angehöre, die vom „Dritten Reich“ noch einiges mitbekam, ohne allerdings auch die dunkle und verhängnisvolle Seite des Naziregimes wirklich kennengelernt zu haben, bin ich auch heute noch interessiert, mich darüber informieren zu lassen. Und mich damit auseinander zu setzen, also Vergangenheitsbewältigung zu betreiben.

Es ging in dieser Sendung um die Geschichte der SS. Und ohne mich hier weiter damit zu beschäftigen überlege ich doch mitunter, ob das, was gerade in n-tv schon im Laufe der Zeit an solchen auch dokumentarischen Sendungen gebracht wurde, wirklich geeignet ist, die Fratze des Nationalsozialismusses zwischen 1935 und 1945 wirklich deutlich werden zu lassen!?

Wie dem auch sei, lese ich heute im Internet, dass Österreich mit Conchita Wurst zur gleichen Zeit wie ich die „Geschichte der SS“ sah, in Kopenhagen diesen „Eurovision Song Contest“ gewann. Ich erspare mir jetzt, eine gedankliche Verbindung zwischen dem einen und dem anderen zu konstruieren, ich denke aber, dass „man“ glücklich sein darf, hier in einer Zeit zu leben, die für alle menschlich bedingten Entwicklungen offen ist, wenn sie nur ethisch und moralisch vertretbar sind.

Ich nahm bis gestern von diesem musikalischen Wettbewerb nur ganz am Rande Kenntnis, zumal daraus schon in der Vorbereitung ein Spektakel gemacht wird, dem ich nichts abgewinnen kann. Nun aber hat in diesem Fall die Gewinnerin Conchita Wurst durch ihre optische Wirkung bei mir bewirkt, mich gedanklich mit ihr näher zu beschäftigen. Ich kenne nicht ihren Song „Rise Like A Phoenix" und ich musste mich bei Wikipedia über die vollbärtig scheinende „Dragqueen“ (was ist das?) erkundigen. Was ich dort aber zu lesen bekam, hat mich beeindruckt, nämlich (Auszug): „Die Schaffung der Kunstfigur Conchita Wurst erklärt Neuwirth (ihr früherer Name) als Reaktion und Statement gegen Diskriminierungen, die er in seiner Jugend aufgrund seiner Homosexualität erfuhr. Sein Auftreten als Travestiekünstler soll Menschen zum Nachdenken „über sexuelle Orientierung, aber genauso über das Anderssein an sich“ bewegen, damit „es Jugendliche leichter haben – und zwar egal, aus welchem Grund sie anders als die anderen sind.“ Den Namen Conchita bekam er von einer Freundin aus Kuba und behielt ihn bei. Den Nachnamen wählte er, „weil es eben ‚wurst‘ ist, woher man kommt und wie man aussieht“. (Ende ds Auszugs). Und das lässt schließen, dass er oder sie nicht nur auf Show aus ist, sondern eine Geisteshaltung vertritt, die Sinn und Tiefe hat. Und das finde ich ebenso mutig wie es auf ein Selbstbewusstsein schließen lässt, das Respekt und Achtung verdient. Wenn mir auch der Zugang zu dieser geschlechtlichen Veranlagung und Haltung fehlt. Kann man sich wohl über Toleranz hinaus daran gewöhnen?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen