Freitag, 9. Mai 2014

Erika Schirmer präsentiert ihre in Papier geschnittene Welt

Nordhausen also hat mit Erika Schirmer eine neue Ehrenbürgerin. Und wenn beim Festakt zur Überreichung der Ehrenurkunde am Mittwoch Laudator Friedhelm Schulz zur Lebensauffassung Erika Schimers meinte „Mehr sein als scheinen, Erika, das bist Du“, dann gehöre ich sicher zu den
Zeitgenossen, die das gut nachvollziehen können. Es gab eine Zeit, in der ich dieser bescheiden und natürlich wirkenden Frau in Straßenbahn oder sonst im Stadtgeschehen begegnete, ohne überhaupt zu wissen, wer sie ist. Das änderte sich allmählich mit dem Wissen um ihre künstlerische Fertigung von Scherenschnitten, ihrer Autorenschaft des „Harzer Fingerhutes“ in der „Nordhäuser Allgemeine“ und ihrer kompositorischen Fähigkeiten, die in vielen Liedern Ausdruck fand. Dass dies 1948 mit der „kleinen weißen Friedenstaube“ begann, ist inzwischen allseits bekannt. Ich begegnete ihr zunehmend freundlich und begann sie ganz persönlich zu schätzen, die so gar kein Aufhebens von dem macht, was sie künstlerisch und literarisch kann und gestaltet.


Und nun ist diese Frau Ehrenbürgerin der Stadt Nordhausen. Auch dazu muss ich einräumen, dass mir erst während des Festaktes am Mittwoch und durch die Laudatio Friedhelm Schulzes wirklich bewusst wurde, dass sie verdientermaßen mit der Ehrenbürgerschaft geehrt wurde. Als Künstlerin, Komponistin und Literatin sehe ich sie damit in der Nähe von Ilsetraut Glock, deren außerordentliche Verdienste in Kunst, aber auch Sponsoring um, für und an Nordhausen ja 2002 mit der Ehrenbürgerschaft gewürdigt wurde.

Mit dieser im Festakt gewonnenen Vorstellung nahm ich nach dessen Ausklang im oberen Geschoss an der Eröffnung der Ausstellung teil, in der Erika Schirmer Einblicke in ihr handwerklich-künstlerisches Schaffen offeriert. Es ist mittlerweile nicht die erste Scherenschnitt-Ausstellung Schirmers, die ich damit besuchte. Durch die ich gleichzeitig angeregt wurde, mich näher mit Geschichte und Künstler dieses Genres zu beschäftigen. Und erschloss mir dadurch in gewissen Grenzen eine Welt, die immerhin weit über das hinausgeht, das man mit Papier, Bleistift
und Schere in Liebhaberkreisen an Bastelnachmittagen zuwege bringt.

Abgesehen von China als vermutlichen Ursprungsland, hatte danach in Deutschland der Goethezeit das Schattenbild Hochkonjunktur. Es ist auch bekannt, dass aus jener Zeit umfangreiche Sammlungen von Köpfen bedeutender Intellektueller und Künstler erhalten sind. Meist entstanden diese Porträts als Schattenbild mit Tusche, seltener als klassischer Scherenschnitt. Während allerdings das Schattenbild im wesentlichen auf die Möglichkeit beschränkt ist, einen Menschen maßstabsgerecht
zur Natur nachzuempfinden, hat der Scherenschnitt wesentlich mehr Möglichkeiten. Mittels dieser Technik können komplexe Bilder geschaffen werden, die wahre Meisterwerke der filigranen Papierkunst darstellen.
Ich denke, die Ausstellung Erika Schirmers in der Flohburg zeigt solche Meisterwerke, vielfach mit Motiven aus Nordhausen, aus Märchen, Sagen und Gedichte aus dem Harz. Eine Vitrine enthält aber auch Exponate, die die Erinnerung und Verbundenheit Schirmers zu ihrer schlesischen, jetzt polnischen, Heimat erkennen
lassen. Und das wiederum weckt Erinnerungen an das Haus Schlesien in Berlin, das ich vor Jahren (2001) im Rahmen einer Exkursion mit dem Bundespolitiker Manfred Grund besuchte. In der damals eine Ausstellung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz lief, bereichert durch private Leihgaben, u.a auch mit Scherenschnitten einer schlesischen Künstlerin Maria Louise Kaempffe (?), die ich damals nur beiläufig zur Kenntnis nahm. Sie galt als Meisterin dieser Kunst, und dürfte also quasi eine Vorgängerin Erika Schirmers gewesen sein. Ob sie sich kannten müsste ich erfragen, Vergleiche in der Qualität ihrer
Scherenschnitt-Fertigkeiten sind mir natürlich nicht möglich und sind auch nicht nötig, Schirmer beherrscht das Metier jedenfalls souverän.


Eingeleitet wurde die Eröffnung dieser Ausstellung musikalisch durch Anja Daniela Wagner (Mezzosopran) und Elena Pierini (Keyboard) vom Theater Nordhausen. Ihr schloss sich die Laudatio der Leiterin des Museums Flohburg, Dr. Cornelia Klose an. Durch sie erfuhr man, dass Erika Schirmer im Jahre 2001 ihre erste Scherenschnitt-Ausstellung in Quedlinburg ausrichten konnte, nachdem ihr Mann 1998 starb und sie Trost in der autodidaktischen Vervollkommnung ihrer Fertigkeit des Scherenschnitts fand. Nach Quedlinburg folgten Ausstellungen in Heiligenstadt, Stolberg, in Görlitz und vielen, vielen anderen Orten einschließlich ihrer früheren schlesischen Heimat. Inzwischen sind es 123 größere Ausstellungen, in denen sie ihre Scherenschnitte präsentierte.
Klose gab einen Überblick über die Breite der künstlerischen Tätigkeit Schirmers: sie macht Scherenschnitte, sie schreibt Gedichte, sie schreibt und komponiert Lieder und sie beschäftigt sich in ihren künstlerischen Arbeiten mit deutschen Dichtern und Literaten wie Joseph von Eichendorff, Theodor Storm, Eduard Möricke und andere, die sich auch in ihrer Kunst wiederfindet. Es sind auch Märchen, die es ihr angetan haben und Thüringer Sagen, mit denen sie im vergangenen Jahr auch in einer Ausstellung in der Flohburg reüssierte. Auch japanische Impressionen gehören zur ihren künstlerischen Repertoire, ließ die Laudatorin wissen. Die sie so überzeugend bot, dass ihre Gäste meinten, sie hätte Jahre in Japan verbracht.
Dass die Vorbereitungen dieser Ausstellungen der Künstlerin viel Kraft kosteten, erläuterte Dr. Klose, versicherte aber auch die Freude und Genugtuung, wenn eine solche Ausstellung einen erfolgreichen Verlauf nahm. Erika Schirmer hat ein Lebensmotto, verriet die Laudatorin abschließend: „Ohne Phantasie keine Kunst“ Und empfahl damit den Gästen die Betrachtung der ausgestellten Bilder, in denen sich dieses Motto oft genug wiederfindet. Zuvor aber überreichte noch der Vorsitzende der Gästeführergilde Winfried Wehrhan Erika Schirmer zwei Stiche aus deren schlesischer Heimat, die noch von den Vorfahren Wehrhans stammten, die wie die Künstlerin aus Schlesien gekommen waren. Nachdem sich danach die beiden musikalischen Künstlerinnen auf hörenswerte Weise von Erika Schirmer und den Gästen verabschiedet hatten und Landrätin Birgit Keller der Scherenschnitt-Virtuosin zu ihrer 124.
Ausstellung gratuliert hatte, mündete diese zunächst in eine Autogrammaktion Erika Schirmers. Dann aber stand der Betrachtung der Bilder und der Unterhaltung mit Erika Schirmer nichts mehr im Wege. Gerade von letzterem wurde rege Gebrauch gemacht.

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