An diesem Wochenende schließt im
Kunsthaus Meyenburg die Ausstellung „Die Kunst ist weiblich“, die
neben der Präsentation von 33 Künstlerinnen mit ihren Werken von
mehreren Vortragsveranstaltungen gekennzeichnet war. In denen es
vornehmlich der Kunsthistorikerin und Leiterin des Kunsthauses,
Susanne Hinsching Anliegen war, ihren Zuhörern aufzuzeigen, wie
schwer es einst Frauen hatten, Zugang zur bildenden Kunst zu erhalten
und als Künstlerinnen wirklich auch anerkannt zu werden.
Die jüngste „Kunst und
Kaffee“-Veranstaltung des Fördervereins Meyenburg am Mittwoch
schien zeitlich, aber auch inhaltlich gut zu dieser Thematik zu
passen, in der „Friedels Bilderbuch“ im Mittelpunkt stand. Durch
die Vorschau wusste man schon, dass Autoren dieses Bilderbuches keine
Geringeren als die Künstlerin Gabriele Münter (1877 – 1962) und
Wassily Kandinsky (1866-1944) sind. Von denen es in dieser Vorschau
hieß „Wer weiß schon, dass die berühmten Gründer
und Mitglieder
des „Blauen Reiter“ - der Künstlervereinigung, die zu Beginn des
vergangenen Jahrhunderts die Malerei, aber auch die Kunstwelt
regelrecht revolutionierten und heute für die „Klassische Moderne“
stehen – ein Bilderbuch zeichneten?“
Um
den Inhalt dieses Bilderbuches, das dem Patenkind Gabriele Münters
gewidmet war, ging es also. Begonnen hatte alles mit der Bitte „Tante
Ella, mal mir mal ’n katholischen Mann!“ des vierjährigen
Patenkindes Friedel Schroeter. Und schon in der erwähnten Vorschau
war zu lesen, dass man hinter einem Teil dieser Bilder ab und an auch
hätte Heinrich Zille vermuten können. Oder auch die Hand eines
talentierten Schulkindes. Was allerdings das
Ehepaar Dres. Hannelore und Wolfgang R. Pientka für diesen Vortrag
zusammengetragen und formuliert hatten, war schon aller Achtung wert.
Man kennt ja ihre Kreativität auf diesem Gebiet bereits von ihren
Vorträgen über Barlach, Feininger und M.C. Escher. Und erfuhr nun
durch diesen Vortrag, dass sie sich sowohl mit Gabriele Münter, als
auch mit Wassily Kandinsky und deren expressionistischer Kunst auch
im Zusammenhang mit der Künstlervereinigung „Blauer Reiter“,
später auch die „Blauen Vier“ angelegentlich beschäftigt
hatten. Und wohl gerade deshalb überrascht waren, als sie dabei auf
dieses im wahrsten Sinn des Wortes kindlich gehaltene Bilderbuch
stießen, „wo beim Betrachten dieser Bilder niemand diese
weltberühmten Künstler vermutet.“
Tatsächlich
ist man angesichts dieser Bilder zunächst betroffen über die
eigentlich recht einfach scheinenden Zeichnungen. Doch sollte man
sich nicht täuschen: es gehört schon große, künstlerische
Fertigkeit und psychologisches Einfühlungsvermögen dazu, als dem
Expressionismus zugehörig, sich der Denk- und Gefühlswelt eines
Kindes anzupassen und dies entsprechend in Bildern zum Ausdruck zu
bringen. Und gerade dieses Bilderbuch gehört ja wohl auch deshalb
zu den ansprechenden, kunstpädagogischen Lehrmaterialien, die zum
Ziel haben, Kindern Spaß am künstlerischen Schaffen zu vermitteln.
Wie es ja auch den Dres. Pientka gegeben ist, ihren Zuhörern die
bildende Kunst – auch einführend – in einer Weise zu vermitteln,
in der man sich „eingeladen und mitgenommen“ fühlen kann in
diese Welt der Künstlerinnen und Künstler, von denen ja die
Kunsthistorikerin in ihren Vorträgen zu dieser Thematik jeweils
abschließend meint, es gäbe im Grunde keine weibliche oder
männliche, sondern „nur“ eine gute oder schlechte Kunst. Hier
wurde sie von Dres.Pientka anhand ansprechender, wenn auch einfach
scheinender Beispiele erläutert. Im Anhang hier Beispiele aus dem
Vortrag zu diesem Bilderbuch:
Bild
1: Kapellan
Tante
Ella, mal mir mal ‚n katholischen Mann …
Der
wohlgenährte Capellanus wandelt vor der sinnfälligen Kulisse einer
gedrungenen Bergkapelle mit spitzem Turmdach. Begleitet wird er von
einem spitznasigen und spitzohrigen Hund, der sich horchend und
misstrauischen Blicks in der Würde seiner Beschützerrolle spreizt.
Er hat sich der meditativen Gangart seines geistlichen Herrn
angepasst: Ein schweres Hinterbein vermittelt ebenso den Eindruck von
zögerlich-schleppenden Nachtrotten wie das Abrollen seiner von
Münter bogig gezeichneten Pfoten. Auch der Hund wirkt hochnäsig;
sein gockelhaft-buschiger Schweif, hochgereckt bis über die Ohren,
bezeugt Wohlbehagen und Stolz auf die Zugehörigkeit zu einem solch
honorigen Vicarius.
Bild
2: Haushälterin
Nun
wollte Friedel auch „seine Frau“ sehen ….
Respektheischend
steht die Haushälterin mit einer gewaltigen, weißen Schürze in
ihrem Machtbereich, der Küche. Korb und Geldbörse deuten ebenso wie
die Zeiger der Pendeluhr darauf hin, dass sie für den morgigen
Einkauf gerüstet ist. Ihre stramme Frontalstellung wird
unterstrichen durch den linealglatten Mittelscheitel und die
schnurgerade Knopfleiste des Kleides, das, hochgeschlossen,
Unzugänglichkeit bekundet. Alles an ihr ist korrekt und reinlich,
und was in ihrem Gesicht so streng und bärbeißig wirkt, hebt Münter
auf durch Grazie und Frische von Rosenstämmchen, blankem
Kupfergeschirr und der zartgliedrigen Katze, die sich der gewichtigen
Weibsperson in Anmut zugesellt.
Bild
3: Photographiermann
Dies
Bild sollte G. Münter zeichnen, nachdem Friedel in einer für sie
selbst befremdlichen Situation photographiert worden war. Auf einem
schmalen Tisch hatte man sie wie auf einem Denkmalssockel dem unter
einem dunklen Tuch verkrochenen Photographen präsentiert, damit er
ihre Winzigkeit überhaupt mit seiner hochgebockten Kamera einfangen
konnte. An dieser labilen Stellung, in der Friedel die Puppe fest
umklammert, entfaltet sich Münters Sinn für Komik.
Bild
3: Berliner Straßenszene
Von
September 1907 bis April 1908 lebte Münter in Berlin, wohin die
Schroeters gezogen waren. Hier konnte sie ihr Patenkind begleiten und
sehen, wie gebannt Friedel in dieser farbenreichen Straßenszene auf
das verlockende Spielzeugangebot im Bauchladen des Straßenhändlers
schaut, auch mit den Wunsch nach den bunten Luftballons. Ihr modisch
tailliertes Streifenkleid, bekrönt durch einen kreisrunden Strohhut,
die Eleganz der Mutter und die Szenerie mit einem Pferdefuhrwerk vor
der geschlossenen Fassade der Mietshäuser sowie einem galanten
Herrn, der zum Gruß den Hut lüftet, verdeutlicht den Ortwechsel der
Schroeters in die Großstadt.
Bild
5 und 6: Sturz und getröstete Friedel
Diese
Bilder gehören zusammen. Der Vater, ein Universitätsprofessor,
versucht nach Friedels Missgeschick durch die Schranke des
Spazierstockes weiteres Unheil zu verhindern. Das kleine Mädchen ist
Friedels jüngere Cousine Annemarie Münter aus Bonn.
Auf
dem zweiten Bild steht der Vater schuldbewusst und gescholten wegen
seiner mangelnden Wachsamkeit neben seinem Töchterchen, das ihm den
Rücken zukehrt.
Die
erboste Mutter versucht währenddessen den Tränenfluss zu stillen.
Von Schroeters schamhaft gesenktem Kopf über die schlaffen
Fingerspitzen bis zum kraftlos entgleitenden Spazierstock zeugt alles
an ihm von Zerknirschung und Reue.
Bild
3: Friedel und Cousine Annemarie
Auf
diesem Bild werden die beiden Nichten charakterisiert, die brav Hand
in Hand dastehen. Friedels kräftiger Arm weist darauf hin, wer hier
die Richtung bestimmt. Der raumgreifende Strohhutüber dem üppigem
Haar, das schicke Kleid und selbst die Fußstellung der stämmigen
Friedel zeugen ebenso wie das enganliegende Häubchen, das hellblaue
Hängerchen und die Staunaugen der zierlichen Annemarie von den
seelischen Gegensätzlichkeit der beiden Cousinen.
Bild
8: Waske hält Mittagsschlaf
Hier
wird der Kater Waske vorgestellt, der Hausgefährte von Münter und
Kandinsky während ihres Aufenthaltes von Mai 1906 bisJuni 1907 in
Sèvres (Frankreich). Der schnurrende und anschmiegsame Kater war
auch Münters Seelentröster nach der Umsiedlung nach Paris.
Bild
9: Auguste ist krank
In
diesem Bild – entstanden in Berlin - ist die Puppe Auguste – in
Erinnerung an die Köchin und Haushälterin – die Köchin in
Friedels Puppenhaus. Münter amüsierte sich stets darüber, dass
Friedel die arme Auguste mit ihrer Schürze stets verkehrt herum ins
Bett legte – mit dem Kopf ans niedrigere Fußende. Medizinflasche,
Löffel und Pillendose stehen auf dem Nachttisch.
Bild
10: Detta und Sophie am Spülen
Die
Beiden sind die „Augusten“ der Schroeters. Sie spülen und
trocknen das Geschirr vor der gekachelten Küchenwand ab, die durch
eine Petroleumlampe erhellt wird und an der ein Fließwasser
spendender Hahn noch fehlt. Kannen, Spülstein und das schräge
Abtropfbrett bilden eine realistische Kulisse, vor der die
Bewegungsstudie der beiden in ihre Arbeit vertieften Frauen
überzeugend gelungen ist.
Bild
11: Ein Paar in Paris
Ebenfalls
eine Erinnerung an Paris. Der Park vor dem Eiffelturm soll die
gelöste Atmosphäre der französischen Hauptstadt vermitteln, die
man als „Stadt der Liebe“ rühmte. Die adrette schwarzhaarige
Schöne steht trotz koketter Abwehr liebesbereit dar, ihre Augen
funkeln geradezu der Attacke des angriffsbereiten, schnauzbärtigen
Flics entgegen. Ein in Mimik und Gebärde ausdrucksstarkes Bild, das
auch farblich und kompositorisch besticht.
Bild
12: Schlafende Friedel
Hier
Friedel, der üppige Blondschopf, mitten im Spiel vom Schlaf
übermannt. Sie liegt auf einem Sofakissen und hält ein Stofftier
noch fest in der Hand. Der umgesunkene Teddybär deutet in seiner
schlaffen Bauchlage auf die umwerfende Müdigkeit, die dem Spiel
folgte. Als Gegenpol findet man die aufrecht sitzende, hellwach
blickende Clownpuppe, deren Name als „Humpty-Dumpty“ (dick und
rund – auch ‚Goggelmoggel‘ – Lewis Carroll ‚Alice hinter
den Spiegeln‘) überliefert ist und die mehrfach auch in anderen
Zeichnungen Münters vorkommt.
Bild
13: Aufstieg zur Riederalp
Eine
Erinnerung an eine mit Kandinsky bewältigte Wanderung. Am 19. August
schaffen sie den Aufstieg zur Riederalp. Vier Stunden quälen sie
sich bei belastender Hitze die Serpentinen hinauf. Auch der Hinweis
auf die „schöne sonnige Lage“ des Hotels bietet wenig
Verlockung. Mit dem Schneegebirge, dem Gipfelhotel und dem
schweißtreibenden Anstieg unter der Last der schweren Rucksäcke
will Münter Friedel anschaulich solch eine Tour vermitteln.
Bild
15: Dame mit Kind
Alexander
Sacharoff war 1904 zu der Künstlervereinigung München gestoßen. Er
und vier weitere Künstler finden sich auch in dem Bilderbuch. Für
Friedel zeichnet er eine anmutige Szene: Ein barfüßiges Kinde,
dessen bühnengerechtes Reifrockkleidchen sich über einer
Spitzenhose bauscht, streckt der im Baumschatten lesenden Dame einen
Blumenstrauß entgegen.
Bild
16: Kreml-Stadt
Kandinsky
malt ein Aquarell für Friedel. Auf wasserumspültem Felsen steht
eine lockend bunte Kreml-Stadt, die von einer gewaltigen Schutzmauer
umgeben ist und damit schroff und unzugänglich wirkt. Blau setzt er
ein für Himmel und Wasser und deren Strahlkraft steht für Sehnsucht
und kosmische Weite. Das Wolgaschiff mit dem Wikingerbug steht hier
nicht für geglückte Lebensfahrt, sondern zeigt durch die
aufgerichteten Speere das Kriegerische, das sich gegen die thronende,
kahle Festung wendet. Diese gesellschaftskritische und
gesellschaftsverändernde Aussage wird sich sicher Friedel
verschlossen haben.
Bild
18: Bühnenspiel der Russenmädchen
Marianne
Werefkin, ebenfalls in der Künstlervereinigung München, zeigt in
ihrem Schaffen oft die Welt, in der die Menschen wie ferngesteuerte
Marionetten agieren.
So
zeichnet sie für Friedel eine typische Szene. Der Vorhand ist
geöffnet und die Bühne wird von zwei puppigen, aggressiv
deklamierenden Kindergestalten beherrscht. Folkloristisch wirken
Hauben und Reifrockkleider.
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