Freitag, 30. Mai 2014

„Die Kunst ist weiblich“ war aufschlussreich, einprägsam und wirkt sicher nachhaltig

An diesem Wochenende schließt im Kunsthaus Meyenburg die Ausstellung „Die Kunst ist weiblich“, die neben der Präsentation von 33 Künstlerinnen mit ihren Werken von mehreren Vortragsveranstaltungen gekennzeichnet war. In denen es vornehmlich der Kunsthistorikerin und Leiterin des Kunsthauses, Susanne Hinsching Anliegen war, ihren Zuhörern aufzuzeigen, wie schwer es einst Frauen hatten, Zugang zur bildenden Kunst zu erhalten und als Künstlerinnen wirklich auch anerkannt zu werden.

Die jüngste „Kunst und Kaffee“-Veranstaltung des Fördervereins Meyenburg am Mittwoch schien zeitlich, aber auch inhaltlich gut zu dieser Thematik zu passen, in der „Friedels Bilderbuch“ im Mittelpunkt stand. Durch die Vorschau wusste man schon, dass Autoren dieses Bilderbuches keine Geringeren als die Künstlerin Gabriele Münter (1877 – 1962) und Wassily Kandinsky (1866-1944) sind. Von denen es in dieser Vorschau hieß „Wer weiß schon, dass die berühmten Gründer
und Mitglieder des „Blauen Reiter“ - der Künstlervereinigung, die zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts die Malerei, aber auch die Kunstwelt regelrecht revolutionierten und heute für die „Klassische Moderne“ stehen – ein Bilderbuch zeichneten?“

Um den Inhalt dieses Bilderbuches, das dem Patenkind Gabriele Münters gewidmet war, ging es also. Begonnen hatte alles mit der Bitte „Tante Ella, mal mir mal ’n katholischen Mann!“ des vierjährigen Patenkindes Friedel Schroeter. Und schon in der erwähnten Vorschau war zu lesen, dass man hinter einem Teil dieser Bilder ab und an auch hätte Heinrich Zille vermuten können. Oder auch die Hand eines talentierten Schulkindes. Was allerdings das Ehepaar Dres. Hannelore und Wolfgang R. Pientka für diesen Vortrag zusammengetragen und formuliert hatten, war schon aller Achtung wert. Man kennt ja ihre Kreativität auf diesem Gebiet bereits von ihren Vorträgen über Barlach, Feininger und M.C. Escher. Und erfuhr nun durch diesen Vortrag, dass sie sich sowohl mit Gabriele Münter, als auch mit Wassily Kandinsky und deren expressionistischer Kunst auch im Zusammenhang mit der Künstlervereinigung „Blauer Reiter“, später auch die „Blauen Vier“ angelegentlich beschäftigt hatten. Und wohl gerade deshalb überrascht waren, als sie dabei auf dieses im wahrsten Sinn des Wortes kindlich gehaltene Bilderbuch stießen, „wo beim Betrachten dieser Bilder niemand diese weltberühmten Künstler vermutet.“

Tatsächlich ist man angesichts dieser Bilder zunächst betroffen über die eigentlich recht einfach scheinenden Zeichnungen. Doch sollte man sich nicht täuschen: es gehört schon große, künstlerische Fertigkeit und psychologisches Einfühlungsvermögen dazu, als dem Expressionismus zugehörig, sich der Denk- und Gefühlswelt eines Kindes anzupassen und dies entsprechend in Bildern zum Ausdruck zu bringen. Und gerade dieses Bilderbuch gehört ja wohl auch deshalb zu den ansprechenden, kunstpädagogischen Lehrmaterialien, die zum Ziel haben, Kindern Spaß am künstlerischen Schaffen zu vermitteln. Wie es ja auch den Dres. Pientka gegeben ist, ihren Zuhörern die bildende Kunst – auch einführend – in einer Weise zu vermitteln, in der man sich „eingeladen und mitgenommen“ fühlen kann in diese Welt der Künstlerinnen und Künstler, von denen ja die Kunsthistorikerin in ihren Vorträgen zu dieser Thematik jeweils abschließend meint, es gäbe im Grunde keine weibliche oder männliche, sondern „nur“ eine gute oder schlechte Kunst. Hier wurde sie von Dres.Pientka anhand ansprechender, wenn auch einfach scheinender Beispiele erläutert. Im Anhang hier Beispiele aus dem Vortrag zu diesem Bilderbuch:

Bild 1: Kapellan
Tante Ella, mal mir mal ‚n katholischen Mann …
Der wohlgenährte Capellanus wandelt vor der sinnfälligen Kulisse einer gedrungenen Bergkapelle mit spitzem Turmdach. Begleitet wird er von einem spitznasigen und spitzohrigen Hund, der sich horchend und misstrauischen Blicks in der Würde seiner Beschützerrolle spreizt. Er hat sich der meditativen Gangart seines geistlichen Herrn angepasst: Ein schweres Hinterbein vermittelt ebenso den Eindruck von zögerlich-schleppenden Nachtrotten wie das Abrollen seiner von Münter bogig gezeichneten Pfoten. Auch der Hund wirkt hochnäsig; sein gockelhaft-buschiger Schweif, hochgereckt bis über die Ohren, bezeugt Wohlbehagen und Stolz auf die Zugehörigkeit zu einem solch honorigen Vicarius.

Bild 2: Haushälterin
Nun wollte Friedel auch „seine Frau“ sehen ….
Respektheischend steht die Haushälterin mit einer gewaltigen, weißen Schürze in ihrem Machtbereich, der Küche. Korb und Geldbörse deuten ebenso wie die Zeiger der Pendeluhr darauf hin, dass sie für den morgigen Einkauf gerüstet ist. Ihre stramme Frontalstellung wird unterstrichen durch den linealglatten Mittelscheitel und die schnurgerade Knopfleiste des Kleides, das, hochgeschlossen, Unzugänglichkeit bekundet. Alles an ihr ist korrekt und reinlich, und was in ihrem Gesicht so streng und bärbeißig wirkt, hebt Münter auf durch Grazie und Frische von Rosenstämmchen, blankem Kupfergeschirr und der zartgliedrigen Katze, die sich der gewichtigen Weibsperson in Anmut zugesellt.

Bild 3: Photographiermann
Dies Bild sollte G. Münter zeichnen, nachdem Friedel in einer für sie selbst befremdlichen Situation photographiert worden war. Auf einem schmalen Tisch hatte man sie wie auf einem Denkmalssockel dem unter einem dunklen Tuch verkrochenen Photographen präsentiert, damit er ihre Winzigkeit überhaupt mit seiner hochgebockten Kamera einfangen konnte. An dieser labilen Stellung, in der Friedel die Puppe fest umklammert, entfaltet sich Münters Sinn für Komik.




Bild 3: Berliner Straßenszene
Von September 1907 bis April 1908 lebte Münter in Berlin, wohin die Schroeters gezogen waren. Hier konnte sie ihr Patenkind begleiten und sehen, wie gebannt Friedel in dieser farbenreichen Straßenszene auf das verlockende Spielzeugangebot im Bauchladen des Straßenhändlers schaut, auch mit den Wunsch nach den bunten Luftballons. Ihr modisch tailliertes Streifenkleid, bekrönt durch einen kreisrunden Strohhut, die Eleganz der Mutter und die Szenerie mit einem Pferdefuhrwerk vor der geschlossenen Fassade der Mietshäuser sowie einem galanten Herrn, der zum Gruß den Hut lüftet, verdeutlicht den Ortwechsel der Schroeters in die Großstadt.

Bild 5 und 6: Sturz und getröstete Friedel
Diese Bilder gehören zusammen. Der Vater, ein Universitätsprofessor, versucht nach Friedels Missgeschick durch die Schranke des Spazierstockes weiteres Unheil zu verhindern. Das kleine Mädchen ist Friedels jüngere Cousine Annemarie Münter aus Bonn.
Auf dem zweiten Bild steht der Vater schuldbewusst und gescholten wegen seiner mangelnden Wachsamkeit neben seinem Töchterchen, das ihm den Rücken zukehrt.
Die erboste Mutter versucht währenddessen den Tränenfluss zu stillen. Von Schroeters schamhaft gesenktem Kopf über die schlaffen Fingerspitzen bis zum kraftlos entgleitenden Spazierstock zeugt alles an ihm von Zerknirschung und Reue.

Bild 3: Friedel und Cousine Annemarie
Auf diesem Bild werden die beiden Nichten charakterisiert, die brav Hand in Hand dastehen. Friedels kräftiger Arm weist darauf hin, wer hier die Richtung bestimmt. Der raumgreifende Strohhutüber dem üppigem Haar, das schicke Kleid und selbst die Fußstellung der stämmigen Friedel zeugen ebenso wie das enganliegende Häubchen, das hellblaue Hängerchen und die Staunaugen der zierlichen Annemarie von den seelischen Gegensätzlichkeit der beiden Cousinen.




Bild 8: Waske hält Mittagsschlaf
Hier wird der Kater Waske vorgestellt, der Hausgefährte von Münter und Kandinsky während ihres Aufenthaltes von Mai 1906 bisJuni 1907 in Sèvres (Frankreich). Der schnurrende und anschmiegsame Kater war auch Münters Seelentröster nach der Umsiedlung nach Paris.





Bild 9: Auguste ist krank
In diesem Bild – entstanden in Berlin - ist die Puppe Auguste – in Erinnerung an die Köchin und Haushälterin – die Köchin in Friedels Puppenhaus. Münter amüsierte sich stets darüber, dass Friedel die arme Auguste mit ihrer Schürze stets verkehrt herum ins Bett legte – mit dem Kopf ans niedrigere Fußende. Medizinflasche, Löffel und Pillendose stehen auf dem Nachttisch.






Bild 10: Detta und Sophie am Spülen
Die Beiden sind die „Augusten“ der Schroeters. Sie spülen und trocknen das Geschirr vor der gekachelten Küchenwand ab, die durch eine Petroleumlampe erhellt wird und an der ein Fließwasser spendender Hahn noch fehlt. Kannen, Spülstein und das schräge Abtropfbrett bilden eine realistische Kulisse, vor der die Bewegungsstudie der beiden in ihre Arbeit vertieften Frauen überzeugend gelungen ist.





Bild 11: Ein Paar in Paris
Ebenfalls eine Erinnerung an Paris. Der Park vor dem Eiffelturm soll die gelöste Atmosphäre der französischen Hauptstadt vermitteln, die man als „Stadt der Liebe“ rühmte. Die adrette schwarzhaarige Schöne steht trotz koketter Abwehr liebesbereit dar, ihre Augen funkeln geradezu der Attacke des angriffsbereiten, schnauzbärtigen Flics entgegen. Ein in Mimik und Gebärde ausdrucksstarkes Bild, das auch farblich und kompositorisch besticht.




Bild 12: Schlafende Friedel
Hier Friedel, der üppige Blondschopf, mitten im Spiel vom Schlaf übermannt. Sie liegt auf einem Sofakissen und hält ein Stofftier noch fest in der Hand. Der umgesunkene Teddybär deutet in seiner schlaffen Bauchlage auf die umwerfende Müdigkeit, die dem Spiel folgte. Als Gegenpol findet man die aufrecht sitzende, hellwach blickende Clownpuppe, deren Name als „Humpty-Dumpty“ (dick und rund – auch ‚Goggelmoggel‘ – Lewis Carroll ‚Alice hinter den Spiegeln‘) überliefert ist und die mehrfach auch in anderen Zeichnungen Münters vorkommt.



Bild 13: Aufstieg zur Riederalp
Eine Erinnerung an eine mit Kandinsky bewältigte Wanderung. Am 19. August schaffen sie den Aufstieg zur Riederalp. Vier Stunden quälen sie sich bei belastender Hitze die Serpentinen hinauf. Auch der Hinweis auf die „schöne sonnige Lage“ des Hotels bietet wenig Verlockung. Mit dem Schneegebirge, dem Gipfelhotel und dem schweißtreibenden Anstieg unter der Last der schweren Rucksäcke will Münter Friedel anschaulich solch eine Tour vermitteln.




Bild 15: Dame mit Kind
Alexander Sacharoff war 1904 zu der Künstlervereinigung München gestoßen. Er und vier weitere Künstler finden sich auch in dem Bilderbuch. Für Friedel zeichnet er eine anmutige Szene: Ein barfüßiges Kinde, dessen bühnengerechtes Reifrockkleidchen sich über einer Spitzenhose bauscht, streckt der im Baumschatten lesenden Dame einen Blumenstrauß entgegen.






Bild 16: Kreml-Stadt
Kandinsky malt ein Aquarell für Friedel. Auf wasserumspültem Felsen steht eine lockend bunte Kreml-Stadt, die von einer gewaltigen Schutzmauer umgeben ist und damit schroff und unzugänglich wirkt. Blau setzt er ein für Himmel und Wasser und deren Strahlkraft steht für Sehnsucht und kosmische Weite. Das Wolgaschiff mit dem Wikingerbug steht hier nicht für geglückte Lebensfahrt, sondern zeigt durch die aufgerichteten Speere das Kriegerische, das sich gegen die thronende, kahle Festung wendet. Diese gesellschaftskritische und gesellschaftsverändernde Aussage wird sich sicher Friedel verschlossen haben.

Bild 18: Bühnenspiel der Russenmädchen
Marianne Werefkin, ebenfalls in der Künstlervereinigung München, zeigt in ihrem Schaffen oft die Welt, in der die Menschen wie ferngesteuerte Marionetten agieren.

So zeichnet sie für Friedel eine typische Szene. Der Vorhand ist geöffnet und die Bühne wird von zwei puppigen, aggressiv deklamierenden Kindergestalten beherrscht. Folkloristisch wirken Hauben und Reifrockkleider.

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