Dienstag, 9. Juli 2013

Ungewohntes in St. Blasii

Die „9.Nacht der Kirchen“ in Nordhausen ist vorüber und je nach Teilnahme an dem ausgesprochen umfangreichen Programm mag einiges schon wieder verblasst sein, anderes zum Nachdenken angeregt haben. Und schließlich gab es auch Programm-Angebote, die ob ihrer Darbietungen beeindruckten oder auch überraschten.

Meine Teilnahme beschränkte sich eigentlich aus physischen Gründen nur auf ein Angebot, von dem mich freute, dass es so relativ früh geboten wurde: „Lieder über die Liebe“ in der Kirche St. Blasii. Nun sind derartige musikalische Angebote in einer Kirche ja längst nicht mehr ungewöhnlich, die Konfessionen und Glaubensgemeinschaften haben sich in ihren Andachtstätten geöffnet, und tragen inzwischen dem Trend der Zeit und den Ansprüchen der jüngeren Generationen Rechnung.
Was mich am Programm in der Blasii-Kirche neugierig machte war also weniger das Liedangebot selbst, als die Interpretation durch den Chor der Nordhäuser Kantorei unter der Leitung von Kantor Michael Kremzow. Denn Lieder dieses Genres hat man von diesem Chor meines Wissens noch nie gehört.

Und ich nehme vorweg: auch das war eine hervorragend, einstudierte und dargebotene musikalische Leistung, zu der nicht nur die Lieder selbst gehörten – am Klavier ausgezeichnet begleitet von Kuniko Kobayashi – sondern auch die Textvorträge und Überleitungen durch die Moderatorin Viola Kremzow, sonst als Altistin im Ensemble der Kantorei bekannt, und Frau des Kantors Michael Kremzow. Das ist hier deshalb von besonderer Bedeutung, weil die Moderatorin gleich eingangs daran erinnerte, dass ja an diesem Samstag der „Internationale Tag des Kusses“ war. Und ihre Ausführungen dazu den Kantor spontan veranlassten, sein Dirigentenpodest zu verlassen, um seine Frau demonstrativ unter dem Beifall des Publikums zu küssen.

Der so begonnene Auftakt vollzog sich also schon in themengemäßer Atmosphäre, die durch das Zusammenwirken von Chor, Klavier und Moderation über die gesamte Dauer der Aufführung erhalten blieb. Und auch das zeigte, dass die Kantorei auch einen Liederabend diesen Inhalts in gewohnter Qualität anzubieten vermag. Wobei mir unwillkürlich der Erkenntnissatz einfällt: „Qualität beginnt da, wo der Standard aufhört“.

Dazu stimmte die Moderatorin mit ihrem einführenden Text ein, der hier nur kurz zitiert wird, in einem weiteren Beitrag aber gesamttextlich wiedergegeben werden soll: „Alle Werke, die heute erklingen, sind im Original Stücke für eine Singstimme und Klavier und waren ursprünglich für das heimische Wohnzimmer und den Vortrag vor kleinem Publikum gedacht. Da Sie heute so zahlreich erschienen sind, mussten wir die Anzahl der Sänger ebenfalls erweitern. Somit erklingen heute weltweit zum ersten Mal die Bearbeitungen dieser Lieder für großen Chor und Klavier.“

Dazu nun stellte sich der Chor nicht im sonst gewohntem feierlichen Outfit vor, man hatte zwanglos in individueller Kleidung Aufstellung genommen, was allerdings das einzige erkennbare Zugeständnis an deren Individuität war. Denn schon die innere Begeisterung, oder Besinnlichkeit, die in dem Gesang der Chormitglieder Ausdruck fand, war erkennbar in der Einstudierung berücksichtigt und zusammengefasst worden. Ich bedauerte lediglich, dass die zierliche Kuniko Kobajashi mit ihrem Klavier aus Sicht des Zuhörers so ganz hinter dem Dirigenten verschwand. Und so konnte man nur hören, wie gefühlvoll und den Vorträgen des Chores angepasst Kobayashi ihr Instrument „betastete“, wie die Moderatorin es beschrieb.

Und dann also wurde in St. Blasii ein Liederprogramm geboten, von dem man tatsächlich den Eindruck gewinnen konnte, die Interpreten seien insgesamt „von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, so wurde gejubelt, Sehnsucht bekannt, Liebe beteuert und Besinnlichkeit hörbar gemacht. Der Chor zog alle Register, vom Klavier begleitet, um das musikalisch wiederzugeben, was die Liedtexte besagten. Und in den Überleitungstexten verheißen wurde. Das recht umfangreiche Programm begann mit „Dichterliebe“ von Robert Schumann, beinhaltete u.a. „Ungeduld“ von Franz Schubert und endete mit Lieblingsliedern wie „Der Mond ist aufgegangen“ von Matthias Claudius. Ich fand Einstudierung und Wiedergabe hervorragend und die Zwischentexte gekonnt gewählt. Zu dem abschließend auch der Hinweis gehörte: „Beim letzten Stück sind eventuell auftretende Ähnlichkeiten zu lebenden oder nicht mehr wehrfähigen Komponisten und deren bekanntester Werke durchaus gewollt. Für
Risiken und Nebenwirkungen wird keine Haftung übernommen.“

Der Schlusspunkt dieses Beitrags soll die Danksagung der Programmgestalter sein, der man sich anschließen konnte, weil sie wichtig war: „Wir danken der Stadt Nordhausen – insbesondere dem Kulturamt – für die Unterstützung bei der Durchführung der „Nacht der Kirchen“. Darüber hinaus gilt unser Dank dem Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur sowie dem Ev. Kirchenkreis Südharz für die finanzielle Unterstützung, ohne die diese Veranstaltung nicht möglich wäre.“ Und mein persönlicher Dank gilt der Nordhäuser Kantorei, die mir und den vielen Zuhörern in dieser Nacht in St. Blasii diesen ungewöhnlichen Hörgenuss bescherten.


Ich habe in dieser „Nacht der Kirchen“ nur diesen Liederabend erlebt, damit aber wohl eines der heitersten und schönsten Angebote. Es war ein Erlebnis, das mich veranlasst, auch wegen der Überleitungstexte noch einmal gesondert darauf einzugehen.

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