Samstag, 28. Juni 2014

Sondershäuser Schlossfestspiele: „MY FAIR LADY“ begeistert aufgenommen

Dass das Theater Nordhausen über hervorragende Ensembles (Schauspieler, Orchester, Chor und Ballett) verfügt, weiß man in kulturinteressierten Kreisen. Zu welch herausragender Leistung diese Ensembles in ihrem Zusammenwirken fähig sind, wurde einmal mehr deutlich
bei der Premiere von „MY FAIR LADY“ bei den diesjährigen Schlossfestspielen am Freitag in Sondershausen. Das scheinen auch die „himmlischen Mächte“ vorausgesehen zu haben und warteten mit der Öffnung der Regenschleuse bis nahezu dem Ende der Aufführung, um diese Leistung nicht zu beeinträchtigen. Und das Erlebnis für die Zuschauer nicht zu mindern.

Gespannt war man ja, wie dieses wohl berühmteste Musicals der Welt auf der Bühne des Sondershäuser Schlosses mit Leben erfüllt werden würde. Kennt doch wohl Jeder die unverwüstlichen Evergreens oder Hits „Ich hätt’ getanzt heut Nacht“, „Hei,
heute morgen mach’ ich Hochzeit“ oder „In der Straße, mein Schatz, wo du lebst“. Und natürlich „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen“ - unschlagbar seit 1956! Dass die Handlung Witz, Satire und Sentiment mit unbedingter Fröhlichkeit verbindet erwartet man. Und dass jedes Lied in diesem Musical ein echter Weltschlager ist weiß man. Und der Musikliebhaber weiß ebenso, dass vor allem in den 50er und 60er Jahren zahllose Künstler, egal ob im Jazz, im Bossa Nova, im Mambo oder in der orchestralen Unterhaltungsmusik zu eigenen, oft ganz individuellen Versionen des kompletten Werks inspiriert wurden. Und nun auf der Bühne des Sondershäuser Schlosshofes!?
Die Geschichte des Musicals dürfte allgemein bekannt sein und wurde auch in der Einführung am 20 Juni im Blauen Saal des Schlosses ausführlich erörtert und mit „Kostproben“ bereichert: Auf dem Festplatz vor der Covent Garden Opera des Jahres 1912 trifft Phonetikprofessor Henry Higgins (Thomas Kohl), eine Kapazität in Sachen Sprachen und Dialekte, aber ohne alle gesellschaftliche Manieren und lange auch bar jedes zwischenmenschlichen Empfindens, zufällig Oberst Pickering (Helmut Kleinen), einem gerade aus Indien zurückgekehrten Fachkollegen. Ihr Gespräch konzentriert sich in dessen Verlauf auf die Frage, ob es wohl möglich ist, aus dem einfachen Blumenmädchen Eliza Doolittle (Désirèe Brodka) das Higgins zuvor durch ihre vulgäre Mundart aufgefallen war, allein durch Umformung der Sprache eine Lady der High-Society werden zu lassen? Higgins ist sich dessen sicher und geht darüber sogar eine Wette mit Pickering ein. Eliza, Tochter des Müllkutschers Alfred P. Doolittle (Thomas Bayer) wird zu
seinem wissenschaftlichen Objekt, das er Tag und Nacht mit Sprachübungen sekkiert, beginnend mit: „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühn ...". Demgegenüber vermutet Vater Doolittle hinter dem Aufenthalt seiner Tochter im Haus des Professors eine Liebesaffäre. Er versucht, die Situation finanziell auszunutzen, wird aber abgewiesen. Zumal der eingefleischte Junggeselle Higgins bei seinem Bemühen zunächst nicht bemerkt, dass Eliza kein seelenloses Objekt ist, sondern eine junge Frau mit eigenen Sehnsüchten und Träumen.

Das also ist zentrales Thema dieses Musicals, an dessen Premiereerfolg am Freitag alle beteiligt waren, die sich darum mühten. Das begann bei der doppelseitigen Drehbühne, für die Wolfgang Kurima Rauschning verantwortlich zeichnete, setzte sich fort bei der Inszenierung von Toni Burkhardt, der Choreographie von Jutta Ebnother, der Choreinstudierung durch Elena Pierini und den variantenreichen Kostümen von Anja Schulz-Hentrich, in denen die Akteure jeweils erschienen. Und nicht zu vergessen die musikalische Leitung durch Michael Ingram, der mit dem Loh-Orchester Solisten und Chor in einer Weise begleitete, die einmal mehr die Unverwüstlichkeit dieser Melodien bestätigten.

Bei allen zu würdigenden Leistungen der Akteure ragte im Bühnengeschehen die Rolle des Thomas Kohl als Henry Higgins meines Erachtens weit heraus und stellte eine Glanzleistung dar. Erstaunlich nur, dass sich der doch gebildete Sprachwissenschaftler bei seiner Geringschätzung des Blumenmädchens Eliza einer derart schockierenden Wortwahl befleißigte, dass die schon wieder erheiternd wirkte. Dagegen wirkte das proletenhafte polternde Auftreten Elizas Vater schon wieder normal.

Nachdem also die mit drakonischer Strenge unterwiesene Eliza endlich Sätze wie „Es grünt so grün...“ fehlerfrei zu sagen vermochte, erfolgt anlässlich des Pferderennens in Ascot ein erster Versuch, sie der gehobenen Gesellschaft vorzustellen. Er scheitert kläglich, weil Eliza ihr Pferd mit derart ordinären Sprüchen anfeuerte, dass sich die umstehenden Damen schockiert abwendeten. Zu denen auch die äußerst vornehm wirkende Mutter Higgins (Uta Haase) gehörte. Desungeachtet weckt Eliza mit ihren ordinären Äußerungen das Interesse des jungen Freddy Eynsford-Hill (Marian Kalus), der ihr vortan den Hof machte.

Higgins ist weiter von seiner Bildungsmission gegenüber Eliza überzeugt und führt sie nach weiteren intensiven Sprachübungen beim Diplomatenball erneut in die Gesellschaft ein. In der sie diesmal durch ihre Schönheit, ihre äußerst attraktive Garderobe und ihr perfektes Auftreten überzeugt. Higgins und Pickering gratulieren sich gegenseitig zu ihrem Erfolg. Das Objekt ihrer Wette verlieren sie dabei völlig aus den Augen. Eliza versucht wutentbrannt den Weg zurück in ihr früheres Umfeld, doch dort kennt man sie nicht mehr. Selbst ihr Vater Doolittle der durch Higgins Vermittlung zwischenzeitlich zum wohlhabenden Mann wurde, will nichts mehr von ihr wissen.

Erneut kommt es schließlich zu einer Konfrontation zwischen der nun emanzipierten Eliza und dem anscheinend unverbesserlichen Junggesellen Higgins im Hause von dessen Mutter. Nun aber merkt er, dass ihm Eliza doch nicht gleichgültig ist. Gerade als er sich die Aufnahmen von Elizas Stimme anhört, tritt sie unerwartet in den Raum. Bezeichnend dann allerdings die Schlussszene, in der ihn Eliza vermeintlich unterwürfig mit „Ihre Pantoffeln, Professor Higgins“ bewirft. Eine besondere Art des Zusammenfindens.


Im Resumee meine ich, dass dieses Musical jedenfalls auf der Schlossbühne weniger an Broadway erinnert als an eine Wiener Operette. Der Komponist Loewe war ja emigrierter Österreicher und weitgehend immun gegen anglo-amerikanische Populärkultur. Die schönen Kostüme
entwickeln sowohl optisch als auch ästhetisch Reize, die bei den Zuschauern sichtlich Anerkennung findet. Die auf der Bühne umgesetzte Choreografie des Ensembles strahlt Lebensfreude aus, das Spieltempo ist flüssig und präzise. Das Orchester unterstützt die Sänger, wie schon bemerkt, beim Offerieren der Hits und lässt die Ensembles musikalisch wirken. Toni Burkhardt zeigt den Professor Higgins sehr glaubhaft als in seine sprachlichen Vorstellungen verbohrten Egozentriker. Der willkürlich mit seinem Spielzeug Eliza umgeht und es einfach vergisst als es seinen Zweck erfüllt hat. So rückt Higgins überraschend in die Nähe von Elizas hemmungslosem Arbeiter-Vater, den Thomas Bayer mit so viel derb-hemmungslosem Charme
ausstattet, dass man vergisst, dass er für seine Songs noch zu wenig Whiskey in der Stimme hat. Die Rolle des lange um Ausgleich bemühten Oberst Pickering als Sympathieträgers fiel dem souverän wirkenden Helmut Kleinen zu. Mittelpunkt des Abends ist natürlich neben Higgins Désirèe Brodka als Eliza. Eine gut aussehende, selbstbewusste junge Frau, die unter Higgins’ Psychoterror leidet und sich unter Mühen von ihm emanzipiert, so dass es nur zur Andeutung eines Happy End kommt. Brodka spielt glaubwürdig und scheint zunächst jedenfalls die beleidigenden Äußerungen Higgins ungerührt zu ertragen. Und trifft mühelos den anspruchvollen hohen Ton am Ende von „Ich hätt’ getanzt heut’ Nacht“ Offenbar aber scheint der Berliner Dialekt , der in dem Stück gesprochen wird, als Merkmal für untere soziale Schichten zu gelten, heute sicher nur noch ein Relikt aus früheren Zeiten. Ich meine, diese „MY FAIR LADY“ ist leichte Unterhaltung im besten Sinne. Der begeisterte Beifall während und am Ende des Musicals war Beweis dafür. Der heftiger beginnende Regen konnte den ausgezeichneten Gesamteindruck nicht mehr beeinträchtigen. (Fotos: Tilman Graner und eigene)

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