In der Internetzeitung erschien aktuell ein Artikel, in dem Roland Handrek,
Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU
Nordhausen (MIT) die Auffassung vertritt (Zitat): „Das
Mindestlohngesetz bürdet den Unternehmen schwere Belastungen auf,
die viele noch nicht mal ahnen“(Ende des Zitats).
Dem
wird hier das gerade erschienene Ergebnis einer Untersuchung der
Hans-Böckler-Stiftung gegenüber gestellt, in dem festgestellt und
begründet wird: "Keine
Belege für negative Arbeitsmarkteffekte durch Mindestlöhne –
Ausnahmen schwächen Effektivität"
Der
geplante gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro ist notwendig und
geeignet, um zu verhindern, dass das Lohnniveau in Deutschland immer
weiter nach unten ausfranst. Die Probleme des großen deutschen
Niedriglohnsektors lassen sich durch einen Mindestlohn allein
allerdings nicht lösen, dafür ist zusätzlich eine generelle
Stärkung des Tarifsystems nötig. Die Bundesregierung verfolgt auch
in dieser Frage Ansätze in die richtige Richtung. Im europäischen
Vergleich ist das Niveau des deutschen Mindestlohns sowohl nach
absoluten als auch nach relativen Maßstäben moderat. Die neuere,
methodisch fortgeschrittene internationale Forschung kommt zu dem
Ergebnis, dass sich keine signifikanten Beschäftigungswirkungen von
Mindestlöhnen feststellen lassen. Auch die Evaluation der
Branchenmindestlöhne in Deutschland hat keine negativen
Beschäftigungseffekte festgestellt. Gegenüber solchen Ergebnissen
empirischer Forschung sind ökonometrische Simulationsrechnungen, auf
deren Grundlage einige deutsche Forschungsinstitute eine negative
Wirkung von Mindestlöhnen annehmen, nicht aussagekräftig. Das sind
Kernergebnisse einer neuen Studie von Prof. Dr. Gerhard Bosch und Dr.
Claudia Weinkopf.*
In ihrer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Untersuchung arbeiten die Wissenschaftler des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen den in- und ausländischen Forschungsstand zu Niedrig- und Mindestlöhnen umfassend auf. Dass in der deutschen Debatte um eine allgemeine Lohnuntergrenze nach wie vor „teilweise apokalytische Drohungen“ mit Arbeitsplatzverlusten kursierten, erklären die Forscher auch damit, dass neuere Erkenntnisse aus internationalen Untersuchungen auch in Expertenkreisen noch „vielfach ignoriert“ würden. Dabei seien die Voraussetzungen für eine erfolgreiche und problemlose Einführung des Mindestlohnes günstig, konstatieren Bosch und Weinkopf: Deutschland zählt nach Studien der EU zu den Innovationsführern in Europa, daher könnten Betriebe gut mit Effizienzsteigerungen auf die Lohnuntergrenze reagieren. Dies gelte auch für Klein- und Mittelbetriebe. Die Qualifikation der meisten Beschäftigten im Niedriglohnbereich erleichtere die Einführung des Mindestlohns ebenfalls: Gut drei Viertel der Beschäftigten mit Stundenlöhnen unter 8,50 Euro haben einen beruflichen oder akademischen Abschluss.
Das Gesetzesvorhaben der Bundesregierung nennen die IAQ-Forscher auch mit Blick auf Erfahrungen aus dem Ausland „bedacht und vorsichtig“: Die Unternehmen hätten mehr als ein Jahr Zeit erhalten, um sich auf den Mindestlohn vorzubereiten. Zudem gebe es die Möglichkeit, durch allgemeinverbindliche Tarifverträge bis Ende 2016 das Lohnniveau schrittweise anzupassen. Die Perspektive, den Mindestlohn frühestens 2017 oder 2018 anzupassen, räume der Wirtschaft zusätzlich „lange Anpassungsfristen mit einem moderaten Mindestlohnniveau ein“. Ausnahmen vom allgemeinen Mindestlohn sehen die Forscher kritisch: Sie würden „Tür und Tor für die Nichteinhaltung des gesetzlichen Mindestlohns öffnen“. Außerdem erschwerten „Ausnahmeregelungen die Effektivität von Kontrollen“. Eine konsequente Überprüfung der Einhaltung und abschreckende Sanktionen bei Verstößen seien aber entscheidend für die Akzeptanz bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern: „Die Erfahrungen im In- und Ausland zeigen, dass ein Mindestlohn bei den Unternehmen akzeptiert wird, wenn sie sicher sein können, dass er auch von Konkurrenten bezahlt wird.“
Die Ergebnisse des Forschungsüberblicks im Einzelnen:
– Expansion von Niedriglöhnen in Deutschland–
Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich die Ordnung auf dem Arbeitsmarkt grundlegend geändert, so Bosch und Weinkopf. Die „traditionelle Verknüpfung von wirtschaftlicher Effizienz und gesellschaftlicher Solidarität“ habe sich aufgelöst. Der Niedriglohnsektor ist auf ein auch im europäischen Vergleich sehr hohes Niveau gewachsen: So lag der Anteil der Beschäftigten mit Stundenlöhnen unter 8,50 Euro 2012 zwischen knapp 14 und knapp 20 Prozent – je nachdem, ob die vertraglichen oder die tatsächlichen Arbeitszeiten zugrunde gelegt wurden. Das entspricht zwischen 4,7 und 6,8 Millionen Menschen. Die positiven Erwartungen, die hiermit verbunden waren, seien nicht eingetreten, konstatieren die Forscher. „Weder haben sich die Beschäftigungschancen gering Qualifizierter verbessert noch ist prekäre Arbeit zum Sprungbrett in reguläre Beschäftigung geworden.“
Dadurch, dass Deutschland mit einem gesetzlichen Mindestlohn deutlich länger gewartet habe als die meisten Nachbarn, sei das Lohnsystem hierzulande „nach unten stark ausgefranst“. Im Jahr 2012 verdienten mehr als 2,5 Millionen Beschäftigte weniger als 6 Euro pro Stunde. Die Einführung des Mindestlohns bezeichnen die Forscher vor diesem Hintergrund als „eine der größten Sozialreformen der Nachkriegszeit“.
–Wirkungen von Mindestlöhnen theoretisch unbestimmt–
In der ökonomischen Theorie lasse sich kein strikter Zusammenhang zwischen Mindestlöhnen und Beschäftigung ableiten, betonen Weinkopf und Bosch. Nur unter sehr restriktiven Modellannahmen seien die Auswirkungen eindeutig negativ: In einer statischen Wirtschaft ohne Arbeitgeberübermacht, ohne dynamische Unternehmer und Beschäftigte und ohne staatliche Innovations- und Bildungspolitik würde eine gesetzliche Lohnuntergrenze zwangsläufig Jobs kosten. Mit der Realität hätten entsprechende Modelle allerdings wenig zu tun, urteilen die Gutachter. Zum einen dürften höhere Löhne im unteren Einkommensbereich erhebliche Nachfrageeffekte auslösen, da die betroffenen Gruppen zusätzliches Einkommen weitgehend konsumieren. Zum anderen sei in der Regel davon auszugehen, dass ein Machtgefälle zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern besteht. In diesem Fall könne ein Mindestlohn sogar zu mehr Beschäftigung beitragen.
Darüber hinaus sei die Produktivität von Beschäftigten keine feststehende Größe. Bei Einführung eines Mindestlohns könnten die Unternehmen durch neue Technologien, Weiterbildung und Veränderungen der Arbeitsorganisation ihre Effizienz erhöhen. Die Voraussetzungen dafür seien in Deutschland günstig, weil der Anteil der qualifizierten Beschäftigten im Mindestlohnbereich größer sei als in vielen anderen Ländern und die Unternehmen generell innovativ, konstatieren die Forscher. Weiterhin steigen im ökonomischen Modell durch höhere Löhne die Motivation, die Leistung sowie die Betriebsbindung der Beschäftigten. Letztlich müssten Arbeitsmarkteffekte von Mindestlöhnen aber empirisch erforscht werden.
–Ergebnisse der neuen empirischen Mindestlohnforschung: Keine negativen Beschäftigungseffekte–
Bosch und Weinkopf zeigen in ihrem detaillierten Forschungsüberblick, dass die Methoden der empirischen Mindestlohnforschung vor allem in den USA und Großbritannien in den letzten 20 Jahren deutlich weiter entwickelt worden sind. Neuere Studien und Meta-Analysen kommen ganz überwiegend zu dem Ergebnis, dass die Beschäftigungswirkungen von Mindestlöhnen gering sind. Das gilt in den USA nicht nur für den relativ niedrigen national minimum wage, sondern auch für deutlich höhere regional verpflichtende „living wages“. Es kann zu leichten Preissteigerungen kommen, die aber in der Regel keine negativen Beschäftigungswirkungen haben. Mindestlöhne tragen dazu bei, die Fluktuation der Beschäftigten im Niedriglohnsegment zu verringern, so dass die Unternehmen erheblich weniger für die Suche, Einarbeitung und Weiterbildung von Beschäftigten aufwenden müssen.
Auch die Evaluationen zu den Wirkungen der Branchenmindestlöhne in Deutschland, die teilweise deutlich über 8,50 Euro liegen, sind im Jahr 2011 übereinstimmend zum Ergebnis gekommen, dass sich keine negativen Beschäftigungseffekte feststellen ließen.
–Neuere empirische Forschung in Deutschland oft ignoriert–
In den USA und in Großbritannien hätten viele Ökonomen, darunter mehrere Nobelpreisträger, unter dem Eindruck des neuen Forschungsstands ihre zuvor kritische Einschätzung von Mindestlöhnen geändert, so die Forscher des IAQ. In Deutschland werde der neue Forschungsstand hingegen vielfach noch ignoriert. So stütze beispielsweise die Mehrheit der „Wirtschaftsweisen“ in ihrem Jahresgutachten 2013/2014 ihre Ablehnung von Mindestlöhnen vor allem auf einen einzelnen Forschungsüberblick zweier amerikanischer Forscher aus dem Jahr 2006. Diese Beschränkung sei gleich aus zwei Gründen problematisch: Einmal sei die betreffende Arbeit unter US-Wissenschaftlern wegen einer einseitigen Literaturauswahl umstritten. Zweitens erschienen die methodisch anspruchsvollsten Mindestlohnstudien, vorgelegt von einem Team um den Berkeley-Professor Michael Reich, erst 2010. Sie ermittelten keine signifikanten Beschäftigungseffekte und wurden unter Fachleuten sowohl in den USA als auch in Europa breit wahrgenommen.
Dagegen fänden Simulationsrechnungen zu drohenden Beschäftigungsverlusten in Deutschland immer wieder erhebliche öffentliche Beachtung, analysieren die IAQ-Forscher. Das überrasche, blieben solche Studien doch „Modellrechnungen und sind nicht der harte empirische Test unterschiedlicher aus der Theorie abgeleiteter Hypothesen, der diese Hypothesen auch falsifizieren kann.“ Die Autoren solcher Studien arbeiteten zwangsläufig lediglich mit Annahmen, zum Beispiel bei der „Elastizität“, mit der die Arbeitskräftenachfrage auf Lohnerhöhungen reagiere. Bosch und Weinkopf analysieren mehrere dieser Studien. Ihr Fazit: Viele „unterstellen Elastizitäten, die von der empirischen Mindestlohnforschung nicht bestätigt werden. Die Annahmen sind aus der Luft gegriffen“.
–Der geplante Mindestlohn: im europäischen Vergleich moderat–
Der in Deutschland vorgesehene gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde ist nach Einschätzung der Forscher „im europäischen Vergleich sowohl absolut als auch relativ eher moderat“. Er liegt unter den Mindestlöhnen der westlichen Nachbarländer Frankreich, Belgien und den Niederlanden, wo mindestens zwischen 9,10 und 9,53 Euro gezahlt werden müssen. Auch der relative Wert im Vergleich zum Medienlohn bewege sich mit 51 Prozent im europäischen Mittelfeld. Zudem werde dieser Wert durch das geplante Einfrieren des Mindestlohnniveaus bis 2017 oder 2018 weiter sinken.
In Ländern mit überwiegend innovativen Betrieben können höhere Mindestlöhne ohne Nachteile für die Beschäftigung gezahlt werden als in weniger innovativen Ländern, betonen die Wissenschaftler. Nach den Innnovationsindikatoren der EU zählt Deutschland zusammen mit der Schweiz, Schweden, Dänemark und Finnland zur Spitzengruppe der Innovationsführer in Europa. Das gelte auch im Bereich der Klein- und Mittelunternehmen. Zugleich seien die deutschen Arbeitskosten deutlich niedriger als in den meisten dieser Länder.
–Die Gesetzespläne der Bundesregierung–
Bosch und Weinkopf werten es positiv, dass die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns nach den Plänen der Bundesregierung in ein Maßnahmebündel zur Stärkung der Tarifautonomie eingebettet ist. Dies sei wichtig, da – wie andere Länder zeigen – nur eine Kombination von Mindestlohn und Stärkung der Tarifverträge zu einer wirksamen Eindämmung des Niedriglohnsektors beitragen könne.
Grundsätzlich biete der vorgesehene bundeseinheitliche Mindestlohn von 8,50 Euro, der mit wenigen Ausnahmen für bestimmte Personengruppen für alle Beschäftigten gilt, den Vorteil einer großen Transparenz und Eindeutigkeit, schreiben die Wissenschaftler. Dies gelte allerdings nur, „wenn im anstehenden Beratungsprozess zum Gesetzentwurf keine weiteren Ausnahmen zugelassen werden“. Auch dass für Langzeitarbeitslose bei Aufnahme einer Arbeit sechs Monate lang der Mindestlohn nicht gelten solle, bewerten die Wissenschaftler kritisch: Die Ausnahmeregelung sei „in hohem Maße missbrauchsanfällig“. Für die Betroffenen könne dies dazu führen, dass sie zwischen Arbeitslosigkeit und kurzfristigen Beschäftigungen „pendeln“ und auch auf Dauer keinen Anspruch auf Mindestlohn bekommen.
Schließlich müsse die Bundesregierung nicht nur vorab, sondern auch im weiteren Umsetzungsprozess unmissverständlich signalisieren, „dass es ihr mit der Durchsetzung und Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns in allen Branchen und bei allen Beschäftigungsformen tatsächlich ernst ist“, schreiben Weinkopf und Bosch. „Dazu gehören auch Sanktionen. Um einen hohen Grad der Einhaltung des Mindestlohns zu erreichen, müssen die Kosten der Nicht-Einhaltung eines gesetzlichen Mindestlohns für Betriebe höher sein als dessen Einhaltung.“
In ihrer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Untersuchung arbeiten die Wissenschaftler des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen den in- und ausländischen Forschungsstand zu Niedrig- und Mindestlöhnen umfassend auf. Dass in der deutschen Debatte um eine allgemeine Lohnuntergrenze nach wie vor „teilweise apokalytische Drohungen“ mit Arbeitsplatzverlusten kursierten, erklären die Forscher auch damit, dass neuere Erkenntnisse aus internationalen Untersuchungen auch in Expertenkreisen noch „vielfach ignoriert“ würden. Dabei seien die Voraussetzungen für eine erfolgreiche und problemlose Einführung des Mindestlohnes günstig, konstatieren Bosch und Weinkopf: Deutschland zählt nach Studien der EU zu den Innovationsführern in Europa, daher könnten Betriebe gut mit Effizienzsteigerungen auf die Lohnuntergrenze reagieren. Dies gelte auch für Klein- und Mittelbetriebe. Die Qualifikation der meisten Beschäftigten im Niedriglohnbereich erleichtere die Einführung des Mindestlohns ebenfalls: Gut drei Viertel der Beschäftigten mit Stundenlöhnen unter 8,50 Euro haben einen beruflichen oder akademischen Abschluss.
Das Gesetzesvorhaben der Bundesregierung nennen die IAQ-Forscher auch mit Blick auf Erfahrungen aus dem Ausland „bedacht und vorsichtig“: Die Unternehmen hätten mehr als ein Jahr Zeit erhalten, um sich auf den Mindestlohn vorzubereiten. Zudem gebe es die Möglichkeit, durch allgemeinverbindliche Tarifverträge bis Ende 2016 das Lohnniveau schrittweise anzupassen. Die Perspektive, den Mindestlohn frühestens 2017 oder 2018 anzupassen, räume der Wirtschaft zusätzlich „lange Anpassungsfristen mit einem moderaten Mindestlohnniveau ein“. Ausnahmen vom allgemeinen Mindestlohn sehen die Forscher kritisch: Sie würden „Tür und Tor für die Nichteinhaltung des gesetzlichen Mindestlohns öffnen“. Außerdem erschwerten „Ausnahmeregelungen die Effektivität von Kontrollen“. Eine konsequente Überprüfung der Einhaltung und abschreckende Sanktionen bei Verstößen seien aber entscheidend für die Akzeptanz bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern: „Die Erfahrungen im In- und Ausland zeigen, dass ein Mindestlohn bei den Unternehmen akzeptiert wird, wenn sie sicher sein können, dass er auch von Konkurrenten bezahlt wird.“
Die Ergebnisse des Forschungsüberblicks im Einzelnen:
– Expansion von Niedriglöhnen in Deutschland–
Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich die Ordnung auf dem Arbeitsmarkt grundlegend geändert, so Bosch und Weinkopf. Die „traditionelle Verknüpfung von wirtschaftlicher Effizienz und gesellschaftlicher Solidarität“ habe sich aufgelöst. Der Niedriglohnsektor ist auf ein auch im europäischen Vergleich sehr hohes Niveau gewachsen: So lag der Anteil der Beschäftigten mit Stundenlöhnen unter 8,50 Euro 2012 zwischen knapp 14 und knapp 20 Prozent – je nachdem, ob die vertraglichen oder die tatsächlichen Arbeitszeiten zugrunde gelegt wurden. Das entspricht zwischen 4,7 und 6,8 Millionen Menschen. Die positiven Erwartungen, die hiermit verbunden waren, seien nicht eingetreten, konstatieren die Forscher. „Weder haben sich die Beschäftigungschancen gering Qualifizierter verbessert noch ist prekäre Arbeit zum Sprungbrett in reguläre Beschäftigung geworden.“
Dadurch, dass Deutschland mit einem gesetzlichen Mindestlohn deutlich länger gewartet habe als die meisten Nachbarn, sei das Lohnsystem hierzulande „nach unten stark ausgefranst“. Im Jahr 2012 verdienten mehr als 2,5 Millionen Beschäftigte weniger als 6 Euro pro Stunde. Die Einführung des Mindestlohns bezeichnen die Forscher vor diesem Hintergrund als „eine der größten Sozialreformen der Nachkriegszeit“.
–Wirkungen von Mindestlöhnen theoretisch unbestimmt–
In der ökonomischen Theorie lasse sich kein strikter Zusammenhang zwischen Mindestlöhnen und Beschäftigung ableiten, betonen Weinkopf und Bosch. Nur unter sehr restriktiven Modellannahmen seien die Auswirkungen eindeutig negativ: In einer statischen Wirtschaft ohne Arbeitgeberübermacht, ohne dynamische Unternehmer und Beschäftigte und ohne staatliche Innovations- und Bildungspolitik würde eine gesetzliche Lohnuntergrenze zwangsläufig Jobs kosten. Mit der Realität hätten entsprechende Modelle allerdings wenig zu tun, urteilen die Gutachter. Zum einen dürften höhere Löhne im unteren Einkommensbereich erhebliche Nachfrageeffekte auslösen, da die betroffenen Gruppen zusätzliches Einkommen weitgehend konsumieren. Zum anderen sei in der Regel davon auszugehen, dass ein Machtgefälle zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern besteht. In diesem Fall könne ein Mindestlohn sogar zu mehr Beschäftigung beitragen.
Darüber hinaus sei die Produktivität von Beschäftigten keine feststehende Größe. Bei Einführung eines Mindestlohns könnten die Unternehmen durch neue Technologien, Weiterbildung und Veränderungen der Arbeitsorganisation ihre Effizienz erhöhen. Die Voraussetzungen dafür seien in Deutschland günstig, weil der Anteil der qualifizierten Beschäftigten im Mindestlohnbereich größer sei als in vielen anderen Ländern und die Unternehmen generell innovativ, konstatieren die Forscher. Weiterhin steigen im ökonomischen Modell durch höhere Löhne die Motivation, die Leistung sowie die Betriebsbindung der Beschäftigten. Letztlich müssten Arbeitsmarkteffekte von Mindestlöhnen aber empirisch erforscht werden.
–Ergebnisse der neuen empirischen Mindestlohnforschung: Keine negativen Beschäftigungseffekte–
Bosch und Weinkopf zeigen in ihrem detaillierten Forschungsüberblick, dass die Methoden der empirischen Mindestlohnforschung vor allem in den USA und Großbritannien in den letzten 20 Jahren deutlich weiter entwickelt worden sind. Neuere Studien und Meta-Analysen kommen ganz überwiegend zu dem Ergebnis, dass die Beschäftigungswirkungen von Mindestlöhnen gering sind. Das gilt in den USA nicht nur für den relativ niedrigen national minimum wage, sondern auch für deutlich höhere regional verpflichtende „living wages“. Es kann zu leichten Preissteigerungen kommen, die aber in der Regel keine negativen Beschäftigungswirkungen haben. Mindestlöhne tragen dazu bei, die Fluktuation der Beschäftigten im Niedriglohnsegment zu verringern, so dass die Unternehmen erheblich weniger für die Suche, Einarbeitung und Weiterbildung von Beschäftigten aufwenden müssen.
Auch die Evaluationen zu den Wirkungen der Branchenmindestlöhne in Deutschland, die teilweise deutlich über 8,50 Euro liegen, sind im Jahr 2011 übereinstimmend zum Ergebnis gekommen, dass sich keine negativen Beschäftigungseffekte feststellen ließen.
–Neuere empirische Forschung in Deutschland oft ignoriert–
In den USA und in Großbritannien hätten viele Ökonomen, darunter mehrere Nobelpreisträger, unter dem Eindruck des neuen Forschungsstands ihre zuvor kritische Einschätzung von Mindestlöhnen geändert, so die Forscher des IAQ. In Deutschland werde der neue Forschungsstand hingegen vielfach noch ignoriert. So stütze beispielsweise die Mehrheit der „Wirtschaftsweisen“ in ihrem Jahresgutachten 2013/2014 ihre Ablehnung von Mindestlöhnen vor allem auf einen einzelnen Forschungsüberblick zweier amerikanischer Forscher aus dem Jahr 2006. Diese Beschränkung sei gleich aus zwei Gründen problematisch: Einmal sei die betreffende Arbeit unter US-Wissenschaftlern wegen einer einseitigen Literaturauswahl umstritten. Zweitens erschienen die methodisch anspruchsvollsten Mindestlohnstudien, vorgelegt von einem Team um den Berkeley-Professor Michael Reich, erst 2010. Sie ermittelten keine signifikanten Beschäftigungseffekte und wurden unter Fachleuten sowohl in den USA als auch in Europa breit wahrgenommen.
Dagegen fänden Simulationsrechnungen zu drohenden Beschäftigungsverlusten in Deutschland immer wieder erhebliche öffentliche Beachtung, analysieren die IAQ-Forscher. Das überrasche, blieben solche Studien doch „Modellrechnungen und sind nicht der harte empirische Test unterschiedlicher aus der Theorie abgeleiteter Hypothesen, der diese Hypothesen auch falsifizieren kann.“ Die Autoren solcher Studien arbeiteten zwangsläufig lediglich mit Annahmen, zum Beispiel bei der „Elastizität“, mit der die Arbeitskräftenachfrage auf Lohnerhöhungen reagiere. Bosch und Weinkopf analysieren mehrere dieser Studien. Ihr Fazit: Viele „unterstellen Elastizitäten, die von der empirischen Mindestlohnforschung nicht bestätigt werden. Die Annahmen sind aus der Luft gegriffen“.
–Der geplante Mindestlohn: im europäischen Vergleich moderat–
Der in Deutschland vorgesehene gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde ist nach Einschätzung der Forscher „im europäischen Vergleich sowohl absolut als auch relativ eher moderat“. Er liegt unter den Mindestlöhnen der westlichen Nachbarländer Frankreich, Belgien und den Niederlanden, wo mindestens zwischen 9,10 und 9,53 Euro gezahlt werden müssen. Auch der relative Wert im Vergleich zum Medienlohn bewege sich mit 51 Prozent im europäischen Mittelfeld. Zudem werde dieser Wert durch das geplante Einfrieren des Mindestlohnniveaus bis 2017 oder 2018 weiter sinken.
In Ländern mit überwiegend innovativen Betrieben können höhere Mindestlöhne ohne Nachteile für die Beschäftigung gezahlt werden als in weniger innovativen Ländern, betonen die Wissenschaftler. Nach den Innnovationsindikatoren der EU zählt Deutschland zusammen mit der Schweiz, Schweden, Dänemark und Finnland zur Spitzengruppe der Innovationsführer in Europa. Das gelte auch im Bereich der Klein- und Mittelunternehmen. Zugleich seien die deutschen Arbeitskosten deutlich niedriger als in den meisten dieser Länder.
–Die Gesetzespläne der Bundesregierung–
Bosch und Weinkopf werten es positiv, dass die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns nach den Plänen der Bundesregierung in ein Maßnahmebündel zur Stärkung der Tarifautonomie eingebettet ist. Dies sei wichtig, da – wie andere Länder zeigen – nur eine Kombination von Mindestlohn und Stärkung der Tarifverträge zu einer wirksamen Eindämmung des Niedriglohnsektors beitragen könne.
Grundsätzlich biete der vorgesehene bundeseinheitliche Mindestlohn von 8,50 Euro, der mit wenigen Ausnahmen für bestimmte Personengruppen für alle Beschäftigten gilt, den Vorteil einer großen Transparenz und Eindeutigkeit, schreiben die Wissenschaftler. Dies gelte allerdings nur, „wenn im anstehenden Beratungsprozess zum Gesetzentwurf keine weiteren Ausnahmen zugelassen werden“. Auch dass für Langzeitarbeitslose bei Aufnahme einer Arbeit sechs Monate lang der Mindestlohn nicht gelten solle, bewerten die Wissenschaftler kritisch: Die Ausnahmeregelung sei „in hohem Maße missbrauchsanfällig“. Für die Betroffenen könne dies dazu führen, dass sie zwischen Arbeitslosigkeit und kurzfristigen Beschäftigungen „pendeln“ und auch auf Dauer keinen Anspruch auf Mindestlohn bekommen.
Schließlich müsse die Bundesregierung nicht nur vorab, sondern auch im weiteren Umsetzungsprozess unmissverständlich signalisieren, „dass es ihr mit der Durchsetzung und Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns in allen Branchen und bei allen Beschäftigungsformen tatsächlich ernst ist“, schreiben Weinkopf und Bosch. „Dazu gehören auch Sanktionen. Um einen hohen Grad der Einhaltung des Mindestlohns zu erreichen, müssen die Kosten der Nicht-Einhaltung eines gesetzlichen Mindestlohns für Betriebe höher sein als dessen Einhaltung.“
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