Sonntag, 22. Juni 2014

Sind Leserbriefschreiber eine besondere Spezies?

In der „Thüringer Allgemeine“ wurde dieses Thema in jüngster Zeit relativ lebhaft erörtert. Und immerhin war es Chefredakteur Paul-Josef Raue wert, sich wiederholt dazu zu äußern. Dabei konzentrierte sich das Thema zunächst auf die Frage, wo Leserbriefschreiber nach ihrer vermutlichen Mentalität ( glücklich oder unglücklich) einzuordnen sind.

Was mich dabei etwas erstaunt, ist die noch immer gute Meinung des Chefredakteurs über Redakteure im allgemeinen. Und natürlich in seiner „Thüringer Allgemeine“(TA). Wenn ich da zum Beispiel lese (Auszug am 7.Juni): „Wir sehen oft notgedrungen, meist die dunklen Seiten der Welt. Wir decken auf, wenn die Mächtigen übermütig werden, und schreiben selten, dass sie – wie die meisten Menschen – ihre Arbeit anständig erledigen.“(Ende des Auszugs). Allein schon der Umgang der Presse mit Christian Wulff in seiner Zeit als Bundespräsident ist für mich Beispiel dafür, dass jene, die Raue als „wir“ bezeichnet, nicht zögern, Treibjagd auf jemanden zu machen, der ins Visier der Medien geraten ist. Und ihn hetzen, bis er zur Strecke gebracht ist. Es soll hier damit sein Bewenden haben. Die Zeiten gegenüber früher sind nun mal so wie sie sind und der Zeitgeist von Journalisten und Redakteuren hat sich vielfach angepasst. Und wenn Raue weiter meint (weiterer Auszug): „Gut, dass wir in einem Land leben, in dem Redakteure den Mächtigen auf die Finger klopfen und in dem sich vieles ändern kann“ (Ende des Auszugs), dann stünde ihnen allen etwas mehr Selbsteinsicht und – kritik gut an. Denn da ist niemand mehr, der Journalisten auf die Finger klopfen könnte, wenn sie sich zu selbstgefällig geben. Nicht ohne Grund stehen Journalisten in der Prestigeskala (Allensbach) ganz unten. Das mag in gewisser Weise in der Natur der sehr verantwortungsvollen Aufgabe der Journalisten liegen. Es liegt aber zumindest ebenso im Charakter und der Verhaltensweise der Journalisten selbst begründet. Wann räumt schon ein Redakteur oder Journalist ein, dass er sich „beschämt“ sieht, wie es Paul-Josef Raue am 7. Juni angesichts der Argumentation eines Leserbriefschreibers getan hat? Nur zu oft fühlt man sich angesichts ihres Verhaltens und ihrer Vorgehensweise an Wilhelm Busch erinnert: „Ist erst der gute Ruf ruiniert...“. Falls sie überhaupt ein Gespür dafür haben. Jeder aber hat es in der Hand, sich sein eigenes Image zu verdienen.

Und was den Zeitgeist angeht, trifft der meines Erachtens mehr noch auf das Verhalten, die Reaktionen und die Kommentare der Mediennutzer und besonders der Zeitungsleser zu. Es hat solche immer gegeben und bis zum Aufkommen des Internet war das offene Bekenntnis des Leserbriefschreibers zu seiner Meinung selbstverständlich. Aufgekommen ist die Diskussion mit dem Internet, vielfach sogar angeregt durch die Redaktionen der Zeitungen. Und wenn sich die Themenführung in der TA schließlich auf die Überlegung verlagert, ob Online-Kommentatoren eher unglücklich sind (14. Juni), dann scheint mir das Thema recht vordergründig und einseitig. Ich kenne gerade aus dem Lokalteil der TA Leser, die als Autoren von Berichten wirken und ebenso als Leserbriefschreiber. Und wer weiß schon, ob sie nicht auch noch im Internet als anonyme Kommentatoren mitmachen? Auch das ist nur ein Beispiel dafür, dass heutzutage so ziemlich alles möglich ist. Die Fronten haben sich verschoben, sind verschwommener geworden und man weiß oft nicht mehr, ob man es mit einen Redakteur, einen „gestandenen“ Journalisten, einen Bürgerreporter oder einfach einem Zeitungsleser zu tun hat, der mitreden oder eben seine Meinung äußern möchte. Wer blickt da noch durch? Schlimm finde ich dabei, dass es ja die Redaktionen waren, die das alles anregten und zuließen. Ohne wenigstens gleichzeitig deutlich zu machen, dass dazu auch ein gewisses Maß an Moral und Umgangsformen gehört. Und die heute beklagen, dass dieses Mitwirken oft genug kaum noch zu zügeln ist.


Ich finde es deshalb und abschließend gut, dass Chefredakteur Paul-Josef Raue wenigstens für seine Zeitung meint (Auszug): „Es scheinen doch eher die Online-Kommentar-Foren der Tummelplatz für Unzufriedene zu sein. Was früher der Spucknapf war, ist heute die Kommentar-Funktion. Damit kann alles und jeder verunglimpft werden. Viele verschanzen sich dafür hinter einem Pseudonym.“ (Ende des Auszugs). Und demgegenüber betont, dass in seiner Zeitung die Regeln für Kommentare wie auf der Leser-Seite gilt (Auszug): „Wir müssen wissen, wer uns schreibt – also hat sich jeder Leser-Kommentator zu registrieren.“ (Ende des Auszugs.) Und er betont, dass die Beachtung von Sachlichkeit, Fairneß und Anstand bei Meinungen und Kommentaren Bedingung sind. „Wer einen Leserbrief verfasst, muss mit seinen richtigen Namen dafür einstehen“. So war es früher und so sollte es grundsätzlich (wieder) sein und bleiben.

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