Dass das Theater Nordhausen über
hervorragende Ensembles (Schauspieler, Orchester, Chor und Ballett)
verfügt, weiß man in kulturinteressierten Kreisen. Zu welch
herausragender Leistung diese Ensembles in ihrem Zusammenwirken fähig
sind, wurde einmal mehr deutlich
bei der Premiere von „MY FAIR
LADY“ bei den diesjährigen Schlossfestspielen am Freitag in
Sondershausen. Das scheinen auch die „himmlischen Mächte“
vorausgesehen zu haben und warteten mit der Öffnung der
Regenschleuse bis nahezu dem Ende der Aufführung, um diese Leistung
nicht zu beeinträchtigen. Und das Erlebnis für die Zuschauer nicht
zu mindern.
Gespannt war man ja, wie dieses wohl berühmteste Musicals der
Welt auf der Bühne des Sondershäuser Schlosses mit Leben erfüllt
werden würde. Kennt doch wohl Jeder die unverwüstlichen Evergreens
oder Hits „Ich hätt’ getanzt heut Nacht“, „Hei,
heute
morgen mach’ ich Hochzeit“ oder „In der Straße, mein Schatz,
wo du lebst“. Und natürlich „Es grünt so grün, wenn Spaniens
Blüten blühen“ - unschlagbar seit 1956! Dass die Handlung Witz,
Satire und Sentiment mit unbedingter Fröhlichkeit verbindet erwartet
man. Und dass jedes Lied in diesem Musical ein echter Weltschlager
ist weiß man. Und der Musikliebhaber weiß ebenso, dass vor allem in
den 50er und 60er Jahren zahllose Künstler, egal ob im Jazz, im
Bossa Nova, im Mambo oder in der orchestralen Unterhaltungsmusik zu
eigenen, oft ganz individuellen Versionen des kompletten Werks
inspiriert wurden. Und nun auf der Bühne des Sondershäuser
Schlosshofes!?

Die Geschichte des Musicals dürfte
allgemein bekannt sein und wurde auch in der Einführung am 20 Juni
im Blauen Saal des Schlosses ausführlich erörtert und mit
„Kostproben“ bereichert: Auf dem Festplatz vor der Covent Garden
Opera des Jahres 1912 trifft Phonetikprofessor Henry Higgins (Thomas
Kohl), eine Kapazität in Sachen Sprachen und Dialekte, aber ohne
alle gesellschaftliche Manieren und lange auch bar jedes
zwischenmenschlichen Empfindens, zufällig Oberst Pickering (Helmut
Kleinen), einem gerade aus Indien zurückgekehrten Fachkollegen. Ihr
Gespräch konzentriert sich in dessen Verlauf auf die Frage, ob es
wohl möglich ist, aus dem einfachen Blumenmädchen Eliza Doolittle
(Désirèe Brodka) das Higgins zuvor durch ihre vulgäre Mundart
aufgefallen war, allein durch Umformung der Sprache eine Lady der
High-Society werden zu lassen? Higgins ist sich dessen sicher und
geht darüber sogar eine Wette mit Pickering ein. Eliza, Tochter des
Müllkutschers Alfred P. Doolittle (Thomas Bayer) wird zu

seinem
wissenschaftlichen Objekt, das er Tag und Nacht mit Sprachübungen
sekkiert, beginnend mit: „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten
blühn ...". Demgegenüber vermutet Vater Doolittle hinter dem
Aufenthalt seiner Tochter im Haus des Professors eine Liebesaffäre.
Er versucht, die Situation finanziell auszunutzen, wird aber
abgewiesen. Zumal der eingefleischte Junggeselle Higgins bei seinem
Bemühen zunächst nicht bemerkt, dass Eliza kein seelenloses Objekt
ist, sondern eine junge Frau mit eigenen Sehnsüchten und Träumen.

Das also ist zentrales Thema dieses
Musicals, an dessen Premiereerfolg am Freitag alle beteiligt waren,
die sich darum mühten. Das begann bei der doppelseitigen Drehbühne,
für die Wolfgang Kurima Rauschning verantwortlich zeichnete, setzte
sich fort bei der Inszenierung von Toni Burkhardt, der Choreographie
von Jutta Ebnother, der Choreinstudierung durch Elena Pierini und den
variantenreichen Kostümen von Anja Schulz-Hentrich, in denen die
Akteure jeweils erschienen. Und nicht zu vergessen die musikalische
Leitung durch Michael Ingram, der mit dem Loh-Orchester Solisten und
Chor in einer Weise begleitete, die einmal mehr die Unverwüstlichkeit
dieser Melodien bestätigten.

Bei allen zu würdigenden Leistungen
der Akteure ragte im Bühnengeschehen die Rolle des Thomas Kohl als
Henry Higgins meines Erachtens weit heraus und stellte eine
Glanzleistung dar. Erstaunlich nur, dass sich der doch gebildete
Sprachwissenschaftler bei seiner Geringschätzung des Blumenmädchens
Eliza einer derart schockierenden Wortwahl befleißigte, dass die
schon wieder erheiternd wirkte. Dagegen wirkte das proletenhafte
polternde Auftreten Elizas Vater schon wieder normal.

Nachdem also die mit drakonischer
Strenge unterwiesene Eliza endlich Sätze wie „Es grünt so
grün...“ fehlerfrei zu sagen vermochte, erfolgt anlässlich des
Pferderennens in Ascot ein erster Versuch, sie der gehobenen
Gesellschaft vorzustellen. Er scheitert kläglich, weil Eliza ihr
Pferd mit derart ordinären Sprüchen anfeuerte, dass sich die
umstehenden Damen schockiert abwendeten. Zu denen auch die äußerst
vornehm wirkende Mutter Higgins (Uta Haase) gehörte. Desungeachtet
weckt Eliza mit ihren ordinären Äußerungen das Interesse des
jungen Freddy Eynsford-Hill (Marian Kalus), der ihr vortan den Hof
machte.

Higgins ist weiter von seiner
Bildungsmission gegenüber Eliza überzeugt und führt sie nach
weiteren intensiven Sprachübungen beim Diplomatenball erneut in die
Gesellschaft ein. In der sie diesmal durch ihre Schönheit, ihre
äußerst attraktive Garderobe und ihr perfektes Auftreten überzeugt.
Higgins und Pickering gratulieren sich gegenseitig zu ihrem Erfolg.
Das Objekt ihrer Wette verlieren sie dabei völlig aus den Augen.
Eliza versucht wutentbrannt den Weg zurück in ihr früheres Umfeld,
doch dort kennt man sie nicht mehr. Selbst ihr Vater Doolittle der
durch Higgins Vermittlung zwischenzeitlich zum wohlhabenden Mann
wurde, will nichts mehr von ihr wissen.

Erneut kommt es schließlich zu einer
Konfrontation zwischen der nun emanzipierten Eliza und dem
anscheinend unverbesserlichen Junggesellen Higgins im Hause von
dessen Mutter. Nun aber merkt er, dass ihm Eliza doch nicht
gleichgültig ist. Gerade als er sich die Aufnahmen von Elizas Stimme
anhört, tritt sie unerwartet in den Raum. Bezeichnend dann
allerdings die Schlussszene, in der ihn Eliza vermeintlich
unterwürfig mit „Ihre Pantoffeln, Professor Higgins“ bewirft.
Eine besondere Art des Zusammenfindens.
Im Resumee meine ich, dass dieses
Musical jedenfalls auf der Schlossbühne weniger an Broadway erinnert
als an eine Wiener Operette. Der Komponist Loewe war ja emigrierter
Österreicher und weitgehend immun gegen anglo-amerikanische
Populärkultur. Die schönen Kostüme
entwickeln sowohl optisch als
auch ästhetisch Reize, die bei den Zuschauern sichtlich Anerkennung
findet. Die auf der Bühne umgesetzte Choreografie des Ensembles
strahlt Lebensfreude aus, das Spieltempo ist flüssig und präzise.
Das Orchester unterstützt die Sänger, wie schon bemerkt, beim
Offerieren der Hits und lässt die Ensembles musikalisch wirken. Toni
Burkhardt zeigt den Professor Higgins sehr glaubhaft als in seine
sprachlichen Vorstellungen verbohrten Egozentriker. Der willkürlich
mit seinem Spielzeug Eliza umgeht und es einfach vergisst als es
seinen Zweck erfüllt hat. So rückt Higgins überraschend in die
Nähe von Elizas hemmungslosem Arbeiter-Vater, den Thomas Bayer mit
so viel derb-hemmungslosem Charme

ausstattet, dass man vergisst, dass
er für seine Songs noch zu wenig Whiskey in der Stimme hat. Die
Rolle des lange um Ausgleich bemühten Oberst Pickering als
Sympathieträgers fiel dem souverän wirkenden Helmut Kleinen zu.
Mittelpunkt des Abends ist natürlich neben Higgins Désirèe Brodka
als Eliza. Eine gut aussehende, selbstbewusste junge Frau, die unter
Higgins’ Psychoterror leidet und sich unter Mühen von ihm
emanzipiert, so dass es nur zur Andeutung eines Happy End kommt.
Brodka spielt glaubwürdig und scheint zunächst jedenfalls die
beleidigenden Äußerungen Higgins ungerührt zu ertragen. Und
trifft mühelos den anspruchvollen hohen Ton am Ende von „Ich hätt’
getanzt heut’ Nacht“ Offenbar aber scheint der Berliner Dialekt ,
der in dem Stück gesprochen wird, als Merkmal für untere soziale
Schichten zu gelten, heute sicher nur noch ein Relikt aus früheren
Zeiten. Ich meine, diese „MY FAIR LADY“ ist leichte Unterhaltung
im besten Sinne. Der begeisterte Beifall während und am Ende des
Musicals war Beweis dafür. Der heftiger beginnende Regen konnte den
ausgezeichneten Gesamteindruck nicht mehr beeinträchtigen. (Fotos: Tilman Graner und eigene)