Wenn am Ende einer Lebensgeschichte –
ob Roman oder Erzählung – kein abschließendes Ergebnis steht –
es sich also um den unvollendeten Lebensabschnitt eines Menschen
handelt, kommt es wohl vor allem darauf an, was Inhalt einer solchen
Erzählung ist. Und wie diese angeboten wird, wenn sie das Interesse
von Zuhörern oder Lesern finden soll.
Damit ist zunächst der Lesekreis von
Carla Buhl im Begegnungszentrum gemeint. Jüngst aber auch das
Lesecafe in der Stadtbibliothek Rudolf Hagelstange in Nordhausen mit
deren Leiterin Hildegard Seidel. Inhalt beider Lesungen war der
vermutlich letzte Erzählband „Liebes Leben“ der kanadischen
Autorin und Nobelpreisträgerin Alice Munro. Während ich mich im
Falle des Lesekreises Buhl auf Gespräche mit Zuhörerinnen danach
stütze – es mögen etwa 25 gewesen sein, die den Lesekreis
besuchten – saß ich im Lesecafe unter den Zuhörern und erlebte
den Verlauf also unmittelbar mit. Während sich nach der Lesung im
Begegnungszentrum eine Diskussion entwickelte, die nach Hörensagen
durchaus nicht ausschließlich und einheitlich zustimmend verlief,
kam es in der Stadtbibliothek nach der Lesung lediglich zu internen
Gesprächen und Meinungsäußerungen, weil deren Leiterin wegen
anderweitiger Termine dafür nicht (mehr) zur Verfügung stand.
Nun ist die allgemeine Einschätzung
der Schriftstellerin Alice Munro nach Medienberichten recht
einheitlich, und selten waren sich Leser und Kritiker so einig, dass
die Auszeichnung die Richtige getroffen hat. „Die Einstimmigkeit
der Begeisterung ist fast schon ein wenig langweilig“, las man dazu
im „Spiegel“. Demgegenüber hieß es allerdings in der „Thüringer
Allgemeine“ (Auszug): „Die Vergabe des Literaturnobelpreises an
die kanadische Erzählerin Alice Munro war eine echte Überraschung.
Erstmals seit 20 Jahren ging die höchste Schriftstellerehre damit
wieder nach Nordamerika - noch dazu an eine Frau, die mit ihren
82 Jahren nicht mehr ganz oben auf der Favoritenliste stand.“(Ende
des Auszugs).
Nun kannte ich bisher zwar
Pressestimmen zu der Schriftstellerin, gelesen aber habe ich noch
keines ihrer Bücher. Nachdem ich in einigen Rezensionen von
„Küchen-Literatur“ und Geschichten aus dem bewegten und teils
auch leidenschaftlichen Leben von Frauen las, von denen da erzählt
wurde. Ich war also neugierig auf den Lesenachmittag in der
Bibliothek.
Hildegard Seidel gestaltete ihn
unterhaltend, informierend und anregend. Nachdem sie die
Nobelpreisträgerin als Mensch und Autorin recht ausführlich
vorgestellt und beschrieben hatte, bot sie vorlesend Auszüge aus
dem letzten Erzählband der Schriftstellerin „Liebes Leben“, der
14 Erzählungen enthält – und dem zuvor erschienenen Band „Zuviel
Glück“, dessen Auszüge sie ihren Mann vorlesen ließ. Und regte
danach ihre Zuhörer an, sich nun angelegentlicher mit der
Schriftstellerin und ihren Werken zu beschäftigen und sich
einzulesen.
Als Auftakt des Lesecafes in der
Stadtbibliothek und quasi schon im Ausblick auf die kulturellen
Programme „wenn die
Bibliothek ihre neue Heimstatt auf dem Platz gefunden hat, wo bis zum
Untergang des alten Nordhausen die Nikolaikirche stand“, war die
Nobelpreisträgerin Alice Munro sehr gut gewählt und deren Leiterin
Hildegard Seidel eine gleichermaßen gute Interpretin, die auf
unterhaltende, sehr natürliche Art ein Bild der Schriftstellerin
zeichnete, das reiche Aufschlüsse gab.. Auch sie bestätigte,
dass sie nach Bekanntgabe der Verleihung des Literatur-Nobelpreises
an Alice Munro nur zustimmende Meinungen hörte. Ganz persönlich
freute sie sich, weil damit nun die 13. Frau mit diesem Preis bedacht
wurde. Außerordentlich produktiv war Munro, 14 Bände mit 150
Erzählungen sind das Ergebnis. Mit einem kurzen Bemerken zur
inhaltlichen Unterschiedlichkeit männlicher gegenüber weiblicher
Autoren – letztere schreiben danach mehr vom „wirklichen“ Leben
– betonte Hildegard Seidel, dass Munro trotzdem nicht nur für
Frauen schrieb, sondern allgemein bildend, wie sich gerade auch aus
dem jüngsten und wohl letzten Buch Munros ergibt „Liebes Leben“
14 Erzählungen enthält es mit Themen und Lebensverläufen von
Menschen, die der Autorin wichtig erschienen, Geschichten von kleinen
Leuten, Menschen in prekären Verhältnissen. Wie eigentlich alle
ihre biografischen Erzählungen in einer etwas anachronistisch
anmutenden ländlichen Welt angesiedelt sind. Einer Welt, die ja auch
die der Alice Munro war. Und ist. Und sie offenbaren, dass die
82-jährige Schriftstellerin ihr eigenes Leben mit jener liebevollen,
aber unsentimentalen Schärfe betrachten kann, die ihr gesamtes Werk
auszeichnet. Und gerade
die14 Geschichten dieses letzten Bandes
handeln von der Vergänglichkeit des Lebens. Während deren Lektüre
die Überzeugung wachsen würde, dass Munro für ihre anschauliche
Könnerschaft verdientermaßen mit dem Literatur-Nobelpreis gewürdigt
wurde.
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