Samstag, 1. März 2014

Alice Munro: Aus der Fülle des Lebens geschöpft

Wenn am Ende einer Lebensgeschichte – ob Roman oder Erzählung – kein abschließendes Ergebnis steht – es sich also um den unvollendeten Lebensabschnitt eines Menschen handelt, kommt es wohl vor allem darauf an, was Inhalt einer solchen Erzählung ist. Und wie diese angeboten wird, wenn sie das Interesse von Zuhörern oder Lesern finden soll.

Damit ist zunächst der Lesekreis von Carla Buhl im Begegnungszentrum gemeint. Jüngst aber auch das Lesecafe in der Stadtbibliothek Rudolf Hagelstange in Nordhausen mit deren Leiterin Hildegard Seidel. Inhalt beider Lesungen war der vermutlich letzte Erzählband „Liebes Leben“ der kanadischen Autorin und Nobelpreisträgerin Alice Munro. Während ich mich im Falle des Lesekreises Buhl auf Gespräche mit Zuhörerinnen danach stütze – es mögen etwa 25 gewesen sein, die den Lesekreis besuchten – saß ich im Lesecafe unter den Zuhörern und erlebte den Verlauf also unmittelbar mit. Während sich nach der Lesung im Begegnungszentrum eine Diskussion entwickelte, die nach Hörensagen durchaus nicht ausschließlich und einheitlich zustimmend verlief, kam es in der Stadtbibliothek nach der Lesung lediglich zu internen Gesprächen und Meinungsäußerungen, weil deren Leiterin wegen anderweitiger Termine dafür nicht (mehr) zur Verfügung stand.

Nun ist die allgemeine Einschätzung der Schriftstellerin Alice Munro nach Medienberichten recht einheitlich, und selten waren sich Leser und Kritiker so einig, dass die Auszeichnung die Richtige getroffen hat. „Die Einstimmigkeit der Begeisterung ist fast schon ein wenig langweilig“, las man dazu im „Spiegel“. Demgegenüber hieß es allerdings in der „Thüringer Allgemeine“ (Auszug): „Die Vergabe des Literaturnobelpreises an die kanadische Erzählerin Alice Munro war eine echte Überraschung. Erstmals seit 20 Jahren ging die höchste Schriftstellerehre damit wieder nach Nordamerika - noch dazu an eine Frau, die mit ihren 82 Jahren nicht mehr ganz oben auf der Favoritenliste stand.“(Ende des Auszugs).

Nun kannte ich bisher zwar Pressestimmen zu der Schriftstellerin, gelesen aber habe ich noch keines ihrer Bücher. Nachdem ich in einigen Rezensionen von „Küchen-Literatur“ und Geschichten aus dem bewegten und teils auch leidenschaftlichen Leben von Frauen las, von denen da erzählt wurde. Ich war also neugierig auf den Lesenachmittag in der Bibliothek.

Hildegard Seidel gestaltete ihn unterhaltend, informierend und anregend. Nachdem sie die Nobelpreisträgerin als Mensch und Autorin recht ausführlich vorgestellt und beschrieben hatte, bot sie vorlesend Auszüge aus dem letzten Erzählband der Schriftstellerin „Liebes Leben“, der 14 Erzählungen enthält – und dem zuvor erschienenen Band „Zuviel Glück“, dessen Auszüge sie ihren Mann vorlesen ließ. Und regte danach ihre Zuhörer an, sich nun angelegentlicher mit der Schriftstellerin und ihren Werken zu beschäftigen und sich einzulesen.

Als Auftakt des Lesecafes in der Stadtbibliothek und quasi schon im Ausblick auf die kulturellen Programme „wenn die Bibliothek ihre neue Heimstatt auf dem Platz gefunden hat, wo bis zum Untergang des alten Nordhausen die Nikolaikirche stand“, war die Nobelpreisträgerin Alice Munro sehr gut gewählt und deren Leiterin Hildegard Seidel eine gleichermaßen gute Interpretin, die auf unterhaltende, sehr natürliche Art ein Bild der Schriftstellerin zeichnete, das reiche Aufschlüsse gab.. Auch sie bestätigte, dass sie nach Bekanntgabe der Verleihung des Literatur-Nobelpreises an Alice Munro nur zustimmende Meinungen hörte. Ganz persönlich freute sie sich, weil damit nun die 13. Frau mit diesem Preis bedacht wurde. Außerordentlich produktiv war Munro, 14 Bände mit 150 Erzählungen sind das Ergebnis. Mit einem kurzen Bemerken zur inhaltlichen Unterschiedlichkeit männlicher gegenüber weiblicher Autoren – letztere schreiben danach mehr vom „wirklichen“ Leben – betonte Hildegard Seidel, dass Munro trotzdem nicht nur für Frauen schrieb, sondern allgemein bildend, wie sich gerade auch aus dem jüngsten und wohl letzten Buch Munros ergibt „Liebes Leben“ 14 Erzählungen enthält es mit Themen und Lebensverläufen von Menschen, die der Autorin wichtig erschienen, Geschichten von kleinen Leuten, Menschen in prekären Verhältnissen. Wie eigentlich alle ihre biografischen Erzählungen in einer etwas anachronistisch anmutenden ländlichen Welt angesiedelt sind. Einer Welt, die ja auch die der Alice Munro war. Und ist. Und sie offenbaren, dass die 82-jährige Schriftstellerin ihr eigenes Leben mit jener liebevollen, aber unsentimentalen Schärfe betrachten kann, die ihr gesamtes Werk auszeichnet. Und gerade
die14 Geschichten dieses letzten Bandes handeln von der Vergänglichkeit des Lebens. Während deren Lektüre die Überzeugung wachsen würde, dass Munro für ihre anschauliche Könnerschaft verdientermaßen mit dem Literatur-Nobelpreis gewürdigt wurde.

Ich lasse es mit dieser Darstellung bewenden, weil sich mir hier unwillkürlich wieder Meinungen aufdrängen, die offenbar in der Diskussion des Lesekreises von Carla Buhl geäußert wurden. Und vornehmlich mit den letzten vier Erzählungen von „Liebes Leben“ zusammenhängen. Deren Besonderheit darin bestehen würde, dass sie vom Gefühl her autobiografisches wiedergeben. Geschildert wird in ihnen u.a. das Elternhaus der Autorin mit recht persönlichen Erinnerungen und prägenden Eindrücken, die tatsächlich anregen könnten, sich über das hinaus zu beschäftigen, was an diesem Nachmittag auch in der Stadtbibliothek von deren Leiterin Hildegard Seidel über Alica Munro erzählt wurde. Alle im Bestand der Bibliothek befindlichen Bücher der Nobelpreisträgerin seien allerdings ausgeliehen, man müsse sich also etwas gedulden. Gute Literatur findet also in Nordhausen nicht nur gute Interpreten, sondern auch einen beachtlichen Interessentenkreis.

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