In einer kleineren, aber engagierten
Gesprächsrunde wurde gestern u.a. die Frage erörtert, wie groß
wohl nach einer Veranstaltung das Informationsbedürfnis der
Öffentlichkeit ist, das man durch die Medien gestillt bekommen
möchte? Sollte überhaupt darüber berichtet werden? Reicht ein
kurzer Textbericht oder sollte er ausführlich sein? Einig war man
sich jedenfalls, dass eine gehaltvolle Themenbehandlung mit einem
mehr oder weniger dominanten Bildbericht nicht ausreicht, unabhängig
von der Zahl der Bilder.
Ausgangspunkt zu derartigen
Überlegungen war eigentlich das Kreuzfest 2013 der Katholischen
Pfarrgemeinde Dom zum heiligen Kreuz in Nordhausen, das mit einem
Empfang im Kapitelhaus des Domes seinen Abschluss fand. In der
„Nordhäuser Allgemeine“ findet sich dazu ein relativ kurzer
Bericht, während man in der Internetzeitung vergeblich einen Hinweis
auf dieses Kreuzfest sucht. Das doch immerhin ein bedeutender Vorgang
im kirchlichen Geschehen der Domgemeinde ist. Die Medien berufen sich
gern auf eine Informationspflicht oder -aufgabe, die ihnen zukäme.
Aber offenbar nur immer dann, wenn es ihnen selbst ins Konzept passt.
Ähnliches ist wohl auch nach der Podiumsdiskussion der
Bundestagskandidaten festzustellen, die gestern im Audimax der
Fachhochschule stattfand. Von der man in der „Nordhäuser
Allgemeine“ einen Bericht findet, der ganz beiläufig den Eindruck
eines kleinen Familienunternehmens weckt (Moderator war der
verantwortliche Redakteur der „Nordhäuser Allgemeine“, Thomas
Müller, Berichterstatterin seine Frau als Redakteurin der gleichen
Zeitung). In der Internetzeitung dagegen sucht man einen Bericht ebenfalls vergeblich.(Und das sind nur Beispiele). Man kann also wohl doch nicht auf die Printzeitung und deren Internet-Ausgabe verzichten, wenn man über lokale Ereignisse wirklich informiert sein
will.
Nun aber zurück zum Ausgangspunkt:
Konkret und persönlich stellt sich für mich die Frage nach der
erforderlichen Ausführlichkeit in der offiziellen Berichterstattung
nicht (mehr), weil ich ja nur noch meinen eigenen Anspruch als
Maßstab nehme, seit ich nur noch diesem Blog bediene. Und ich fand
nun einmal den Festvortrag von
Diözesan-Caritasdirektor Bruno Heller inhaltlich so gut und
bedenkenswert, dass ich ihn hier wiedergebe, so gut mir das möglich
ist:
„. .
.zunächst möchte ich mich herzlich für die Einladung zum
Kreuzfest 2013 in die schöne Rolandstadt Nordhausen bedanken. Ich
bin gern in diese Region, die Gemeinde und den ehrwürdigen Dom
gekommen; habe aber beim Thema für den Festvortag zunächst ein
wenig gestutzt, denn es lautet: „Wer unten ist bleibt unten. Sind
Kirche und Gesellschaft ohnmächtig?“
Bleibt zuerst die
Feststellung: „Unten sein“ – wer kennt nicht Günter Wallraffs
Buchtitel „Ganz unten“ und zudem heißt es dann verstärkend
„unten bleiben“ - dieser Satz strotzt vor Pessimismus und
Ohnmächtigkeit. Ist dies ein Gefühl mancher Menschen heute - nichts
ändern zu können - ausgeliefert zu sein? Wallraff prangerte damals
an, aber wo gab es Lösungen für die Unzulänglichkeiten und
Missstände? Welche Antwort können wir heute geben?
Für einen
hoffnungsstiftenden Ausgang meines heutigen Vortrages liegt die
Lösung vielleicht im zweiten Teil des Titels, da heißt es: Sind
Kirche und Gesellschaft ohnmächtig – Fragezeichen!
Hier formuliere ich
schnell und klar - NEIN ! - weder Kirche noch Gesellschaft sind
ohnmächtig, denn das wäre wahrlich eine Tragik. Aber eine positive
und hoffungs-geladene „Sicht der Dinge“ muss ich uns nun wirklich
erstmal erarbeiten.
Wenn
ich zunächst den „Gedanken der Ohnmächtigkeit“ heute als
Caritasdirektor im Bistum Erfurt und zudem auch als Vorsitzender der
LIGA der Freien Wohlfahrtspflege im Freistaat Thüringen um das
bekannte Bild vom „Auseinanderklaffen der Schere
zwischen
Arm und Reich“ ergänze, also arm = unten; einmal arm = immer arm =
immer unten - und dies nun mit Beispielen aus unserer Sozialarbeit
belegen würde, dann bediene ich mit diesem Bild genau die
„Schublade“, in welche man Verantwortliche der Wohlfahrt gern
stecken möchte; gemäß dem Motto: dass muss er ja sagen! Aber wer
weiß schon, ob Forderungen, die sich daraus ableiten - letztlich
auch umsetzbar, sprich finanzier- und kommunizierbar sind?
Hier
stoßen wir auf ein erstes wichtiges Stichwort für eine positive
Sicht der Dinge: Gerechtigkeit! – und
hier meine ich das anzustrebende Gleichgewicht von eigener
Verantwortung einerseits und Hilfe, die betroffenen Menschen zuteil
werden soll, andererseits. Vielen Menschen ist heute – oder war es
dies nicht zu allen Zeiten? - die Frage eines gerechten Miteinanders
sehr wichtig.
Dieser
Tage wurde ich in einem Interview gefragt, ob man sich bei den Themen
der wachsenden Entsolidarisierung und der zunehmenden sozialen Kälte
nicht oft wie ein „einsamer Rufer in der Wüste“ vorkomme? Ich
frage weiter: Ist „einsamer Rufer“ gleichzusetzen mit dem Gefühl
der Ohnmächtigkeit?
Meine
Antwort ist auch hier kurz und eindeutig: Mag sein, dass manche
Botschaft nicht gern gehört wird, dass der ein oder andere seine
Augen gern verschließen möchte, aber deshalb werden wir als Caritas
und alle gemeinsam im „Konzert der Wohlfahrtsverbände“ unsere
anwaltschaftliche Stimme für Menschen in Not nicht auf leise
schalten bzw. verstummen lassen.
Denn
mitunter braucht es für Worte und Hinweise, für die Darstellung von
Fakten und Zusammenhängen - Zeit - bis man ihnen Gehör und vor
allem auch Glauben schenkt.
So -
wie ich an manchem Ort „Rufer in der Wüste“ bin und bleibe, sage
ich zu dem gestellten Thema „von unten und unten bleiben“ ein
klares Nein! Diese Aussage impliziert eine emotionale Note: Wir
dürfen Ohnmächtigkeit – das meint ja auch Ausgeliefertseinsein
und Persepktivlosigkeit nicht zulassen und wir wollen es auch nicht!
Warum?
Lassen
Sie doch bitte mal ein Bild in ihrem Kopf entstehen, dass man
heute nicht nur in Großstädten erleben kann:
Eine alte Frau, Mitte 70, sammelt leere Flaschen aus Müllcontainern.
Scheinbar bessert sie ihre Tageskasse auf. In Erfurt diskutiert man
derzeit, ob man nicht eine Ablagemöglichkeit neben dem Container
anbringt, damit keiner in den Müll greifen muss!
Diese
Idee möchte ich jetzt nicht bewerten. Ich werde auch nicht pauschal
das „Schreckgespenst“ der drohenden Altersarmut bedienen, obwohl
wir uns in absehbarer Zeit diesen Fragen stellen müssen.
Warum
bekommt das unsere Gesellschaft nicht in den Griff? Ehrt die Alten
..… eine jahrhundertealte Weisheit; gilt das heute nicht
mehr?
Haben
wir versagt - die heute so gepriesene Bürgergesellschaft - die
Gesellschaft, der Staat, die Kirche, der Nachbar, die Familie in
ihren vielfältigen Formen! Was können wir tun? Bleibt nun doch nur
die Ohnmacht? Ich sage wieder Nein!, denn meine innerliche
Entrüstung, unser aller Empörung ist der erste Schritt zu
Veränderung!
Hier
stoßen wir auf ein zweites wichtiges Stichwort für eine positive
Sicht der Dinge: Ich muss beginnen! –
Hören wir doch endlich damit auf – den
Staat, die Kirche, die
Sozialverbände einerseits klein, inkompetent oder
sogar schlecht zu reden und andererseits von ihnen –
gleichsam als globale Verantwortungsträger - alles zu verlangen.
In
diesem Zusammenhang erinnere ich gern an den Begriff der
„Subsidiarität“; will heißen, dass
zunächst immer die kleinste Einheit zuständig ist. Die Familie,
Freunde und Nachbarn, ein Sozialraum, die Kirchgemeinde…..und wenn
das alles nicht mehr greift - braucht es – in sage es mal etwas
zugespitzt – die „Sozialprofis“ von Staat und Caritas, z.B. die
Schuldner- und Suchtberater oder die kompetenten Mitarbeiter in den
vielen sozialen „Spezialfelder“ unserer Zeit.
Als
Caritasdirektor werde ich zudem nicht müde, gerade auch in einer
katholischen Kirchgemeinde an den Auftrag unsres Herrn Jesus Christus
zu erinnern. Die Nächstenliebe - gelebte Caritas - ist eine der 3
Grundsäulen von Kirche.
Ohne
Caritas geht Gemeinde nicht! Man kann soziale Verantwortung/ den
Geist der Heiligen Elisabeth nicht einfach an die großen
Sozialeinrichtungen delegieren – gemäß der Überzeugung, die
machen das schon! Nein: Der Herr sagt: „Ihr werdet immer Arme unter
euch haben..“ – und aus dieser Sorge für- und umeinander kann
niemand entlassen werden – keine Gemeinde und auch kein einzelner
Christ.
Für
betroffene Menschen in unterschiedlichen Notlagen, die Rat, Hilfe und
Unterstützung brauchen geht es ja immer um die Frage der Teilhabe.
Die Caritas sagt klar: „Teilhabe ist möglich!“
Selbstbestimmte
Teilhabe gründet in der Würde des Menschen als Ebenbild Gottes.
Jeder Mensch hat das Recht auf selbstbestimmte Teilhabe an allen
Prozessen der Gesellschaft. Selbstbestimmte Teilhabe bedeutet
zugleich einen Paradigmenwechsel weg vom Begriff der „Fürsorge“
hin zur Sichtweise, dass auch Menschen am Rande in erster Linie
Bürgerinnen und Bürger unseres Staates und Teil der örtlichen
Gemeinschaft sind. Als solche haben sie Rechte und Pflichten. Auch
eingeschränkte Möglichkeiten, wie bei wohnungslosen Menschen,
setzen diesen Status nicht außer Kraft.
Teilhabe
bedeutet, Zugang zu sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und
politischen Möglichkeiten zu haben und darüber selbst entscheiden
zu können. Selbst bestimmte Teilhabe erfordert Gerechtigkeit. Sie
ist gleichzeitig ein Resultat von gerechten Strukturen und
Institutionen.
Aus diesen Überlegungen
lassen sich fünf Grundprinzipien ableiten:
- Schutz der
Menschenwürde
- Gerechte
Rahmenbedingungen
-
Gemeinwesenorientierung
-
Ressourcenorientierung
- Berufliches und
nicht-berufliches Hilfesystem
Gestern wurde bundesweit
in allen katholischen Gemeinden der Aufruf der Deutschen Bischöfe
zur Bundestagswahl 2013 verlesen. Darin heißt es:
„Deutschland hat in den
vergangenen Jahren einen erfreulichen wirtschaftlichen Aufschwung
erlebt. Diese Entwicklung ist verbunden mit einem eindrucksvollen
Abbau der Arbeitslosigkeit. Es ist jedoch ein Gebot der
Gerechtigkeit, auch denjenigen Chancen zum gesellschaftlichen Ein-
und Aufstieg zu eröffnen, die derzeit noch vom Erwerbsleben und von
gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen sind oder die in prekären
Arbeitsverhältnissen verharren. Die Worte und das Handeln Papst
Franziskus‘ mahnen uns, an die Ränder der Gesellschaft zu schauen:
Keiner darf abgeschrieben werden. Keiner ist überflüssig, wie Papst
Benedikt XVI. gesagt hat.“
Hier
stoßen wir abschließend auf ein drittes wichtiges Stichwort für
eine positive Sicht der Dinge: Das solidarische Miteinander!
Nach dem Recht auf
Teilhabe für alle möchte ich den solidaritätsstiftenden Aspekt
unseres gesellschaftlichen Miteinanders herausstellen. Im Mittelpunkt
einer Caritasinitiative vor wenigen Jahren standen Menschen am Rande.
Dabei waren Menschen im Blick, die aufgrund von Brüchen in der
Biografie oder durch eine Häufung unterschiedlicher Probleme nicht
mehr oder nur noch eingeschränkt in der Lage sind, ein
selbstbestimmtes, von Sozialleistungen unabhängiges Leben zu führen.
Arbeitslosigkeit, Suchterkrankung, Überschuldung oder psychische
Probleme können immer dazu beitragen, dass Menschen in materielle
Armut geraten und am Existenzminimum leben.
Soziale Isolation und
Einsamkeit sind häufige Folgen, wenn familiäre oder soziale
Netzwerke wegfallen oder gar nicht erst aufgebaut werden können.
Daran hat die Kampagne erinnert und dazu beigetragen, das Bewusstsein
für die Würde dieser Menschen in Gesellschaft und Politik zu
schärfen.
Ich erinnere an das Bild
der alten Frau, die im Müll Flaschen sammelt. Es ist sicher nicht
strittig, dass es auch in unserem Land Nöte gibt, die betroffene
Menschen an den Rand ihrer Existenz bringen kann. Ihnen muss Hilfe
zuteil werden. Auch dafür sind wir eine Solidargemeinschaft, die den
Bedürftigen und Schwachen stützt.
Hier in Nordhausen
wird diese Zuwendung durch die Caritas ganz praktisch.
Es gibt verschiedene
Beratungsstellen bzw. Einrichtungen, wo sozial benachteiligte
Menschen Hilfe und Unterstützung erhalten.
Schwerpunkt der
Allgemeinen Sozialen Beratung ist die Hilfe
für ALG II Bezieher. Hier gibt es Unterstützung bei der
Antragstellung und Überprüfung der Bescheide. Oft wird ein
Widerspruchsverfahren eingeleitet. Die Begleitung von
Hilfsbedürftigen zu Ämtern und Behörden wird oft in Anspruch
genommen.
Die
Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt
bietet Opfern Hilfe, Beratung und weitergehende Unterstützung. Oft
über Jahre andauernde häusliche Gewaltsituationen bleiben nicht
ohne Folgen für die Betroffenen. Es gibt neben körperlichen und
psychischen oft auch finanzielle Notsituationen.
Zur
Kurberatung kommen Mütter in einem
psychisch instabilen Zustand und nehmen die Unterstützung dankbar
an.
Der
Club Caritas ist ein Offener Kinder- und
Jugendtreff in der Nähe des Bahnhofs. Kinder und Jugendliche aus
sozial benachteiligten Familien verbringen dort ihre Freizeit. Sie
erfahren dort Annahme und Zuwendung, lernen Werte und Normen kennen,
welche im Elterhaus oft keine oder nur eine untergeordnete Rolle
spielen.
Wichtiger
Bestandteil der Clubarbeit ist die Hausaufgabenhilfe.
Die
Tauschbörse für Säuglings-Kinder- und Jugendbedarf
ist ein besonderes Angebot. Hier können Familien gut erhaltene (oft
zu klein gewordene) Kindersachen gegen andere eintauschen. Mehr als
4.000 meist sozial benachteiligte Besucher nutzten im vergangenen
Jahr dieses Angebot. Erziehungsfragen usw.) Zur Unterstützung der
Finanzierung der Tauschbörse hat sich in diesem Jahr ein
Förderverein gegründet.
Seit
September sind wir als Caritas nun auch auch in der schulbezogenen
Jugendsozialarbeit tätig.
„Einmal unten – immer untern“ –
sind wir ohnmächtig? NEIN, denn Gottlob geling es
Kirche und Staat vielerorts – betroffenen Menschen „Brücken der
Hoffnung“ zu bauen, und sie mit ganz praktischen Hilfen zu
unterstützen, damit ihnen Teilhabe wieder ermölicht wird.
3 Stichworte bleiben
wichtig:
1. Gerechtigkeit
2. Gemeindliches und
Bürgerschaftliches Engagement
3. Solidarisches
Miteinander.
In Erinnerung an das II.
Vatikanische Konzil möchte ich aus der Pastoralkostitution „Gaudium
et spes“ zitieren. Dort heißt es im Schlusswort: „ …der Herr
will, dass wir in allen Menschen Christus als Bruder sehen und lieben
in Wort und Tat und so der Wahrheit Zeugnis geben und das Geheimnis
der Liebe des himmlischen Vaters mitteilen. Auf diese Weise wird in
den Menschen überall in der Welt eine lebendige Hoffnung erweckt,
die eine Gabe des Heiligen Geistes ist…“
Auf diesen christlichen
Auftrag Bezug nehmend möchte ich abschließend formulieren
Wir
sind als Kirche und Gesellschaft in unseren Tagen wohl nicht ganz
schlecht, aber was hindert uns daran – noch besser zu werden!
Mit dem Dank an seine Zuhörer für deren Aufmerksamkeit schloss der Caritasdirektor. Es fehlt hier das im vorhergegangenen Eintrag erwähnten Zitat des Chefredakteurs der „Süddeutschen Zeitung“, Heribert Prantl, der mir übrigens aus meiner früheren Münchner Zeit recht gut bekannt ist. Der Schall im Dom, der sich auf die Qualität der Aufnahme auswirkte, machte das Zitat unverständlich. Dafür aber hatte ich Prantl dort sehr viel ausführlicher „zu Wort kommen lassen.“
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