Donnerstag, 12. September 2013

Zum Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit

In einer kleineren, aber engagierten Gesprächsrunde wurde gestern u.a. die Frage erörtert, wie groß wohl nach einer Veranstaltung das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit ist, das man durch die Medien gestillt bekommen möchte? Sollte überhaupt darüber berichtet werden? Reicht ein kurzer Textbericht oder sollte er ausführlich sein? Einig war man sich jedenfalls, dass eine gehaltvolle Themenbehandlung mit einem mehr oder weniger dominanten Bildbericht nicht ausreicht, unabhängig von der Zahl der Bilder.

Ausgangspunkt zu derartigen Überlegungen war eigentlich das Kreuzfest 2013 der Katholischen Pfarrgemeinde Dom zum heiligen Kreuz in Nordhausen, das mit einem Empfang im Kapitelhaus des Domes seinen Abschluss fand. In der „Nordhäuser Allgemeine“ findet sich dazu ein relativ kurzer Bericht, während man in der Internetzeitung vergeblich einen Hinweis auf dieses Kreuzfest sucht. Das doch immerhin ein bedeutender Vorgang im kirchlichen Geschehen der Domgemeinde ist. Die Medien berufen sich gern auf eine Informationspflicht oder -aufgabe, die ihnen zukäme. Aber offenbar nur immer dann, wenn es ihnen selbst ins Konzept passt. Ähnliches ist wohl auch nach der Podiumsdiskussion der Bundestagskandidaten festzustellen, die gestern im Audimax der Fachhochschule stattfand. Von der man in der „Nordhäuser Allgemeine“ einen Bericht findet, der ganz beiläufig den Eindruck eines kleinen Familienunternehmens weckt (Moderator war der verantwortliche Redakteur der „Nordhäuser Allgemeine“, Thomas Müller, Berichterstatterin seine Frau als Redakteurin der gleichen Zeitung). In der Internetzeitung dagegen sucht man einen Bericht ebenfalls vergeblich.(Und das sind nur Beispiele). Man kann also wohl doch nicht auf die Printzeitung und deren Internet-Ausgabe verzichten, wenn man über lokale Ereignisse wirklich informiert sein will.

Nun aber zurück zum Ausgangspunkt: Konkret und persönlich stellt sich für mich die Frage nach der erforderlichen Ausführlichkeit in der offiziellen Berichterstattung nicht (mehr), weil ich ja nur noch meinen eigenen Anspruch als Maßstab nehme, seit ich nur noch diesem Blog bediene. Und ich fand nun einmal den Festvortrag von Diözesan-Caritasdirektor Bruno Heller inhaltlich so gut und bedenkenswert, dass ich ihn hier wiedergebe, so gut mir das möglich ist:

. . .zunächst möchte ich mich herzlich für die Einladung zum Kreuzfest 2013 in die schöne Rolandstadt Nordhausen bedanken. Ich bin gern in diese Region, die Gemeinde und den ehrwürdigen Dom gekommen; habe aber beim Thema für den Festvortag zunächst ein wenig gestutzt, denn es lautet: „Wer unten ist bleibt unten. Sind Kirche und Gesellschaft ohnmächtig?“
Bleibt zuerst die Feststellung: „Unten sein“ – wer kennt nicht Günter Wallraffs Buchtitel „Ganz unten“ und zudem heißt es dann verstärkend „unten bleiben“ - dieser Satz strotzt vor Pessimismus und Ohnmächtigkeit. Ist dies ein Gefühl mancher Menschen heute - nichts ändern zu können - ausgeliefert zu sein? Wallraff prangerte damals an, aber wo gab es Lösungen für die Unzulänglichkeiten und Missstände? Welche Antwort können wir heute geben?
Für einen hoffnungsstiftenden Ausgang meines heutigen Vortrages liegt die Lösung vielleicht im zweiten Teil des Titels, da heißt es: Sind Kirche und Gesellschaft ohnmächtig – Fragezeichen!
Hier formuliere ich schnell und klar - NEIN ! - weder Kirche noch Gesellschaft sind ohnmächtig, denn das wäre wahrlich eine Tragik. Aber eine positive und hoffungs-geladene „Sicht der Dinge“ muss ich uns nun wirklich erstmal erarbeiten.
 Wenn ich zunächst den „Gedanken der Ohnmächtigkeit“ heute als Caritasdirektor im Bistum Erfurt und zudem auch als Vorsitzender der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege im Freistaat Thüringen um das bekannte Bild vom „Auseinanderklaffen der Schere
zwischen Arm und Reich“ ergänze, also arm = unten; einmal arm = immer arm = immer unten - und dies nun mit Beispielen aus unserer Sozialarbeit belegen würde, dann bediene ich mit diesem Bild genau die „Schublade“, in welche man Verantwortliche der Wohlfahrt gern stecken möchte; gemäß dem Motto: dass muss er ja sagen! Aber wer weiß schon, ob Forderungen, die sich daraus ableiten - letztlich auch umsetzbar, sprich finanzier- und kommunizierbar sind?
Hier stoßen wir auf ein erstes wichtiges Stichwort für eine positive Sicht der Dinge: Gerechtigkeit! – und hier meine ich das anzustrebende Gleichgewicht von eigener Verantwortung einerseits und Hilfe, die betroffenen Menschen zuteil werden soll, andererseits. Vielen Menschen ist heute – oder war es dies nicht zu allen Zeiten? - die Frage eines gerechten Miteinanders sehr wichtig.
Dieser Tage wurde ich in einem Interview gefragt, ob man sich bei den Themen der wachsenden Entsolidarisierung und der zunehmenden sozialen Kälte nicht oft wie ein „einsamer Rufer in der Wüste“ vorkomme? Ich frage weiter: Ist „einsamer Rufer“ gleichzusetzen mit dem Gefühl der Ohnmächtigkeit?
Meine Antwort ist auch hier kurz und eindeutig: Mag sein, dass manche Botschaft nicht gern gehört wird, dass der ein oder andere seine Augen gern verschließen möchte, aber deshalb werden wir als Caritas und alle gemeinsam im „Konzert der Wohlfahrtsverbände“ unsere anwaltschaftliche Stimme für Menschen in Not nicht auf leise schalten bzw. verstummen lassen.
Denn mitunter braucht es für Worte und Hinweise, für die Darstellung von Fakten und Zusammenhängen - Zeit - bis man ihnen Gehör und vor allem auch Glauben schenkt.
So - wie ich an manchem Ort „Rufer in der Wüste“ bin und bleibe, sage ich zu dem gestellten Thema „von unten und unten bleiben“ ein klares Nein! Diese Aussage impliziert eine emotionale Note: Wir dürfen Ohnmächtigkeit – das meint ja auch Ausgeliefertseinsein und Persepktivlosigkeit nicht zulassen und wir wollen es auch nicht! Warum?
Lassen Sie doch bitte mal ein Bild in ihrem Kopf entstehen, dass man heute nicht nur in Großstädten erleben kann: Eine alte Frau, Mitte 70, sammelt leere Flaschen aus Müllcontainern. Scheinbar bessert sie ihre Tageskasse auf. In Erfurt diskutiert man derzeit, ob man nicht eine Ablagemöglichkeit neben dem Container anbringt, damit keiner in den Müll greifen muss!
Diese Idee möchte ich jetzt nicht bewerten. Ich werde auch nicht pauschal das „Schreckgespenst“ der drohenden Altersarmut bedienen, obwohl wir uns in absehbarer Zeit diesen Fragen stellen müssen.
Ich möchte ihnen vielmehr sagen, wie es mir mit diesem Bild geht. Nicht gut, dass ist klar, aber mehr noch, mir „blutet“ - im Bild gesprochen - das Herz. Dieses Bild – diese Tatsache - lässt wohl niemanden kalt!
Warum bekommt das unsere Gesellschaft nicht in den Griff? Ehrt die Alten ..… eine  jahrhundertealte Weisheit; gilt das heute nicht mehr?
Haben wir versagt - die heute so gepriesene Bürgergesellschaft - die Gesellschaft, der Staat, die Kirche, der Nachbar, die Familie in ihren vielfältigen Formen! Was können wir tun? Bleibt nun doch nur die Ohnmacht? Ich sage wieder Nein!, denn meine innerliche Entrüstung, unser aller Empörung ist der erste Schritt zu Veränderung!
Hier stoßen wir auf ein zweites wichtiges Stichwort für eine positive Sicht der Dinge: Ich muss beginnen! – Hören wir doch endlich damit auf – den Staat, die Kirche, die Sozialverbände einerseits klein, inkompetent oder sogar schlecht zu reden und andererseits von ihnen – gleichsam als globale Verantwortungsträger - alles zu verlangen.
In diesem Zusammenhang erinnere ich gern an den Begriff der „Subsidiarität“; will heißen, dass zunächst immer die kleinste Einheit zuständig ist. Die Familie, Freunde und Nachbarn, ein Sozialraum, die Kirchgemeinde…..und wenn das alles nicht mehr greift - braucht es – in sage es mal etwas zugespitzt – die „Sozialprofis“ von Staat und Caritas, z.B. die Schuldner- und Suchtberater oder die kompetenten Mitarbeiter in den vielen sozialen „Spezialfelder“ unserer Zeit.
Als Caritasdirektor werde ich zudem nicht müde, gerade auch in einer katholischen Kirchgemeinde an den Auftrag unsres Herrn Jesus Christus zu erinnern. Die Nächstenliebe - gelebte Caritas - ist eine der 3 Grundsäulen von Kirche.
Ohne Caritas geht Gemeinde nicht! Man kann soziale Verantwortung/ den Geist der Heiligen Elisabeth nicht einfach an die großen Sozialeinrichtungen delegieren – gemäß der Überzeugung, die machen das schon! Nein: Der Herr sagt: „Ihr werdet immer Arme unter euch haben..“ – und aus dieser Sorge für- und umeinander kann niemand entlassen werden – keine Gemeinde und auch kein einzelner Christ.
Für betroffene Menschen in unterschiedlichen Notlagen, die Rat, Hilfe und Unterstützung brauchen geht es ja immer um die Frage der Teilhabe. Die Caritas sagt klar: „Teilhabe ist möglich!“
Selbstbestimmte Teilhabe gründet in der Würde des Menschen als Ebenbild Gottes. Jeder Mensch hat das Recht auf selbstbestimmte Teilhabe an allen Prozessen der Gesellschaft. Selbstbestimmte Teilhabe bedeutet zugleich einen Paradigmenwechsel weg vom Begriff der „Fürsorge“ hin zur Sichtweise, dass auch Menschen am Rande in erster Linie Bürgerinnen und Bürger unseres Staates und Teil der örtlichen Gemeinschaft sind. Als solche haben sie Rechte und Pflichten. Auch eingeschränkte Möglichkeiten, wie bei wohnungslosen Menschen, setzen diesen Status nicht außer Kraft.
Teilhabe bedeutet, Zugang zu sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Möglichkeiten zu haben und darüber selbst entscheiden zu können. Selbst bestimmte Teilhabe erfordert Gerechtigkeit. Sie ist gleichzeitig ein Resultat von gerechten Strukturen und Institutionen.
Aus diesen Überlegungen lassen sich fünf Grundprinzipien ableiten:


- Schutz der Menschenwürde
- Gerechte Rahmenbedingungen
- Gemeinwesenorientierung
- Ressourcenorientierung
- Berufliches und nicht-berufliches Hilfesystem

Gestern wurde bundesweit in allen katholischen Gemeinden der Aufruf der Deutschen Bischöfe zur Bundestagswahl 2013 verlesen. Darin heißt es:
„Deutschland hat in den vergangenen Jahren einen erfreulichen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Diese Entwicklung ist verbunden mit einem eindrucksvollen Abbau der Arbeitslosigkeit. Es ist jedoch ein Gebot der Gerechtigkeit, auch denjenigen Chancen zum gesellschaftlichen Ein- und Aufstieg zu eröffnen, die derzeit noch vom Erwerbsleben und von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen sind oder die in prekären Arbeitsverhältnissen verharren. Die Worte und das Handeln Papst Franziskus‘ mahnen uns, an die Ränder der Gesellschaft zu schauen: Keiner darf abgeschrieben werden. Keiner ist überflüssig, wie Papst Benedikt XVI. gesagt hat.“
Hier stoßen wir abschließend auf ein drittes wichtiges Stichwort für eine positive Sicht der Dinge: Das solidarische Miteinander!
Nach dem Recht auf Teilhabe für alle möchte ich den solidaritätsstiftenden Aspekt unseres gesellschaftlichen Miteinanders herausstellen. Im Mittelpunkt einer Caritasinitiative vor wenigen Jahren standen Menschen am Rande. Dabei waren Menschen im Blick, die aufgrund von Brüchen in der Biografie oder durch eine Häufung unterschiedlicher Probleme nicht mehr oder nur noch eingeschränkt in der Lage sind, ein selbstbestimmtes, von Sozialleistungen unabhängiges Leben zu führen. Arbeitslosigkeit, Suchterkrankung, Überschuldung oder psychische Probleme können immer dazu beitragen, dass Menschen in materielle Armut geraten und am Existenzminimum leben.
Soziale Isolation und Einsamkeit sind häufige Folgen, wenn familiäre oder soziale Netzwerke wegfallen oder gar nicht erst aufgebaut werden können. Daran hat die Kampagne erinnert und dazu beigetragen, das Bewusstsein für die Würde dieser Menschen in Gesellschaft und Politik zu schärfen.
Ich erinnere an das Bild der alten Frau, die im Müll Flaschen sammelt. Es ist sicher nicht strittig, dass es auch in unserem Land Nöte gibt, die betroffene Menschen an den Rand ihrer Existenz bringen kann. Ihnen muss Hilfe zuteil werden. Auch dafür sind wir eine Solidargemeinschaft, die den Bedürftigen und Schwachen stützt.
Hier in Nordhausen wird diese Zuwendung durch die Caritas ganz praktisch.
Es gibt verschiedene Beratungsstellen bzw. Einrichtungen, wo sozial benachteiligte Menschen Hilfe und Unterstützung erhalten.
Schwerpunkt der Allgemeinen Sozialen Beratung ist die Hilfe für ALG II Bezieher. Hier gibt es Unterstützung bei der Antragstellung und Überprüfung der Bescheide. Oft wird ein Widerspruchsverfahren eingeleitet. Die Begleitung von Hilfsbedürftigen zu Ämtern und Behörden wird oft in Anspruch genommen.
Die Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt bietet Opfern Hilfe, Beratung und weitergehende Unterstützung. Oft über Jahre andauernde häusliche Gewaltsituationen bleiben nicht ohne Folgen für die Betroffenen. Es gibt neben körperlichen und psychischen oft auch  finanzielle Notsituationen.
Zur Kurberatung kommen Mütter in einem psychisch instabilen Zustand und nehmen die Unterstützung dankbar an.
Der Club Caritas ist ein Offener Kinder- und Jugendtreff in der Nähe des Bahnhofs. Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien verbringen dort ihre Freizeit. Sie erfahren dort Annahme und Zuwendung, lernen Werte und Normen kennen, welche im Elterhaus oft keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Wichtiger Bestandteil der Clubarbeit ist die Hausaufgabenhilfe.
Die Tauschbörse für Säuglings-Kinder- und Jugendbedarf ist ein besonderes Angebot. Hier können Familien gut erhaltene (oft zu klein gewordene) Kindersachen gegen andere eintauschen. Mehr als 4.000 meist sozial benachteiligte Besucher nutzten im vergangenen Jahr dieses Angebot. Erziehungsfragen usw.) Zur Unterstützung der Finanzierung der Tauschbörse hat sich in diesem Jahr ein Förderverein gegründet.
Seit September sind wir als Caritas nun auch auch in der schulbezogenen Jugendsozialarbeit tätig.
„Einmal unten – immer untern“ – sind wir ohnmächtig? NEIN, denn Gottlob geling es Kirche und Staat vielerorts – betroffenen Menschen „Brücken der Hoffnung“ zu bauen, und sie mit ganz praktischen Hilfen zu unterstützen, damit ihnen Teilhabe wieder ermölicht wird.
3 Stichworte bleiben wichtig:
1. Gerechtigkeit
2. Gemeindliches und Bürgerschaftliches Engagement
3. Solidarisches Miteinander.
In Erinnerung an das II. Vatikanische Konzil möchte ich aus der Pastoralkostitution „Gaudium et spes“ zitieren. Dort heißt es im Schlusswort: „ …der Herr will, dass wir in allen Menschen Christus als Bruder sehen und lieben in Wort und Tat und so der Wahrheit Zeugnis geben und das Geheimnis der Liebe des himmlischen Vaters mitteilen. Auf diese Weise wird in den Menschen überall in der Welt eine lebendige Hoffnung erweckt, die eine Gabe des Heiligen Geistes ist…“
Auf diesen christlichen Auftrag Bezug nehmend möchte ich abschließend formulieren

Wir sind als Kirche und Gesellschaft in unseren Tagen wohl nicht ganz schlecht, aber was hindert uns daran – noch besser zu werden!

Mit dem Dank an seine Zuhörer für deren Aufmerksamkeit schloss der Caritasdirektor. Es fehlt hier das im vorhergegangenen Eintrag erwähnten Zitat des Chefredakteurs der „Süddeutschen Zeitung“, Heribert Prantl, der mir übrigens aus meiner früheren Münchner Zeit recht gut bekannt ist. Der Schall im Dom, der sich auf die Qualität der Aufnahme auswirkte, machte das Zitat unverständlich. Dafür aber hatte ich Prantl dort sehr viel ausführlicher „zu Wort kommen lassen.“

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