Donnerstag, 5. September 2013

Gedanken im Vorfeld der Bundestagswahl

Obwohl ja das TV-Duell der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem Kontrahenten Peer Steinbrück schon Tage zurückliegt, und es seitdem auch andere Duelle dieser Art einschließlich der Auseinandersetzungen im Bundestag gab, beschäftigt mich Verlauf und Einschätzung jenes TV-Duells noch immer. Nicht etwa weil ich unsicher wäre, wo ich am 22. September drüben im Begegnungszentrum meine beiden Kreuze machen werde, sondern weil mich nach wie vor die Unterschiedlichkeit in der Ankündigung dieses Streitgesprächs und dessen Einschätzung danach beschäftigt.

Es war in der Geschichte der Bundesrepublik das vierte Streitgespräch dieser Art, das ganz allgemein als „traditionell“ bezeichnet wurde. Und da frage ich ja ebenso allgemein, wann denn die Wiederholung eines Vorgangs zur Tradition geworden ist? Zumal es über die Bedeutung dieser Duelle recht unterschiedliche Einschätzungen gibt. Ich hatte in meinem Eintrag am 31. August, also vor dem Duell, die Rhein-Neckar-Zeitung zitiert, in der es u.a. hieß (Zitat): „Seit Jahren gehört das TV-Duell der Kanzlerkandidaten zur Kategorie der überschätztesten Wahlkampfveranstaltungen überhaupt. Sie taugen nichts, sind in ein enges Korsett geschnürt, so dass der Begegnung von vornherein jede Lebendigkeit ausgetrieben wird. Und wenn in diesem Jahr doppelt so viele Moderatoren wie Kandidaten parat stehen, wird das Pseudo-Duell endgültig zur Farce" (Ende des Zitats). Für den Kommentator führten also die bis dahin stattgefundenen Duelle zu einer Einschätzung, nach der diese „Tradition“ keinen Sinn hat. Und auch keine Zukunft?

Die Einschätzungen dieses Streitgesprächs nach seiner Beendigung waren seitens der Medien zwar unterschiedlich, aber hielten sich doch in einen überschaubaren Toleranzbereich. Wenn ich demgegenüber aber las, was Leute bei Twitter geäußert haben sollen, könnten mir schon Zweifel am Wert eines solchen Duells kommen. Oder am sachlichen Interesse der betreffenden Twitterer. Da wurde scheinbar mehr auf Äußerlichkeiten und Begleitumstände geachtet als auf Inhalte.

Nun könnten das auch Leute gewesen sein, die sich äußern, bevor sie denken, wenn ich mir vergegenwärtige, wie etwa die Universität Hohenheim mit Hilfe von Testzuschauern dieses TV-Duell „anging“. Da nämlich hieß es am Tage danach:

                       Steinbrück bei Testzuschauern Punktsieger vor Merkel

Und danach konnte der Herausforderer stärker profitieren als die Kanzlerin, wie das Ergebnis von Live-Bewertung und Blitz-Analyse an der Universität Hohenheim ergab. Und in der analytischen Auswertung heißt es:

Echter Wechsel“ gegen „die Nummer eins bleiben“ – diesen von Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim erwarteten Schlagabtausch lieferten sich der SPD-Herausforderer Peer Steinbrück und Bundeskanzlerin Angela Merkel im gestrigen TV-Duell. 220 Testzuschauer in Hohenheim und Ravensburg bewerteten die Aussagen der Kontrahenten an Drehreglern in Echtzeit. Dabei punktete Steinbrück nicht nur bei klassischen SPD-Themen, sondern auch bei PKW-Maut und NSA-Affäre.

Drehregler nach links: pro Steinbrück, nach rechts: pro Merkel. 140 Testzuschauer im Hörsaal 11 der Universität Hohenheim und 80 weitere an der Dualen Hochschule Ravensburg schauten sich das TV-Duell unter wissenschaftlicher Begleitung an. Dabei bewerteten sie jede Aussage mit einem Drehen in die eine oder die andere Richtung. Die Zuschauer wurden in drei Gruppen unterteilt: SPD-/Grüne-Anhänger, CDU-/FDP-Anhänger und Unentschiedene. In jeder Gruppe wurde darauf geachtet, dass verschiedene Altersgruppen, Männer und Frauen sowie Personen mit unterschiedlich starkem politischen Interesse vertreten waren.

Vorteil Steinbrück bei Sozialer Gerechtigkeit

Die so entstandenen Bewertungen brachten es an den Tag: In der Gunst der Testzuschauer hatten beide Kontrahenten starke Phasen. Aber Peer Steinbrück konnte die SPD-Anhänger unter den Testzuschauern besser mobilisieren als Angela Merkel die CDU-Anhänger. Vor allem gelang ihm das bei klassischen SPD-Themen aus dem Bereich „Soziale Gerechtigkeit“. Die stärkste Zustimmung erfuhr er für seine Kritik an der Pflegeversicherung der Bundesregierung (Nummer 6 in der Grafik) sowie für sein Eintreten für „gute Arbeit“, die Kritik am Missbrauch von Leiharbeit sowie die Forderung nach einem flächendeckenden Mindestlohn (Nummern 3 und 4). In diesen Passagen stimmten ihm auch die Unentschiedenen sowie zahlreiche Anhänger der CDU zu. „Hier verstand es Steinbrück die klassischen SPD-Themen zu besetzen und auch die Zustimmung der unentschlossenen Wähler zu bekommen“, erläuterte Prof. Dr. Frank Brettschneider vom Fachgebiet Kommunikationswissenschaft der Universität Hohenheim. In repräsentativen Meinungsumfragen seien das derzeit die für die Wählerinnen und Wähler wichtigsten Themen. Weitere Punkte konnte Steinbrück mit seiner Kritik am Verhalten der Banken machen (Nummer 2). Auch bei der NSA-Affäre (Nummer 7) und beim Thema Syrien (Nummer 8) erfuhr er in allen Lagern Zustimmung.

Angela Merkel kam hingegen etwas langsamer in das TV-Duell. Sie erzielte Zustimmung in allen Lagern mit ihren Aussagen zu „notwendigen Reformen“ in Griechenland (Nummer 1) und mit der Forderung „Leistung muss sich lohnen“ (Nummer 5). Besonders positiv wurde ihre Aussage „Es geht immer als Erstes um das Land, dann um die Partei und dann um die Person“ (Nummer 9) bewertet. Damit knüpfte sie an ihren präsidialen Wahlkampfstil an, in dem sie sich als Sachwalterin deutscher Interessen – u.a. in der Euro-Krise – darstellt. „Allerdings: Angela Merkel war erstaunlich häufig in der Defensive“, sagt Prof. Dr. Brettschneider. „Vor allem zwischen der 50. und der 80. Minute konnte sie auch die eigenen Anhänger nicht stark mobilisieren“. In dieser Zeit ging es u.a. um die Stromsteuer, die Pflegeversicherung, die NSA-Affäre und Syrien.

Das TV-Duell ist wichtig, aber nicht zwingend wahlentscheidend

Brettschneiders Fazit: „Da sich für die Bundestagswahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Lager abzeichnet war kein Schnarchduell wie 2009 zu erwarten. Die Reaktionen der Testzuschauer waren tatsächlich sehr viel intensiver als 2009.“ Dass er Steinbrück im TV-Duell mit Vorteilen sieht, begründet Brettschneider wie folgt: „Bei einem TV-Duell kommt es insgesamt darauf an nicht bei möglichst vielen Themen zu punkten, sondern bei den entscheidenden. Und das sind die Themen, die von der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler als besonders wichtig eingestuft werden. Und das ist derzeit das Thema Soziale Gerechtigkeit. Dort konnte Steinbrück das eigene Lager besser mobilisieren und die Unentschiedenen eher überzeugen“. Und weiter: „Dieser Vorteil übersetzt sich aber nicht automatisch in eine Stimmabgabe zugunsten der SPD in drei Wochen. Bis zum Wahltag kann noch viel passieren. Vor allem kommen jetzt ja auch die FDP, die Grünen, die Links-Partei und die Piraten zu Wort. Der Kanzler oder die Kanzlerin werden ja nicht direkt gewählt, sondern gewählt werden die Parteien“.

Fundierte Untersuchung mit schnellen Ergebnissen

Kerninstrumente bei der Auswertung des Debattenverlaufs sind Drehregler, die ihre Werte drahtlos und in Echtzeit an einen Zentralrechner übermitteln (sog. Real-Time-Response-Measurement). Die Testzuschauer bewerteten durch Drehen in die eine oder andere Richtung dabei live die beiden Debattanten.

„Der Duell-Erfolg hängt davon ab, wie die beiden Spitzenkandidaten ihre eigenen Anhänger mobilisieren können, aber gleichzeitig die Mobilisierung der Gegner verhindern“, erklärt Prof. Dr. Brettschneider die Hintergründe der Untersuchung. „Gleichzeitig müssen sie versuchen die unentschiedenen Wähler zu überzeugen. Die Politiker reden nicht miteinander, sondern für die Zuschauer.“

Der Zentralrechner erstellt eine Kurve des Debattenverlaufs. Dabei zeigen sich die herausragenden Momente der Debatte (größte Zustimmung oder Ablehnung sowie Polarisierung der Lager). Außerdem untersuchen die Hohenheimer Kommunikationswissenschaftler ob das TV-Duell auch die Wahlabsicht ändert. Dies erfolgt mit einer Nachbefragung, deren Auswertung noch aussteht. Auch werden die Testzuschauer unmittelbar vor der Wahl nochmals befragt. So wollen die Forscher herausfinden, ob und wie lange die TV-Duell-Bewertung anhält. (aus idw-wissenschaftlichen Dienst.) Es bleibt also abzuwarten, was sich in den verbleibenden 17 Tagen noch tun wird.

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