Samstag, 2. November 2013

Zur „Ökumene-Tür“ in der Stiftskirche zu Mosbach

Am vergangenen Sonntag (20.10.) hatte ich einen längeren Eintrag zum Tagesgeschehen und meiner (An-)Teilnahme gemacht. Und dabei einen Fernseh-Gottesdienst erwähnt, der in Mosbach am Neckar gehalten wurde, aus der dortigen Stiftskirche. Ich hatte bedauerte, den Gottesdienst am Bildschirm nicht zumindest über die Predigt hinaus verfolgen zu können, weil ich ja zum Hochamt in den Nordhäuser Dom wollte. Der Grund meines Bedauerns beruhte auf dem Umstand, dass diese Mosbacher Stiftskirche in der der Gottesdienst stattfand, eine Besonderheit aufweist: das Gotteshaus ist durch eine Mauer im Innenraum zweigeteilt. Während in einem der Räume katholischer Gottesdienst stattfindet, ist der andere Raum dem evangelischen Glauben und deren Gottesdiensten vorbehalten. Diese Teilung, die über Jahrzehnte – oder noch länger - konsequent beachtet und „gelebt“ wurde, fand 2008 einen buchstäblichen Durchbruch: die Mauer wurde im Zuge ökumenischer Annäherung durchbrochen und eine Tür eingebaut.

Soweit die Einleitung, die ich noch hören und sehen konnte. Der evangelische Pfarrer Dirk Keller, der zu jener Zeit amtierte (ordinierte) und ursächlich mit diesem Mauerdurchbruch zu tun hatte, würde die Predigt halten und dabei erklären, wie es dazu kam. Und nachdem ich also diese Predigt nicht mehr hören konnte, wandte ich mich per Mail an die Evang. Stiftsgemeinde Mosbach mit der Bitte um ein Manuskript dieser Predigt.

Nachdem es zunächst keine Reaktion gab und meine Hoffnung bereits schwand, erhielt ich gestern tatsächlich das Manuskript und bedanke mich ganz herzlich bei den Mitarbeitenden im Pfarrbüro Mosbach. Und muss feststellen, dass mich diese Predigt inhaltlich etwas an meinen eigenen Kontakt zur Ökumene erinnert, den ich ja erst hier in Nordhausen erhielt und aufzunehmen vermochte. Und seitdem pflege, soweit ich das vermag.

Nun aber ohne weitere Einleitung die Predigt von Pfarrer Dirk Keller, die ich für außerordentlich aufschlussreich halte:

Liebe Schwestern und Brüder,

wie viele hatten vor uns darauf gewartet, dass der evangelische Mann mit seiner katholischen Ehefrau zusammen Gottesdienst feiern kann. Dass man dazugehört, auch wenn man ein bisschen anders glaubt.

Und so stehe ich im Jahre 2008 vor dieser Mauer. Die Ökumene geht tatsächlich auf.

Pfarrer Bader und ich liegen uns in den Armen und für einen Moment ist es so, als ob die letzten 300 Jahre nichts gewesen wär. Ich habe „ökumenische Gänsehaut“.

Die Ökumene ist jetzt in Stein gehauen!

Wenn meine Großmutter jetzt herschauen könnte... sie wäre entsetzt. Vor mir als Enkel hat sie wenig gefordert, außer dass ich nicht mit einer katholischen Frau nach Hause komme.

Maria, Weihrauch, Fronleichnam, Rosenkranz.....alles nichts für meine Großmutter. „Das ist doch katholisch“ war keine Feststellung, sondern ein Urteil: Abgelehnt, passt nicht zu uns.

An meiner Großmutter wird deutlich, wie sich das Verhältnis unserer Kirchen in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Wie viele innere Türen so ganz allmählich aufgegangen sind. Was uns heute selbstverständlich ist, haben katholische und evangelische Christen in vielen Begegnungen miteinander – manchmal gegen starke Widerstände in ihrer Gemeinde – erkämpft und mit langem Atem eingeübt. Allein im Rückblick auf meine eigene Erfahrungen staune ich immer wieder, was sich in der Ökumene alles getan hat.

Zum ersten Mal in einer katholischen Kirche war ich mit meiner Frau. Zunächst war mir vieles fremd. Sitzen-Stehen-Knien … ein merkwürdiger Rhythmus im Gottesdienst. Knien ging gar nicht für mich. Da sträubte sich alles in mir. So protestantisch wie in diesem Moment hatte ich mich noch nie gefühlt. Aber dann bin ich immer neugieriger geworden und wollte verstehen, was mir so fremd war.

Einiges ist mir und vielen evangelischen Christen mittlerweile lieb geworden. Die Osterkerze erinnert an das erste Licht am Ostermorgen. „Christ unser Licht“ singen auch wir heute selbstverständlich in unseren evangelischen Osternachtfeiern. Und wie viele evangelische Familien freuen sich über Taufkerzen, -mittlerweile ein liebgewordenes Zeichen unseres gemeinsamen Glaubens: Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe … so wie es schon im Epheserbrief heißt.

„Ihr tut gerade so, als ob ihr nur von uns etwas gelernt hättet“, konnte ein katholischer Kollege einmal zu mir sagen, „dabei sind auch wir froh, dass es euch gibt. Von euch kann man lernen, frei zu beten, sich mit Gottes Wort intensiv persönlich zu befassen und sich der Musik von Bach hinzugeben“.

Liebe Schwestern und Brüder, dieser Schulterschluss tut nicht nur uns gut, auch der Welt da draußen.

Ich meine: Sie braucht uns mehr denn je, obwohl das Verhalten von Geistlichen in den letzten Jahren immer wieder viele empört hat. Entweder weil sie selbst verletzt wurden oder weil wir mit unserer Botschaft ungläubig geworden sind.

Auch mich erschüttert es, wenn unser Glaube so in Verruf gebracht wird von unseren eigenen Leuten. Doch bei aller berechtigten Empörung finde ich es wichtig, zu unterscheiden! Denn diejenigen, die unseren Glauben in Verruf gebracht haben, sind nicht alleine Kirche, auch wenn sie besondere Verantwortung haben. Christen, Gottes Volk-Das sind wir alle! Und wir versuchen, jeden Tag glaubwürdig zu leben und zu verkündigen, dass Jesus Christus der Herr der Welt ist.

So haben wir uns etwa hier in unserer Stadt dafür eingesetzt, dass auch die Leute, die in ihrem Leben gescheitert sind, würdig beerdigt werden. . . Wie trostlos ihr Leben auch immer gewesen sein mag, auch sie sind Kinder Gottes und werden Gottes Herrlichkeit am Ende sehen!

Ich gestehe: Dies und manches andere in der ökumenischen Zusammenarbeit geht mir auch heute noch unter die Haut. Aber manchmal sträuben sich mir auch die Nackenhaare. Denn mit der Ökumene ist es ein bisschen wie in einer Liebesbeziehung: je mehr man sich aufeinander einlässt, umso empfindsamer wird man, wenn schwierige Zeiten kommen.

So geht’s mir jedes Mal, wenn ich als Gast im katholischen Gottesdienst predige. Eigentlich ist es immer ein ganz besonderes Erlebnis. Wir beten miteinander und legen uns gegenseitig die Bibel aus. So viel Einklang und blindes Verstehen.

Aber dann kommt immer wieder der Bruch. Ein wenig verloren sitzen wir evangelischen Pfarrer hinter dem Altar in der katholischen Kirche und müssen zuschauen, wie die katholische Gemeinde das Abendmahl ohne uns feiert. Obwohl wir gemeinsam daran glauben, dass unser gemeinsamer Herr jetzt mitten unter uns ist, Sünden vergibt und die Gemeinschaft der Schwestern und Brüder im Glauben an ihn stärkt. Das tut weh!

Da muss ich ganz, ganz viel Toleranz aufbringen. Dulden und ertragen, was ich bei aller Liebe nicht verstehe. Aus vielen offenen Gesprächen mit katholischen Priestern und Gemeindegliedern weiß ich, dass sie unter dieser Trennung genauso leiden wie wir.

Mit jedem neuen Papst hoffen sie, dass er diese unsichtbare Mauer um den katholischen Altar niederreißt. Wie gut, dass wir immer wieder miteinander darum beten können, was Christus seinen Jüngern schon versprochen hat. Als er von ihnen Abschied nimmt, verspricht er, dass einmal „alle eins sein werden“.

Wenn mir die Ökumene weh tut, gibt mir dieser Satz Kraft und Geduld, weil er verspricht, dass unsere Einheit aus der „himmlischen Welt“ kommen wird. Irgendwann einmal werden wir alle gemeinsam am Tich des Herrn stehen und keiner wird zuschauen müssen. Wenn's wir nicht erleben, dann unsere Kinder oder Enkel oder Urenkel.

Dabei träumen wir in unseren Gemeinden nicht von einer Einheitskirche. Die Vielfalt soll bleiben: Die farbenfrohen Gewänder der Priester, die Ministranten am Altar und die evangelischen Pfarrfamilien und die biblischen Losungen für jeden Tag. Diese Vielfalt unserer Traditionen und unsere Gemeinsame Mitte ist hier in Mosbach auf einen Blick zu sehen. Und so sind alle berührt, die als Touristen durch die Mosbacher Ökumenetür gehen. „Das ist ein starkes Zeichen“, können sie sagen, „das macht uns Mut, auch daheim weiterzumachen und nicht locker zu lassen!“


„Das Gemeinsame ist stärker als alles, was uns trennt“ - vielleicht gilt diese Erfahrung ja generell. Auch zwischen Mann und Frau, Jung und Alt, Arm und Reich. Denn Jesus Christus ist der Ursprung unseres gemeinsamen Glaubens. Und er ist das eine Ziel, auf das wir zugehen. Darum lohnt es sich, mit viel Geduld verschlossene Wände aufzubrechen, miteinander zu beten und zu entdecken, wozu Christus uns berufen hat: Unsere Einigkeit im Geist. Amen.
Bild: Blick durch die Ökumene-Tür
Foto: Kirchengemeinde Mosbach

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