Obwohl mein Eintrag „Keine Rücksicht
auf Behinderte“ erst einen Tag zurückliegt, erhielt ich prompt
eine Mail-Antwort des Herausgebers der Online-Zeitung nnz,
Peter-Stefan Greiner, dessen Kernsatz lautet: „Auch wenn Sie
behindert sind, dreht sich das Universum (auch im Kunsthaus) nicht um
Sie.“ Und weiter: „Beruhigend ist zu wissen, dass Sie vermutlich
das alleinige Blickrecht wortreich verteidigen. Sei es gegen Grabe,
Müller oder eben gegen Herrn Backhaus, den Sie beleidigend
„Abfallreporter“ titulieren.“ Und gerade letzteres wundert mich
einigermaßen, ist mir doch bekannt, dass die nnz unlängst sogar vom
Presserat gerügt wurde. Ohne das geringste Zugeständnis. Deshalb halte ich den moralischen Zeigefinger für absolut unangebracht..
Ich könnte darauf einfach und leicht
antworten, dass sich hier einmal mehr zeigt, dass Journalisten zwar
gern austeilen, aber nicht einstecken können. Doch bin ich darüber
hinaus der Meinung, dass es hier um Belange von grundsätzlicherer
Bedeutung geht, die auch und gerade die Seriosität und
Glaubwürdigkeit von Journalisten betreffen. Und das scheint mir doch
wesentlich. Wobei mir erneut der Hinweis nötig scheint, dass es
meine ganz persönlichen Überlegungen und Eindrücke sind, die ich
hier einstelle. Und ich würde salopp bemerken, dass derjenige, der
diese Einträge liest, selber schuld ist. (Ich weiß allerdings über
die Verwaltung meines Blogs, wie viele Nutzer diese Schuld inzwischen
„riskieren“.)
Zur Sache also: „Mobilität darf
keine Frage des Alters sein. In jedem Lebensalter wollen sich
Menschen möglichst frei, sicher und autark in ihrer Umgebung bewegen
– auch wenn sie möglicherweise körperlich beeinträchtigt sind.
Genauso wichtig wie der Zugang zu lebenswichtigen Einrichtungen sind
Kontakt und Austausch mit den Mitmenschen. Mit neuen Lösungen für
mehr Mobilität schafft die Bundesregierung dafür die
Voraussetzungen.“
Das ist die jüngste Verlautbarung des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Und die Medien
interpretieren. In diesem Zusammenhang finden periodisch
Seniorenwochen statt, um jeweils die Vorgaben des Bundesministeriums
umzusetzen. Die jüngste dieser Seniorenwochen mit einer ganzen Reihe
von Veranstaltungen in verschiedenen Senioreneinrichtungen und im
Jugendclubhaus fand kürzlich in Nordhausen statt. Und die Zeitungen
berichteten. Die „Nordhäuser Allgemeine“ sogar mit einer
„kleinen Serie“ über Schwachpunkte im urbanen Leben der
Senioren.
Und damit sollen sich offensichtlich
betagte und körperlich beeinträchtigte Menschen zufrieden geben.
Wer Ansprüche auf unmittelbarere Teilhabe beansprucht, dem wird
mitgeteilt, „Auch wenn Sie behindert sind, dreht sich das Universum
. . . nicht um Sie.“ Und spricht von einem Blickrecht. Dabei habe
ich kein „Blickrecht“ reklamiert, wie behauptet wird. Weil es ein
solches ebenso wenig gibt, wie ein Recht von Journalisten, Gästen
einer Veranstaltung den Blick auf das unmittelbare Geschehen zu
nehmen. Ich habe Rücksichtnahme und damit Fairness reklamiert. Und
nicht einmal von einem Journalisten, sondern einem Mitarbeiter der
Abfallwirtschaft des Landratsamtes, also einem normalen Gast der
Veranstaltung. Als Journalist privilegiert ist er meines Wissens
nicht. Seinen in der nnz erschienenen Bericht habe ich sogar als sehr
gut bezeichnet. (Ist es also korrekter, ihn nach seinem derzeitigen
Herkommen als „Reporter aus der Abfallwirtschaft“ zu bezeichnen?)
Und schließlich habe ich mich sogar ausdrücklich bedankt bei
(Bild-)Journalisten und dem Pressesprecher der Stadtverwaltung, für
deren Rücksichtnahme. Wo also liegt das Problem?
Und wenn mir mitgeteilt wird, dass es
beruhigend sei zu wissen, dass ich vermutlich das alleinige
Blickrecht wortreich verteidige, dann will ich darauf gern entgegnen,
dass man im lokalen öffentlichen Veranstaltungsbild kaum noch alte
und behinderte Menschen sieht. Obwohl sie doch inzwischen fast die
Mehrheit der Bevölkerung bilden würden. Sie scheinen längst
resigniert und sich auf ihre Senioren- und Begegnungsstätten
zurückgezogen zu haben. Mangels Verständnisses durch Organisatoren
und Journalisten. (Womit die ganze Chose ein „G'schmäckle“ von
Heuchelei erhält.) Und ich mich vielfach als ältester Teilnehmer
bei Veranstaltungen finde. Obwohl ich mich ja auch davon weitgehend
zurückgezogen habe. Der Leiterin des Kunsthauses bin ich jedenfalls
dankbar, dass mir dabei wenigstens im Kunsthaus eine Sitzgelegenheit
reserviert wird. „Und dann besitze ich die Frechheit, auch noch
etwas Rücksicht von Journalisten und/oder anderen Teilnehmern zu
reklamieren“.
Und wenn ich in dem Zusammenhang über
den Tellerrand hinaussehe, stoße ich auf höchst aufschlussreiche
und authentische Studien und Berichte, die übereinstimmend über
jene Auskunft geben, bei denen ich etwas Rücksichtnahme reklamiere:
Journalisten haben einen schlechten Ruf: Zu dreist, zu unmoralisch,
zu wenig Distanz und zuviel PR in der Berichterstattung, hieß es zum
Beispiel in einer Allensbach-Studio vor einiger Zeit. In
Meinungsumfragen ist das Prestige von Presseleuten vergleichbar mit
dem von Politikern und Gewerkschaftern: Am unteren Ende der Skala.
Viele Befragte finden Journalisten genauso ehrlich wie Autoverkäufer
und Makler, denn der Boulevard-Journalismus prägt das Berufs-Bild:
Reporter, die übertreiben und verdrehen. Berichte dieses Tenors
könnte ich beliebig ergänzen. Und behalte mir vor, es auch
„wortreich“ zu tun. Das Internet bietet dafür ja genügend Platz
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