Dienstag, 6. Januar 2015

Was hat Hartz IV wirklich bewirkt?

Zehn Jahre nach Einführung von Hartz IV hat die SPD-Parteispitze die umstrittenen Reformen als Wegbereiter für die Entwicklung Deutschlands zum "Wirtschaftswunderland" bezeichnet. In einem gemeinsamen Artikel für die "Süddeutsche Zeitung" würdigen Parteichef Sigmar Gabriel und Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles die Erfolge der Politik des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD).


Aus dem gleichen Anlass hält der Arbeitsmarktexperte Prof. Dr. Matthias Knuth vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen (UDE) einen kritischen Rückblick auf Hartz IV und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass das „Deutsche Jobwunder“ der letzten Jahre weniger den Hartz-Reformen als vielmehr dem demografisch bedingten Rückgang an Erwerbstätigen, der Verteilung der Arbeit auf mehr Köpfe und rekordmäßigen Exportüberschüssen zu verdanken ist. Gleichzeitig würden aber starke psychologische Effekte auf den Arbeitsmarkt wirken: Aus Angst vor dem Abstieg in Hartz IV müssen Arbeitslose fast jeden – auch schlechteren – Job annehmen. Die Vermittlung wurde so zwar beschleunigt, aber der Wechsel des Arbeitsplatzes behindert: Das Risiko erscheint zu groß. Das paradoxe Ergebnis: „Eine Reform mit dem Ziel der Aktivierung und Flexibilisierung hat die Fluktuation am Arbeitsmarkt insgesamt verringert – und das trotz der Klagen über angeblichen Fachkräftemangel“, kritisiert Knuth.

Die Arbeitsmarktdynamik wird auch gebremst durch die gesunkenen Einstiegslöhne, die einen Jobwechsel unattraktiv machen, und durch prekäre Beschäftigungsformen, wenn Stellenangebote nur befristet oder als Leiharbeit zur Verfügung stehen. Dass die „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ (Hartz IV) so niedrig ist, dass sich die Betroffenen viele Dinge des täglichen Bedarfs nicht leisten können, wirkt nach Einschätzung von Knuth auch keineswegs als „Arbeitsanreiz“. Langzeitarbeitslosigkeit sei bei vielen auf andere Hemmnisse zurückzuführen, und die soziale Ausgrenzung und Isolierung bei längerfristigem SGB II-Bezug machten es eher noch unwahrscheinlicher, eine Arbeit aufzunehmen.

„Fördern und Fordern“ war das Motto der Reformen, aber die Mittel für die Förderung von Arbeitslosen sind weitaus stärker gekürzt worden als die Arbeitslosigkeit zurückgegangen ist, kritisiert Knuth. „Aktivierend“ wirkt das neue Regime der Arbeitsmarktpolitik auf die besser qualifizierten, gesunden und nur kurzzeitig Arbeitslosen. Diejenigen, die übrig bleiben, benötigten eigentlich mehr Förderung, eine „Arbeitsmarktpolitik der Befähigung“ – diese fehlt. Weil Jobvermittlung Vorrang hat, fiel ihr Weiterbildung weitgehend zum Opfer; insbesondere solche bis zu einem Berufsabschluss führen ein Schattendasein. „Diese Logik passt nicht in eine Situation, in der über Fachkräftemangel geklagt wird und in der fehlende berufliche Qualifikation zu den wichtigsten Faktoren gehört, weshalb die Arbeitslosigkeit nicht weiter abnimmt“, so Knuth.

Bei der Gleichstellung von Frauen und Männern hat das SGB II widersprüchliche Auswirkungen. Während viele gesellschaftliche Regelungen weiterhin das traditionelle „Familienernährer-Modell“ begünstigen, haben Frauen und Männer im Falle der Bedürftigkeit die gleiche Verpflichtung, einen Beitrag zum Haushaltseinkommen zu leisten. Wenn aber der Mann mehr verdienen und damit mehr staatliche Leistungen einsparen kann, wird er vorrangig vermittelt. Auch Frauen mit Kindern werden in der Praxis nur unterdurchschnittlich gefördert.

Nicht nur durch Arbeitslosigkeit, auch wegen der Zahl der Kinder oder weil bezahlbarer Wohnraum fehlt, entsteht Unterstützungsbedarf im System der „Grundsicherung für Arbeitsuchende“. Durch den Ausbau von Wohn und Kindergeldleistungen könnte der stigmatisierende „Hartz IV“-Leistungsbezug vermieden werden, schlägt Prof. Knuth vor. Insgesamt sollten die Schnittstellen zwischen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, auf die derzeit immerhin 6 Millionen Menschen angewiesen sind, und anderen Sozialleistungssystemen überprüft und optimiert werden. 

Katrin Koster Ressort Presse - Stabsstelle des Rektorats der Universität Duisburg-Essen
Quelle: Eine Mitteilung des idw – wissenschaftlichen Dienstes am 05.01.2015

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