Schon wiederholt habe ich
hier im Rahmen des „idw – wissenschaftlichen Dienstes“ Beiträge
der privaten Universität Witten/Herdecke eingestellt. Hier nun geht
es um ein Buch von Prof. Dr. Birger P. Priddat, eines Lehrenden
dieser Universität, in dem der Autor die Ideologie der rationalen
Kaufentscheidungen beendet – Überredung, Vertrauen und Freunde
entscheiden mit. Und es vermittelt Vorstellungen.
„Economics
of persuasion“ – Ökonomie der Überredung heißt das neue Buch
von Prof. Dr. Birger P. Priddat. Es beginnt mit einem Wasserkocher –
der alte ist verkalkt und abgewrackt, ein neuer soll her. Bestens
vorbereitet mit allen Ergebnissen von Stiftung Warentest im Kopf
begibt sich der Homo oekonomicus ins Geschäft, zutiefst zur
Rationalität entschlossen. Im Regal warten 16 verschiedene Exemplare
auf den armen Tropf und alle Überlegungen zu Preislimit und
Energieverbrauch verdampfen wie der letzte Tropfen im Kocher – was
rational richtig wäre ist hässlich wie die Nacht und eine
Beleidigung für das schlafverkrustete Auge am Morgen. Der rationale
Neokortex wird augenblicklich vom emotionalen limbischen System des
Hirns überstimmt und der teure, aber schönere Kocher wird gekauft.
Soviel zur Theorie, dass alle Transaktionen in der Wirtschaft
rational entschieden werden. „Das hat eine nette Logik, die wir
alle gerne an der Wirkung sehen würden, stimmt aber mit der Realität
nicht im mindesten überein“, sagt Priddat.
Und legt nach:
„In der Bank, bei Anlage oder Kredit, geht es um Vertrauen, denn im
Zweifel kann ich das Angebot doch nicht nachrechnen und wenn ich
unabhängig beraten werden wollte, würde ich mir einen unabhängigen
Berater suchen. So aber akzeptiere ich, dass der Banker mir das
Produkt mit der meisten Rendite für ihn oder die Bank andreht, weil
ich ihm vertraue.“ Den Vorgang nennt Priddat „Nichtwissenbasierte
Beziehung“. Oder noch zugespitzter: Wie rechtfertigen sich
astronomische Preise in Luxusrestaurants? „Satt macht mich die
Pommesbude nebenan auch.“ Der Geschmack, lautet dann das Argument
der Gourmets. Doch geht es wirklich darum? „Es geht um eine
Community: Meine Freunde haben mir das empfohlen, der Gastro-Kritiker
meiner Zeitung war begeistert – Ich entscheide doch nicht nach
rationalen, sondern nach zutiefst emotionalen Gesichtspunkten“,
erklärt Priddat an diesem Beispiel und weitet die Analyse aus:
„Werbung alleine reicht nicht, um mich für ein Produkt
einzunehmen. Da müssen Stimmen aus meiner Umgebung – Freunde,
Netzwerke, Nachbarn – dazukommen, damit eine Resonanz entsteht und
ich mich wirklich zu einem Kauf überreden lasse.“ Die gegenseitige
Beobachtung ist somit wichtigstes Argument für oder gegen einen
Kauf. „Der Markt ist eine rhetorische Veranstaltung und der Preis
spielt nur die zweite Geige“, bringt er seine These auf den Punkt.
Deutung und Bedeutung statt Konkurrenz und Preis.
Zum Schluss
macht Priddat einen Schritt zu einer neuen ökonomischen Theorie:
Alleine die Tatsache, dass es zu wirtschaftlichen Transaktionen
kommt, bestimme den Markt, nicht das Motiv. „Natürlich geht es um
Nutzen für Käufer und/oder Verkäufer, aber Rationalität spielt
dabei selten eine Rolle.“
Birger P. Priddat: Economics of
persuasion
Ökonomie zwischen Markt, Kommunikation und
Überredung
Metropolis, 2015, 477 Seiten, ISBN 978-3-7316-1046-5
Zur Home-Uni des Autors:
Die Universität Witten/Herdecke
(UW/H) nimmt seit ihrer Gründung 1983 eine Vorreiterrolle in der
deutschen Bildungslandschaft ein: Als Modelluniversität mit rund
2.000 Studierenden in den Bereichen Gesundheit, Wirtschaft und Kultur
steht die UW/H für eine Reform der klassischen Alma Mater.
Wissensvermittlung geht an der UW/H immer Hand in Hand mit
Werteorientierung und Persönlichkeitsentwicklung.
Witten
wirkt. In Forschung, Lehre und Gesellschaft.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen