Donnerstag, 29. Januar 2015

„Wirtschaft ist so rational wie der Kauf eines Ferraris.“

Schon wiederholt habe ich hier im Rahmen des „idw – wissenschaftlichen Dienstes“ Beiträge der privaten Universität Witten/Herdecke eingestellt. Hier nun geht es um ein Buch von Prof. Dr. Birger P. Priddat, eines Lehrenden dieser Universität, in dem der Autor die Ideologie der rationalen Kaufentscheidungen beendet – Überredung, Vertrauen und Freunde entscheiden mit. Und es vermittelt Vorstellungen.

„Economics of persuasion“ – Ökonomie der Überredung heißt das neue Buch von Prof. Dr. Birger P. Priddat. Es beginnt mit einem Wasserkocher – der alte ist verkalkt und abgewrackt, ein neuer soll her. Bestens vorbereitet mit allen Ergebnissen von Stiftung Warentest im Kopf begibt sich der Homo oekonomicus ins Geschäft, zutiefst zur Rationalität entschlossen. Im Regal warten 16 verschiedene Exemplare auf den armen Tropf und alle Überlegungen zu Preislimit und Energieverbrauch verdampfen wie der letzte Tropfen im Kocher – was rational richtig wäre ist hässlich wie die Nacht und eine Beleidigung für das schlafverkrustete Auge am Morgen. Der rationale Neokortex wird augenblicklich vom emotionalen limbischen System des Hirns überstimmt und der teure, aber schönere Kocher wird gekauft. Soviel zur Theorie, dass alle Transaktionen in der Wirtschaft rational entschieden werden. „Das hat eine nette Logik, die wir alle gerne an der Wirkung sehen würden, stimmt aber mit der Realität nicht im mindesten überein“, sagt Priddat.

Und legt nach: „In der Bank, bei Anlage oder Kredit, geht es um Vertrauen, denn im Zweifel kann ich das Angebot doch nicht nachrechnen und wenn ich unabhängig beraten werden wollte, würde ich mir einen unabhängigen Berater suchen. So aber akzeptiere ich, dass der Banker mir das Produkt mit der meisten Rendite für ihn oder die Bank andreht, weil ich ihm vertraue.“ Den Vorgang nennt Priddat „Nichtwissenbasierte Beziehung“. Oder noch zugespitzter: Wie rechtfertigen sich astronomische Preise in Luxusrestaurants? „Satt macht mich die Pommesbude nebenan auch.“ Der Geschmack, lautet dann das Argument der Gourmets. Doch geht es wirklich darum? „Es geht um eine Community: Meine Freunde haben mir das empfohlen, der Gastro-Kritiker meiner Zeitung war begeistert – Ich entscheide doch nicht nach rationalen, sondern nach zutiefst emotionalen Gesichtspunkten“, erklärt Priddat an diesem Beispiel und weitet die Analyse aus: „Werbung alleine reicht nicht, um mich für ein Produkt einzunehmen. Da müssen Stimmen aus meiner Umgebung – Freunde, Netzwerke, Nachbarn – dazukommen, damit eine Resonanz entsteht und ich mich wirklich zu einem Kauf überreden lasse.“ Die gegenseitige Beobachtung ist somit wichtigstes Argument für oder gegen einen Kauf. „Der Markt ist eine rhetorische Veranstaltung und der Preis spielt nur die zweite Geige“, bringt er seine These auf den Punkt. Deutung und Bedeutung statt Konkurrenz und Preis.

Zum Schluss macht Priddat einen Schritt zu einer neuen ökonomischen Theorie: Alleine die Tatsache, dass es zu wirtschaftlichen Transaktionen kommt, bestimme den Markt, nicht das Motiv. „Natürlich geht es um Nutzen für Käufer und/oder Verkäufer, aber Rationalität spielt dabei selten eine Rolle.“

Birger P. Priddat: Economics of persuasion
Ökonomie zwischen Markt, Kommunikation und Überredung
Metropolis, 2015, 477 Seiten, ISBN 978-3-7316-1046-5

Zur Home-Uni des Autors:
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Witten wirkt. In Forschung, Lehre und Gesellschaft.

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