Zeh: „Wer auf Radikalisierung setzt, sei auf das Grundgesetz verwiesen“
Nordhausen (psv)
Mit einer
Kranzniederlegung auf dem Ehrenfriedhof gedachte heute Nordhausen den
Opfern des Nationalsozialismus. In seiner Rede mahnte Dr. Zeh: „Egal,
wer auf Radikalisierung setzt, der sei auf das Grundgesetz
verweisen.“
Zeh
verwies darauf, dass Nordhausen – als früherer Standort eines
Konzentrationslagers – eine besondere Verantwortung habe, das
Vermächtnis der getöteten und überlebenden
Häftlinge zu bewahren.
Kränze
legten u.a. die amtierende Landrätin Jutta Krauth nieder, Vertreter der
Fraktionen in Stadtrat und Kreistag, der jüdischen Gemeinde, der
Kirchen sowie der Vereine
und Verbände.
Hier die Rede des Oberbürgermeisters im Wortlaut.
Sehr
geehrte Damen und Herren, wir gedenken heute, am 27. Januar, der
Millionen Opfer und Überlebenden
in den deutschen Konzentrationslagern. Dieser Tag wurde von
Bundespräsident Roman Herzog als Gedenktag für die Opfer des
Nationalsozialismus gewählt, weil am 27. Januar 1945 das
Konzentrationslager Auschwitz von der Roten Armee befreit wurde.
Dieser
Tag ist auch für unsere Stadt ein besonders wichtiger Tag. Auch
Nordhausen war über Jahre hinweg
der Standort eines Konzentrationslagers. Mit und von diesem Lager hat
Nordhausen gelebt. Deshalb ist es auch um so wichtiger, dass wir in
jedem Jahr hier zusammenkommen.
Angesichts
des Grauens und der schrecklichen Bilder, die von Ausschwitz auch an
diesem Gedenktag uns immer
wieder ins Gedächtnis gerufen werden, fehlt uns die Fähigkeit, diese
Hölle in Worte zu fassen. Deshalb will ich mit den Worten eines
Gedichtes des deutschen Literaten Werner Bergengruen beginnen. Er
schrieb es 1945 in „Die letzte Epiphanie“:
„Ich hatte dieses Land in mein Herz genommen.
Ich habe ihm Boten um Boten gesandt
In vielen Gestalten bin ich gekommen
Ihr aber habt mich in keiner erkannt.
Ich klopfte bei Nacht, ein bleicher Hebräer,
ein Flüchtling, gejagt mit zerrissenen Schuhn.
Ihr riefet den Schergen, ihr winktet dem Späher
Und meintet noch, Gott einen Dienst zu tun.
Ich kam als Gefangener, als Tagelöhner;
Verschleppt und verkauft, von der Peitsche zerfetzt.
Ihr wandet den Blick von dem struppigen Fröner
Nun komm ich als Richter. Erkennt ihr mich jetzt?“
Mit
seinem Gedicht hat Bergengruen den Deutschen den Spiegel vorgehalten.
Die Deutschen waren verblendet,
aufgehetzt und verzerrt vom Hass. Sie haben das Wesentliche nicht mehr
sehen wollen: Den Menschen mit seiner unantastbaren Würde.
Eugen Kogon, selbst KZ-Häftling, deutscher Patriot, und später einer der geisteigen Väter des Grundgesetzes
sowie Autor des Buches „Der SS-Staat“ schreibt dort unmittelbar nach dem Kriegsende:
„Der
durchschnittliche Deutsche wusste nichts davon, dass Gott uns in
Menschengestalt zu erscheinen pflegt,
in der Gestalt des „geringsten seiner Brüder und Schwestern“, um uns
auf die erlösende Probe der einfachen Menschlichkeit zu stellen.
Wir
können Deutsche, Amerikaner, Engländer, Franzosen sein, aber vor dem
höheren Forum nur so lange, als
wir dabei nicht vergessen und verlernen, zuallererst Menschen zu sein.
Ich meine, das deutsche Volk sollte mit jener Objektivität, die es
auszeichnet, lesen, was in den Prozessakten der Wahrheit als ermittelt
und bezeugt geschrieben steht, und dann sich selber
fragen:
Wo waren wir hingeraten? Wie war das möglich? Was können wir tun, um vor uns selbst und der Welt zu bestehen?“
Diese
Worte von Eugen Kogon haben heute große Aktualität erhalten: Unser Land
ist in Bewegung, tausende
von Menschen sind auf den Straßen. Die Beweggründe sind zwar diffus,
doch umso schärfer muss die Grenze sein. Sie verläuft genau dort, wo
eine Gruppe von Menschen, nämlich Minderheiten, zu Sündenböcken gemacht
werden soll. Die Mehrheit der Muslime kann nichts
für mordende islamistische Fanatiker, genauso wenig wie die Flüchtlinge
aus den arabischen Ländern, die um ihr Leben bangen müssen. Diesen
Menschen kämpfend um die nackte Existenz – diesen müssen wir Asyl
gewähren!
Das ist Deutschlands menschliche und ethische Verpflichtung. Und diese Differenzierung sollte sowohl bei
den Pegida-Demonstrationen klar gemacht werden wie bei jenen, die unter Missbrauch von Religion morden.
Und
wer es nicht verstehen mag, wer auf Radikalisierung setzt, der sei
nachdrücklich auf das Grundgesetz verwiesen: Dort stehen die
entscheidenden Sätze. Sie gelten,
Wort für Wort, und Wort für Wort sind sie verbindlich und einklagbar:
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2)
Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und
unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen
Gemeinschaft, des Friedens und der
Gerechtigkeit in der Welt. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.
Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
Im
April werden wir den 70. Jahrestag der Befreiung des KZ „Mittelbau
Dora“ begehen. Für viele der Überlebenden wird es aufgrund des Alters
der letzte Besuch an der Nordhäuser
Leidensstätte sein. Damit wächst unserer Verantwortung: Wir werden das
Vermächtnis der Ermordeten und der Überleben antreten- und vor allem
bewahren müssen. Lassen Sie uns nun jener gedenken, die der Hölle der
Konzentrationslager nicht entkommen konnten und
die auch hier beigesetzt sind.
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