Das Märchen vom Wachstums- und Beschäftigungsmotor
Ralf Julke
20.10.2014
Kassensturz
Foto: Ralf Julke
Es ist nicht die erste Untersuchung zu den diversen Studien, mit denen in Deutschland für die Einführung des Freihandelsabkommens TTIP geworben wird. Neu ist, dass die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung hier eine kurze Berechnung veröffentlicht, die selbst die Heilsversprechen der Befürworter als Märchen entlarvt. Eher sogar als faules Ei, denn während auf der einen Seite satte Wachstumseffekte versprochen werden (die so nicht eintreten), werden die Kosten einfach weggelassen.
Zwei Studien hat sich Sabine Stephan, Leiterin des Referats
Ökonometrie im Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung
(IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung, besonders vorgenommen: eine
Studie des ifo Institutes von 2013 im Auftrag des damals noch
FDP-geleiteten Bundeswirtschaftsministerium und eine ifo-Studie im
Auftrag der Bertelsmann Stiftung, ebenfalls von 2013. Die Zahlen aus
beiden Studien, mit denen seitdem insbesondere wirtschaftsnahe
Stiftungen und Parteien für das Abkommen trommeln, werden immer
wieder zitiert, wenn Kritikern der enorme Effekt des Abkommens -
quasi als Ausgleich für die Schäden bei sozialen und ökologischen
Standards - entgegen gehalten werden soll.
Nur: Von diesen Zahlen bleibt am Ende nichts übrig als ein winziges statistisches Rauschen. Der Effekt ist - wenn er denn überhaupt so eintritt, so minimal, dass selbst das winzigste nationale Investitionsprogramm höhere Effekte hat.
Das Wachstum des Brutto-Inlands-Produkts - ein Märchen
Im Grunde waren schon die Zahlen der Studie des Centre for Economic Policy Research (CEPR), die die EU lanciert hat, was das BIP-Wachstum in der EU bis 2020 betrifft, sehr bescheiden. Für den Fall, dass ein umfassendes Freihandelsabkommen umgesetzt wird, hatte das CEPR berechnet, dass das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU um 0,48 Prozent wächst und das der USA um 0,39 Prozent. Und zwar nicht jährlich, wie gern unterstellt wird, sondern bis 2027. Nur zum Vergleich: In der Bundesrepublik bricht schon das große Lamento aus, wenn statt 1,5 nur noch 1,2 Prozent BIP-Wachstum für ein Jahr vorausgesagt wird.
Aber 0,48 Prozent in 13 oder auch nur 10 Jahren? - Das ist ein Witz, stellt Sabine Stephan fest. "Bezogen auf den Simulationszeitraum von zehn Jahren brächte TTIP der EU und den USA ein zusätzliches durchschnittliches Wachstum beim BIP von weniger als 0,05 Prozentpunkten pro Jahr, was verschwindend gering ist."
Auf der Website der EU-Kommission heißt es bezüglich der CEPR-Studie: „Einem unabhängigen Bericht zufolge könnte ein ambitioniertes Abkommen Unternehmen Ersparnisse in Millionenhöhe bescheren und hunderttausende neue Arbeitsplätze kreieren.“
Aber nichts davon stimmt. Man arbeitet mit bunten Blasen.
Kassensturz
Foto: Ralf Julke
Sabine Stephan: "Tatsächlich werden in der CEPR-Studie keine Aussagen zu gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungsgewinnen oder -verlusten gemacht. Der Grund ist, dass im CEPR-Modell ein festes Arbeitsangebot unterstellt wird. Das heißt: In diesem Modell kann es zu einer Verschiebung der Beschäftigung zwischen Sektoren kommen, weil die steigende Nachfrage nach Arbeitskräften in expandierenden Sektoren dazu führt, dass Arbeitskräfte aus anderen Sektoren abgezogen werden. Langfristig ist das Beschäftigungsniveau jedoch konstant. Damit hat das Freihandelsabkommen aufgrund des gewählten Modellrahmens in der langen Frist keinen Einfluss auf die Beschäftigung."
Aber das ifo Institut ist in der Berechnung der möglichen Effekte auch nicht besser. Auch wenn es beim BIP-Effekt sogar noch eine Schippe drauf legt und "am Ende des Anpassungszeitraums von 10 bis 20 Jahren" für die EU ein etwa 1,7 Prozent höheres BIP voraussagt - für die USA eins von 2,2 Prozent. "Verteilt man diesen Langfristeffekt über 15 Jahre, ergibt sich ein zusätzliches durchschnittliches Wachstum von etwa 0,1 Prozentpunkten pro Jahr, was wiederum ein sehr kleiner Effekt ist", stellt Sabine Stephan fest.
Und wie ist das mit den "hunderttausenden zusätzlichen Jobs"?
"Die ifo/BMWi-Studie rechnet für Deutschland mit insgesamt 25.220 neuen Jobs, in der ifo/Bertelsmann-Studie sind es insgesamt 181.092. Bei diesen Zahlen handelt es sich wohlgemerkt wieder um den Gesamteffekt", stellt Sabine Stephan trocken fest. "Bezogen aufs Jahr wären es im ersten Fall weniger als 1.700 neue Arbeitsplätze für die gesamte deutsche Volkswirtschaft. Im zweiten Fall wären es etwa 12.000 neue Jobs, was einem zusätzlichen durchschnittlichen Anstieg der Beschäftigung von 0,03 Prozentpunkten pro Jahr entspricht. Selbst für die USA, die laut ifo Institut von TTIP stärker profitieren würden als die Europäer, beläuft sich das zusätzliche durchschnittliche Wachstum bei der Beschäftigung auf 0,05 Prozentpunkte pro Jahr. Das heißt, dass der Beschäftigungseffekt selbst unter außerordentlich günstigen Annahmen winzig ist."
Und am Ende erwähnt sie zumindest die Gegenrechnung, die all diese wirtschafts- und politiknahen Rechner immer weglassen, weil es die Ergebnisse verhageln würde.
"Bemerkenswert ist, dass sich keine der Studien ernsthaft mit den Kosten eines umfangreichen Freihandelsabkommens beschäftigt. Vielmehr werden makroökonomische Kosten mit dem Argument heruntergespielt, dass es sich um vorübergehende Anpassungskosten handele. Was überhaupt keine Erwähnung findet, sind die sozialen Kosten, die durch den substantiellen Abbau regulatorischer Maßnahmen im Zuge eines umfassenden Freihandelsabkommens entstehen könnten. In der Logik der EU-Kommission ist der Abbau nicht-tarifärer Hemmnisse gleichbedeutend mit der Beseitigung unnötiger Regelungen und damit per se gut", stellt sie fest. Die EU-Kommission steht also mit dieser Ansicht komplett auf der Seite der großen Unternehmen, die Hemmnisse für ihre Geschäfte beseitigt sehen wollen. Bezahlen muss das am Ende wieder der gemeine Steuerzahler. Das beste Beispiel sind die milliardenschweren Rettungspakete für eine hemmungslos gewordene Finanzbranche.
Sabine Stephan: "Würde man bei der Beurteilung des geplanten Freihandelsabkommens berücksichtigen, dass der Gesellschaft durch den Abbau solcher Regelungen beträchtliche Kosten entstehen und dass diese z.B. über Steuererhöhungen finanziert werden müssten, was wiederum dämpfende Effekte auf Wachstum und Beschäftigung haben würde, dürfte sich die ohnehin magere Bilanz eines transatlantischen Freihandelsabkommens noch deutlich verschlechtern."
http://library.fes.de/pdf-files/wiso/10969.pdf
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