Jeder
Euro, den die Ostdeutschen nach der Wende mehr an Rente und
Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen bekamen, trug pro
Jahr zu einer Lebensverlängerung von drei Stunden bei
Rostock.
Öffentliche Gelder haben spürbar dazu beigetragen, dass die
Lebenserwartung in den neuen Bundesländern angestiegen ist und zu
der des Westens aufgeschlossen hat. Einen solchen bisher strittigen
Effekt auf die Lebenslänge haben Wissenschaftler des
Max-Planck-Instituts für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock
nun erstmals quantifiziert: Mit jedem Euro, um den die Renten und die
Leistungen der Krankenversicherungen in den neuen Bundesländern nach
der Wiedervereinigung stiegen, wuchs die Lebenserwartung dort
jährlich um durchschnittlich drei Stunden pro Kopf.
Das
ergeben Berechnungen, die mit neuartigen, altersspezifischen Daten zu
öffentlichen Ausgaben bis ins Jahr 2000 möglich waren.
MPIDR-Demograf Tobias Vogt veröffentlichte die Ergebnisse jetzt im
Wissenschaftsjournal „Journal of the Economics of Ageing“.
Vom
Mauerfall bis zur Jahrtausendwende war die Lebenserwartung in den
neuen Bundesländern mit einem Plus von fast vier Jahren stark
gestiegen. Noch 1989 war im Osten mit durchschnittlich 73,5 Jahren
ein deutlich kürzeres Leben zu erwarten als im Westen mit 76,0.
Schon zur Jahrtausend¬wende war diese Ost-West-Differenz von
zweieinhalb Jahren auf weniger als ein Jahr geschrumpft. Gleichzeitig
legten die öffentlichen Ausgaben für die Sozialversicherung der
Ostdeutschen durchschnittlich von rund 2.100 Euro pro Person und Jahr
auf knapp 5.100 Euro zu.
+++Gesundheitsausgaben wichtiger als
Rente+++
„Dem oft als Explosion bezeichneten Anstieg der
Sozialausgaben im Zuge der Wiedervereinigung steht ein erfreulicher
Sprung in der Lebenserwartung gegenüber“, sagt Tobias Vogt. Wenn
Geld in die Angleichung der Lebensstandards fließe, könne sich
dadurch auch das Sterberisiko angleichen. „Wenn über die
gesellschaftliche Alterung geredet wird, werden Ausgabenerhöhungen
fast immer als deren Konsequenz gesehen“, sagt der Rostocker
Forscher. „Unsere Analyse zeigt, dass sie andersherum aber auch
eine Investition in ein längeres Leben sein können.”
Zusätzliche
Ausgaben im Gesundheitssystem wirken dabei offenbar stärker als
Erhöhungen der Rente: Jeder Euro, den die gesetzlichen
Krankenversicherungen im Osten mehr ausgaben, trug zweieinhalb Mal so
viel zur Senkung der Sterblichkeit bei als jeder zusätzliche Euro
für das Rentensystem. „Eine bessere gesundheitliche Versorgung ist
am wichtigsten für ein längeres Leben“, sagt Demograf Vogt.
Schließlich bedeuteten steigende Kosten in der Krankenversicherung
auch mehr und hochwertigere ärztliche Behandlung sowie eine bessere
Versorgung mit Medikamenten und anderen Gesundheitsleistungen. „Ohne
die Angleichung der Rentenzahlungen hätte die Schere zwischen den
Lebenserwartungen in Ost und West aber nicht geschlossen werden
können“, sagt Tobias Vogt. Denn bei gleicher medizinischer
Versorgung sei der Lebensstandard entscheidend. Und den bestimme
maßgeblich die Rente.
+++Wiedervereinigung als großes
Sozialexperiment+++
Bisher war unklar, welchen Einfluss
öffentliche Sozialausgaben auf die anhaltende Verlängerung unseres
Lebens haben. Das wiedervereinigte Deutschland bezeichnet
MPIDR-Forscher Vogt als ideales „Sozialexperiment“, um diese
Frage zu klären. Es liefert den historischen Ausnahmefall von zwei
Bevölkerungen mit unterschiedlichen Sozialsystemen und
Lebenserwartungen, die sich innerhalb weniger Jahrzehnte
angleichen.
Der MPIDR-Vergleich von Ost und West wurde
möglich, da mit dem neuen Forschungsdatensatz „National Transfer
Accounts“ erstmals Daten sowohl zu Renten- als auch zu
Gesundheitsausgaben für einzelne Altersgruppen vorlagen. Dadurch
konnten die MPIDR-Wissenschaftler ihre Analyse auf Menschen ab 65
Jahren eingrenzen. So schlossen sie weitere wichtige Einflüsse auf
die Lebenserwartung wie Bildung und Migration aus, da diese Faktoren
vor allem die Jüngeren betreffen.
Über das MPIDR
Das
Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock
untersucht die Struktur und Dynamik von Populationen: von
politikrelevanten Themen des demografischen Wandels wie Alterung,
Geburtenverhalten oder der Verteilung der Arbeitszeit über den
Lebenslauf bis hin zu evolutionsbiologischen und medizinischen
Aspekten der Alterung. Das MPIDR ist eine der größten
demografischen Forschungseinrichtungen in Europa und zählt zu den
internationalen Spitzeninstituten in dieser Disziplin. Es gehört zur
Max-Planck-Gesellschaft, einer der weltweit renommiertesten
Forschungsgemeinschaften. http://www.demogr.mpg.de
Silvia
Leek Öffentlichkeitsarbeit
und Pressestelle
Max-Planck-Institut
für demografische Forschung
Eine
Mitteilung des idw – wissenschaftlichen Dienstes am 15.10.2014
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