Es grenzt schon ans Groteske, was in den vergangenen Tagen
angesichts des möglichen Regierungswechsels in Thüringen an
Kommentaren, Prognosen und Spekulationen in den Zeitungen dieses
Landes zu lesen war. Und wenn es wirklich zu einer Rot-rot-grünen
Koalition kommt, wird das Rauschen im Blätterwald erneut richtig
anheben.
Ich schicke meinen Überlegungen voraus, dass ich ja erst kurz
nach der Wende nach Nordhausen kam, kurz genug allerdings, um die
Rolle der Zeitung in der Wendezeit auch noch aus einen Blickwinkel
erlebt zu haben, der im jüngsten Kommentar von Thomas Müller,
Leiter der Nordhäuser Redaktion der „Thüringer Allgemeine“ zu
diesem Thema nicht erwähnt wird.
Ich schicke aber auch voraus, dass ich damals auch von einer Jutta
Wehmann, die sich um die Wende wie viele Andere verdient machte, bei
einer Diskussion mit dem Hinweis zurechtgewiesen wurde: „Da können
Sie nicht mitreden, das können nur Leute, die hier gelebt haben.“
Ich bemühte daraufhin, mich daran zu halten, weil ich es für klüger
hielt, Argumenten solcher Art zu entgehen. Und ich versuche, mich
auch jetzt noch als betagter Mensch daran zu halten und verzichtete
deshalb sogar auf eine Teilnahme an der gestrigen Gedenkveranstaltung
in der Altendorfer Kirche und der anschließenden Demonstration. Mich
aber über manche Entwicklungen und Erscheinungen beeindrucken zu
lassen, mich über andere zu freuen oder auch zu wundern und es auch
heute noch tue, erlaube ich mir schon. Ohne sie zu werten oder zu
kommentieren.
In erwähntem Kommentar Thomas Müllers zur Rolle der Zeitung zur
Wende heißt es u.a. (Auszug): „Die Presse war die Presse der
Regierenden. Sie durfte nicht berichten.“ (Ende des Auszugs)
Gemeint ist das Geschehen in der Altendorfer Kirche am 24.
Oktober1989 und den anschließenden Demonstrationszug. Da stellt sich
mir schon die Frage nach der Haltung der Redakteure? Ich lernte nach
der Wende noch RedakteurInnen in der in „Thüringer Allgemeine“
umbenannten früheren „Volk“ kennen und erinnere mich an solche,
die der untergegangenen DDR buchstäblich nachweinten. Und sich nur
schwer in ihre neue Verantwortlichkeit gewöhnten. Und fand diese
Haltung beachtenswert. Andere hatten sich ganz schnell neu orientiert
und waren zu einer der aus dem Westen gekommenen Zeitungsredaktionen
gewechselt. Und schließlich auch solche, die ohne erkennbare innere
oder gesellschaftliche Neuorientierung halt weiter ihren Job (als
Redakteur oder Fotograf) machten. Und fragte mich ob, bzw. was bei
manchen Journalisten Beruf oder Berufung ist, und was deren Charakter
dabei für eine Rolle spielt. Eine Überlegung, die mich auch heute
noch bei manchen Vorgängen beschäftigt.
Doch zum eigentlichen Thema. Längst gehören Argumente und
Zurechtweisungen wie jene der Jutta Wehmann der Vergangenheit an. Und
was gerade derzeit in der Presse von Berchtesgaden bis Rostock und
von Görlitz bis Aachen über die Wahrscheinlichkeit einer
Rot-rot-grünen-Koalition in Thüringen gemutmaßt und geschrieben
wird, ist so unterschiedlich und variiert von „Ostdeutsche wollen
linken Regierungschef“ (TA am 25.10.14 unter Berufung auf
ZDF-Politbarometer) bis zu „Das ist der Untergang der SPD in
Thüringen“ (Berliner Morgenpost am 21.10.14). Und dazwischen
findet sich alles, was überhaupt an Prognosen und Spekulationen
möglich ist. Und das ist ein sehr, sehr weites Feld, das ich hier
aber nicht abgrasen will.
An konkreten Äußerungen finde ich
jedenfalls bemerkenswert, was der
Erfurter IHK-Präsident, Dieter Bauhaus, am Tag der Deutschen Einheit
äußerte: „Für mich persönlich ist es schon eine Ironie der
Geschichte, wenn 25 Jahre nach der friedlichen Revolution darüber
diskutiert wird, ob die Nachfolgepartei der SED den
Ministerpräsidenten in Thüringen stellen soll.“ Aber ebenso
bemerkenswert die Konsequenz: Bauhaus wurde vom Thüringer
Wirtschaftsministerium „darauf aufmerksam gemacht“, dass sich
eine IHK als Kammer des öffentlichen Rechts neutral zu verhalten
habe.
Laut „Thüringer Allgemeine“ (24.10.14) rief das wiederum den
Präsidenten des Verbandes der Thüringer Wirtschaft, Hartmut Koch,
auf den Plan, der am Freitag zu der vom Wirtschaftsministerium
gerügten Äußerung sagte (Auszug): "Präsident Bauhaus hat
Recht." Auch für Koch
wäre es "Ironie der Geschichte, wenn 25 Jahre nach dem
Mauerfall die Nachfolgepartei der SED den Ministerpräsidenten
stellen würde".(Ende des Auszugs)
Inwieweit
diese politische Aussage auf eine mögliche weitere
Wirtschaftsentwicklung Bedeutung haben könnte, bleibt abzuwarten.
Richtig ist jedenfalls, dass die Linke in der Wirtschaftsförderung
stärker auf kleine Unternehmen zielen will. In der FAZ liest man
dazu (Auszug vom 23.10.14): „Vermeintlich große Investoren“
sollen dagegen „nicht länger bevorzugt werden“. Auf wenig
Gegenliebe in der Wirtschaft dürfte das „Thüringer Mindestlohn-
und Vergabegesetz“ stoßen - will die Partei doch öffentliche
Aufträge nur noch an Unternehmen vergeben, „die Tariflöhne und
existenzsichernde Mindestlöhne nicht unter 10 Euro pro Stunde
zahlen“, Behinderte beschäftigen, überdurchschnittlich aus- und
weiterbilden, Chancengleichheit befördern und familienfreundlich
sind.“(Ende des Auszugs).
Und
wenn also gestern in Nordhausen mit einer Gedenkveranstaltung der
Vorgänge am 24. Oktober 1989, also vor 25 Jahren, gedacht wurde
(siehe oben), steht diese aktuelle Entwicklung in Richtung einer
rot-rot-grünen-Koalition mit Bodo Ramelow (LINKE) als
Ministerpräsidenten an der Spitze, damit nicht gerade in Einklang.
Und dass gerade die Mehrheit der Ostdeutschen dafür sein soll, kann
zumindest nachdenklich stimmen.
Ramelow
jedenfalls kündigte erneut eine ausgewogene Machtverteilung in einer
Regierung unter seiner Führung an. Die Linke werde nur die
"Ankerpartei" in dem rot-rot-grünen Dreierbündnis sein.
Linke und Grünen könnten "auf gleicher Augenhöhe"
agieren. Er wolle nicht so wie bislang die CDU "den Partnern
arrogant gegenübertreten", sagte er laut „Thüringer
Allgemeine“ von heute.
Ich
bin also auf die weiter Entwicklung gespannt, die sich da
abzeichnet. Unabhängig von allen sonstigen Spekulationen in den
Zeitungen.
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