Samstag, 25. Oktober 2014

Es rauscht im deutschen Blätterwald

Es grenzt schon ans Groteske, was in den vergangenen Tagen angesichts des möglichen Regierungswechsels in Thüringen an Kommentaren, Prognosen und Spekulationen in den Zeitungen dieses Landes zu lesen war. Und wenn es wirklich zu einer Rot-rot-grünen Koalition kommt, wird das Rauschen im Blätterwald erneut richtig anheben.


Ich schicke meinen Überlegungen voraus, dass ich ja erst kurz nach der Wende nach Nordhausen kam, kurz genug allerdings, um die Rolle der Zeitung in der Wendezeit auch noch aus einen Blickwinkel erlebt zu haben, der im jüngsten Kommentar von Thomas Müller, Leiter der Nordhäuser Redaktion der „Thüringer Allgemeine“ zu diesem Thema nicht erwähnt wird.


Ich schicke aber auch voraus, dass ich damals auch von einer Jutta Wehmann, die sich um die Wende wie viele Andere verdient machte, bei einer Diskussion mit dem Hinweis zurechtgewiesen wurde: „Da können Sie nicht mitreden, das können nur Leute, die hier gelebt haben.“ Ich bemühte daraufhin, mich daran zu halten, weil ich es für klüger hielt, Argumenten solcher Art zu entgehen. Und ich versuche, mich auch jetzt noch als betagter Mensch daran zu halten und verzichtete deshalb sogar auf eine Teilnahme an der gestrigen Gedenkveranstaltung in der Altendorfer Kirche und der anschließenden Demonstration. Mich aber über manche Entwicklungen und Erscheinungen beeindrucken zu lassen, mich über andere zu freuen oder auch zu wundern und es auch heute noch tue, erlaube ich mir schon. Ohne sie zu werten oder zu kommentieren.


In erwähntem Kommentar Thomas Müllers zur Rolle der Zeitung zur Wende heißt es u.a. (Auszug): „Die Presse war die Presse der Regierenden. Sie durfte nicht berichten.“ (Ende des Auszugs) Gemeint ist das Geschehen in der Altendorfer Kirche am 24. Oktober1989 und den anschließenden Demonstrationszug. Da stellt sich mir schon die Frage nach der Haltung der Redakteure? Ich lernte nach der Wende noch RedakteurInnen in der in „Thüringer Allgemeine“ umbenannten früheren „Volk“ kennen und erinnere mich an solche, die der untergegangenen DDR buchstäblich nachweinten. Und sich nur schwer in ihre neue Verantwortlichkeit gewöhnten. Und fand diese Haltung beachtenswert. Andere hatten sich ganz schnell neu orientiert und waren zu einer der aus dem Westen gekommenen Zeitungsredaktionen gewechselt. Und schließlich auch solche, die ohne erkennbare innere oder gesellschaftliche Neuorientierung halt weiter ihren Job (als Redakteur oder Fotograf) machten. Und fragte mich ob, bzw. was bei manchen Journalisten Beruf oder Berufung ist, und was deren Charakter dabei für eine Rolle spielt. Eine Überlegung, die mich auch heute noch bei manchen Vorgängen beschäftigt.


Doch zum eigentlichen Thema. Längst gehören Argumente und Zurechtweisungen wie jene der Jutta Wehmann der Vergangenheit an. Und was gerade derzeit in der Presse von Berchtesgaden bis Rostock und von Görlitz bis Aachen über die Wahrscheinlichkeit einer Rot-rot-grünen-Koalition in Thüringen gemutmaßt und geschrieben wird, ist so unterschiedlich und variiert von „Ostdeutsche wollen linken Regierungschef“ (TA am 25.10.14 unter Berufung auf ZDF-Politbarometer) bis zu „Das ist der Untergang der SPD in Thüringen“ (Berliner Morgenpost am 21.10.14). Und dazwischen findet sich alles, was überhaupt an Prognosen und Spekulationen möglich ist. Und das ist ein sehr, sehr weites Feld, das ich hier aber nicht abgrasen will.


An konkreten Äußerungen finde ich jedenfalls bemerkenswert, was der Erfurter IHK-Präsident, Dieter Bauhaus, am Tag der Deutschen Einheit äußerte: „Für mich persönlich ist es schon eine Ironie der Geschichte, wenn 25 Jahre nach der friedlichen Revolution darüber diskutiert wird, ob die Nachfolgepartei der SED den Ministerpräsidenten in Thüringen stellen soll.“ Aber ebenso bemerkenswert die Konsequenz: Bauhaus wurde vom Thüringer Wirtschaftsministerium „darauf aufmerksam gemacht“, dass sich eine IHK als Kammer des öffentlichen Rechts neutral zu verhalten habe. Laut „Thüringer Allgemeine“ (24.10.14) rief das wiederum den Präsidenten des Verbandes der Thüringer Wirtschaft, Hartmut Koch, auf den Plan, der am Freitag zu der vom Wirtschaftsministerium gerügten Äußerung sagte (Auszug): "Präsident Bauhaus hat Recht." Auch für Koch wäre es "Ironie der Geschichte, wenn 25 Jahre nach dem Mauerfall die Nachfolgepartei der SED den Ministerpräsidenten stellen würde".(Ende des Auszugs)


Inwieweit diese politische Aussage auf eine mögliche weitere Wirtschaftsentwicklung Bedeutung haben könnte, bleibt abzuwarten. Richtig ist jedenfalls, dass die Linke in der Wirtschaftsförderung stärker auf kleine Unternehmen zielen will. In der FAZ liest man dazu (Auszug vom 23.10.14): „Vermeintlich große Investoren“ sollen dagegen „nicht länger bevorzugt werden“. Auf wenig Gegenliebe in der Wirtschaft dürfte das „Thüringer Mindestlohn- und Vergabegesetz“ stoßen - will die Partei doch öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen vergeben, „die Tariflöhne und existenzsichernde Mindestlöhne nicht unter 10 Euro pro Stunde zahlen“, Behinderte beschäftigen, überdurchschnittlich aus- und weiterbilden, Chancengleichheit befördern und familienfreundlich sind.“(Ende des Auszugs).


Und wenn also gestern in Nordhausen mit einer Gedenkveranstaltung der Vorgänge am 24. Oktober 1989, also vor 25 Jahren, gedacht wurde (siehe oben), steht diese aktuelle Entwicklung in Richtung einer rot-rot-grünen-Koalition mit Bodo Ramelow (LINKE) als Ministerpräsidenten an der Spitze, damit nicht gerade in Einklang. Und dass gerade die Mehrheit der Ostdeutschen dafür sein soll, kann zumindest nachdenklich stimmen.


Ramelow jedenfalls kündigte erneut eine ausgewogene Machtverteilung in einer Regierung unter seiner Führung an. Die Linke werde nur die "Ankerpartei" in dem rot-rot-grünen Dreierbündnis sein. Linke und Grünen könnten "auf gleicher Augenhöhe" agieren. Er wolle nicht so wie bislang die CDU "den Partnern arrogant gegenübertreten", sagte er laut „Thüringer Allgemeine“ von heute.

Ich bin also auf die weiter Entwicklung gespannt, die sich da abzeichnet. Unabhängig von allen sonstigen Spekulationen in den Zeitungen.

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