Mittwoch, 4. Dezember 2013

Journalisten erfüllen Erwartungen nicht

Das stellte keine geringere als die Akademie für Publizistik in einer Verlautbarung am 21.11.13 fest. Ihr liegt das Ergebnis einer forsa-Umfrage zugrunde, die Journalisten ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis ausstellt. Im Grunde wird damit nur erneut ein Bild bestätigt, in dem das Ansehen der Journalisten etwa dem der Politiker gleich gesetzt wird: in der Ansehensskala also ganz weit unten. „Um das Vertrauen der Menschen in den Journalismus zu stärken, gibt es nur einen Weg: Wir müssen die Qualität unserer Arbeit verbessern“, sagt Annette Hillebrand, Leiterin der Akademie für Publizistik in der Konsequenz der erwähnten Umfrage. Im übrigen ist es ja wohl so, dass gerade die Medien, also Journalisten wesentlich dazu beitrugen – und es noch immer tun – das Bild der Politiker zu prägen. Und dabei scheinbar selbst in den Sog geraten, den sie verursachen
Ob das Interview im „heute journal“ der Journalistin Marietta Slomka mit Sigmar Gabriel, dem Vorsitzenden der Bundes-SPD, am vergangenen Donnerstag ein Beitrag zur Verbesserung der Qualität journalistischer Arbeit war, möchte ich bezweifeln, obwohl ich mich nur auf die Berichte in den Medien stützen kann, denn ein eigenes, unmittelbares Bild konnte ich mir nicht machen. Es sollte am Sonntag Mittag über RTL in „sonntags live“ nochmal gesendet werden. Nachdem es aber nach der Hälfte der Sendezeit noch immer nicht angeboten wurde, gab ich die Hoffnung auf, zumal mich das, was bis dahin zu sehen und zu hören war, kaum interessierte. Dass viele die Moderatorin Slomka hinterher als „Zicke“ bezeichneten, wie berichtet wird, lässt zwar tief blicken, wenn ich es auch nicht überbewerte. Wobei es darauf natürlich nicht ankommt. Zumal weiter berichtet wird, dass bei Twitter und Facebook im Anschluss an das Interview „der Teufel los war“.Und nachdem ich mich weder an Twitter, noch bei Facebook beteilige, entgeht mir offenbar auch ein großer Teil der Meinung des Volkes. (Es wird sich von dem, was im lokalen Internet-Bereich an Kommentaren zu manchen Berichten geäußert wird, wohl nicht wesentlich unterscheiden.)
Nun frage ich mich ja angesichts der ganzen Diskussion über dieses Interview, um was es dabei eigentlich wirklich ging? Und was es bewirken sollte? Denn es muss ja wohl auf eine Quintessenz gerichtet gewesen sein? „Als Herr Gabriel die Veranstaltung (das Interview) weiter PR-trächtig bejubeln wollte, kam ihm Frau Slomka mit verfassungsrechtlichen Bedenken in die Quere“, hieß es in einem Pressebericht. Und der engagierte oder kritische Zuseher oder -hörer wusste eigentlich noch nicht einmal, um was genau es dabei ging.
Um den Koalitionsvertrag natürlich, nur: wer kennt denn schon seinen Inhalt, um „verfassungsrechtliche Bedenken“ nachvollziehen zu können? Ein Interview im Fernsehen soll doch wohl kein Selbstzweck sein, sondern Einsichten und Aufschlüsse für den Zuseher oder Zuhörer bringen?
Und da heißt es nun in einer sachbezogenen Verlautbarung der Universität Hohenheim, der Koalitionsvertrag sei unverständlicher als Doktorarbeiten. Kennt ihn demzufolge wenigstens Marietta Slomka so gut, um aus eigenem Verständnis qualifiziert verfassungsrechtliche Bedenken äußern zu können? Oder bediente sie sich nur der Meinung anderer? Oder steckte hinter ihren geäußerten Bedenken gar eine bestimmte Absicht?
Ich weiß es natürlich nicht und halte mich an die Analyse des Kommunikationswissenschaftlers Prof. Dr. Frank Brettschneider. Der zu dem Ergebnis kommt, dass die Verfasser des Koalitionsvertrags der SPD-Basis die Entscheidung pro oder contra Große Koalition nicht einfach machen. Denn „der Vertrag ist von der Verständlichkeit her noch anspruchsvoller als eine politikwissenschaftliche Doktorarbeit“, urteilt der Wissenschaftler. Sprachhürden seien Bandwurmsätze mit bis zu 86 Wörtern, Wortungetüme wie „Schnellreaktionsmechanismus“ oder Fachbegriffe wie „Thesaurierungsregelungen“. Dahinter könnte durchaus Kalkül stecken, so die Einschätzung des Wissenschaftlers. Sein Urteil bildete er aufgrund einer formalen Textanalyse, die sein Lehrstuhl zusammen mit dem Institut H&H Communication Lab durchführte. „Der Koalitionsvertrag ist zwar in erster Linie ein Fachtext. Geschrieben von Expertinnen/Experten für bestimmte Themengebiete . Angesichts des Mitgliederentscheids der SPD sollte der Koalitionsvertrag aber nicht nur für Experten und Akademiker verständlich sein“.
Mit Hilfe einer Analyse-Software fahnden die Wissenschaftler um Prof. Dr. Brettschneider unter anderem nach überlangen Sätzen, Fachbegriffen, Fremdwörtern und zusammengesetzten Wörtern. Anhand dieser Merkmale bilden sie den „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“, der von 0 (völlig unverständlich) bis 20 (sehr verständlich) reicht.

Der Koalitionsvertrag erreicht einen Wert von 3,48. Zum Vergleich: Politikwissenschaftliche Doktorarbeiten erzielen durchschnittlich einen Wert von 4,7. Die Politik-Beiträge in der Bild-Zeitung liegen bei 16,8. Die Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2013 erreichten einen Wert von 7,7. Das formal verständlichste Programm wurde von der CDU/CSU vorgelegt und kam auf einen Wert von 9,9.

„Die mangelnde Verständlichkeit des Koalitionsvertrags ist enttäuschend“, urteilt Prof. Dr. Brettschneider. „Denn alle Parteien haben sich Transparenz und Bürgernähe in den letzten Jahren verstärkt auf ihre Fahne geschrieben. Damit die Bürger eine begründete Bewertung des Koalitionsvertrags vornehmen können, sollten die Koalitionspartner ihre Absichten klar und verständlich darstellen.“

Damit soll es hier sein Bewenden haben. Ob also das Interview der Journalistin Slomka mit dem Politiker Sigmar Gabriel dazu einen Beitrag leistete, mögen die Zuhörer beurteilen. Der dafür veranschlagte Zeitraum von 7 Minuten dürfte dazu kaum ausgereicht haben. Dann aber überlege ich wieder einmal, ob es ein Kriterium gibt, das mit einem solchen Palaver einhergeht? 7 Minuten können sehr lang sein, oder auch unzureichend kurz. Den Befragten ausreden zu lassen, ist also letztlich eine Zeitfrage. Auch bei Twitter soll Frau Slomka häufiger vorgeworfen worden sein, sie hätte ihren Gesprächspartner ständig unterbrochen. Das Problem ist aber, heißt es in einem Bericht, dass Politiker wie Journalisten wissen, dass für das Gespräch maximal drei Minuten zur Verfügung stehen. Wer die geschulten Profipolitiker ausreden lässt, erntet einen nicht enden wollenen Monolog nebst epischer Selbstbeweihräucherung. Weil das niemand hören und sehen möchte, ist die Moderatorin in der Pflicht, den Redefluss vorzeitig zu beenden. Dem kann man entgegen halten, dass eine geschulte Interviewerin einen Politiker aber sehr wohl auch gezielt unterbrechen kann, um einem Gespräch eine bestimmte beabsichtigte Richtung zu geben. Oder sie zu verhindern. Um einen bestimmten Effekt zu erzielen. Wurden also im Ergebnis irgendwelche Aufschlüsse vermittelt, oder Absichten verfolgt? Oder wenigstens (siehe oben) Erwartungen erfüllt?

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