Bevor ich zum Thema meines Eintrags komme, drängt es mich doch zu
einer Bemerkung, das Interview in der „Thüringer Allgemeine“ mit
Kulturdezernentin Hannelore Haase am 2. September betreffend: in
dessen ersten Teil ging es um das „sogenannte“ Bürgerhaus und
die Überlegung eines Bürgerbegehrens um den Namen dieser Bauwerkes.
Das ich verstehen könnte, wenn man zum Beispiel anlässlich der
Einweihung am Freitag in großer Zahl vor dem Bau für ein solches
Begehren und gegen den Namen „Bürgerhaus“ demonstriert hätte.
Oder man das am Samstag anlässlich der Eröffnung dieses Hauses
getan hätte. Es geschah nichts dergleichen. Ich kann mir auch nicht
vorstellen, dass der doch recht mäßige Bürgerandrang am Samstag
zur Eröffnung der Stadtbibliothek „Rudolf Hagelstange“ ein
größerer gewesen wäre, wenn das Bürgerhaus „Nikoleiforum“
geheißen hätte. Ich denke, die ganze Vorgeschichte zu dieser
Problematik ist schlecht gelaufen und stellt dem damaligen
Kulturausschuss des Stadtrates ein denkbar schlechtes Zeugnis aus.
Wenn aber nun einige wenige tausend Bürger ihren Willen durchsetzen
wollen, während es den größten Teil der Nordhäuser offenbar
gleichgültig ist, welchen Namen dieses Haus trägt, halte ich das
nicht für richtig. Und warum dann erst die Prüfung einer
Zulässigkeit eines solchen Bürgerbegehrens?
Jetzt aber zum literarischen Auftakt in der neuen Stadtbibliothek
„Rudolf Hagelstange“ in Nordhausen. Pfarrer Dr. Bodo Seidel
(Niedersachswerfen) hatte mit Khaled Hosseinis Roman „Traumsammler“
ein Buch gewählt, das schon kurz nach seinem Erscheinen auf der
Weltbestenliste zu finden war. Dass der Autor mit seinen beiden
vorausgegangenen Romanen, die ebenso Bestseller wurden, dazu das
Vorfeld bereitet hatte, soll hier beiläufig erwähnt sein.
Ob bei den Teilnehmern der Veranstaltung durch das, was Pfarrer
Seidel vortrug, ebenso die Vorstellung eines
„Geschichtenwunderwerkes“ entstand, soll hier offen bleiben.
Meine Zweifel ergeben sich nicht etwa aus dem Vortrag an sich –
Pfarrer Seidel sprach aus profunder Kenntnis des Romaninhaltes –
sondern ergibt sich aus dem Umstand, dass im Laufe des Vortrags so
viele Namen, Verquickungen, Orts-, Zeit- und familiäre Veränderungen
Erwähnung fanden, dass ihnen kaum zu folgen war.
Stichwortverzeichnisse, an die Zuhörer verteilt (Carla Buhl
praktiziert das z.B. in ihrem Lesekreis) wären da hilfreich
gewesen..
Dabei ist der „Traumsammler“ der Roman eines begnadeten
Erzählers und Seelenkenners, von Pfarrer Seidel in seinem
inhaltlichem Verlauf auch sehr gut veranschaulicht: In einem
abgelegenen afghanischen Bergdorf – einer Gegend also, die
unwillkürlich an Krieg und die Taliban denken lässt - beginnt die
Geschichte einer innigen Liebe zwischen dem zehnjährigen Abdullah
und seiner dreijährigen Schwester Pari. Seit dem Tod der Mutter
halten die Geschwister zusammen wie Pech und Schwefel, Abdullah tut
alles für seine kleine Schwester, und sie heitert ihn auf mit ihrer
unbefangenen, munteren Art. Die ein jähes Ende findet: Der Vater hat
eine neue Frau, Parawana, geheiratet und neue Kinder, es gibt nicht
genug zu essen und zu heizen. Der Vater beschließt, die kleine Pari
zu einer reichen Familie nach Kabul zu geben. Sie wird adoptiert und
wächst reich und verwöhnt auf - erst in Kabul, dann in Paris.
Erzählt wird vom Verlust eines geliebten Menschen, wie man ihn
bewältigt und wie man daran zerbricht: Die Liebe der vom Vater
auseinander gebrachten Geschwister ist in Hosseinis Roman nur die
Klammer um zahlreiche Variationen von diesem Thema: Da ist die
wirklich unheimliche Geschichte des Dämons, der in der kalten
Jahreszeit in den afghanischen Dörfern herumstreift und Kinder
entführt. Wenn deren Eltern alles richtig machen, belohnt der Dämon
sie mit dem Vergessen und ungeahntem Reichtum. Da ist die Geschichte
von Abdullahs Stiefmutter Parwana, die wie ein Aschenputtel immer im
Schatten ihrer kurz vor ihr geborenen Zwillingschwester steht, bis
diese Schwester- nicht ganz ohne Parwanas Zutun - von einem Baum
stürzt und zum Pflegefall wird. Da ist die Geschichte von Nila, der
Dichterin und Adoptiv-Mutter von Pari, die ihren sterbenskranken Mann
in Kabul zurück lässt, um mit Pari nach Paris zu ziehen. Und da ist
die Geschichte von Markos, dem griechischen Arzt, der seine alte
Mutter
in Athen lässt, um sich in Kabul kriegsverletzten Kindern zu
widmen. Hosseini erzählt sie aus wechselnden Perspektiven und in
wechselnden Erzählformen, ohne dass er den roten Faden verliert.
Das soll genügen, um erkennen zu lassen wie schicksalhaft es in
Hosseinis Roman zugeht und wie die Akteure damit umgehen. Und es wird
deutlich, dass es kaum reicht, um in einer knappen Stunde diese
schicksalhaften Verläufe anschaulich darzustellen, wie es Pfarrer
Seidel in einer vertretbaren Zeit versuchte. Verständlich deshalb,
dass er den Roman anschließend in seiner Buchform vorstellte und
damit Anreize schaffte, das Buch auszuleihen oder auch käuflich zu
erwerben. Als literarische Lesepremiere war die meines Erachtens
gelungene Veranstaltung dem Niveau des Autors Khaled Hosseini
angepasst.
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