Donnerstag, 4. September 2014

Lesepremiere mit Weltbestseller

Bevor ich zum Thema meines Eintrags komme, drängt es mich doch zu einer Bemerkung, das Interview in der „Thüringer Allgemeine“ mit Kulturdezernentin Hannelore Haase am 2. September betreffend: in dessen ersten Teil ging es um das „sogenannte“ Bürgerhaus und die Überlegung eines Bürgerbegehrens um den Namen dieser Bauwerkes. Das ich verstehen könnte, wenn man zum Beispiel anlässlich der Einweihung am Freitag in großer Zahl vor dem Bau für ein solches Begehren und gegen den Namen „Bürgerhaus“ demonstriert hätte. Oder man das am Samstag anlässlich der Eröffnung dieses Hauses getan hätte. Es geschah nichts dergleichen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass der doch recht mäßige Bürgerandrang am Samstag zur Eröffnung der Stadtbibliothek „Rudolf Hagelstange“ ein größerer gewesen wäre, wenn das Bürgerhaus „Nikoleiforum“ geheißen hätte. Ich denke, die ganze Vorgeschichte zu dieser Problematik ist schlecht gelaufen und stellt dem damaligen Kulturausschuss des Stadtrates ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. Wenn aber nun einige wenige tausend Bürger ihren Willen durchsetzen wollen, während es den größten Teil der Nordhäuser offenbar gleichgültig ist, welchen Namen dieses Haus trägt, halte ich das nicht für richtig. Und warum dann erst die Prüfung einer Zulässigkeit eines solchen Bürgerbegehrens?


Jetzt aber zum literarischen Auftakt in der neuen Stadtbibliothek „Rudolf Hagelstange“ in Nordhausen. Pfarrer Dr. Bodo Seidel (Niedersachswerfen) hatte mit Khaled Hosseinis Roman „Traumsammler“ ein Buch gewählt, das schon kurz nach seinem Erscheinen auf der Weltbestenliste zu finden war. Dass der Autor mit seinen beiden vorausgegangenen Romanen, die ebenso Bestseller wurden, dazu das Vorfeld bereitet hatte, soll hier beiläufig erwähnt sein.
Ob bei den Teilnehmern der Veranstaltung durch das, was Pfarrer Seidel vortrug, ebenso die Vorstellung eines „Geschichtenwunderwerkes“ entstand, soll hier offen bleiben. Meine Zweifel ergeben sich nicht etwa aus dem Vortrag an sich – Pfarrer Seidel sprach aus profunder Kenntnis des Romaninhaltes – sondern ergibt sich aus dem Umstand, dass im Laufe des Vortrags so viele Namen, Verquickungen, Orts-, Zeit- und familiäre Veränderungen Erwähnung fanden, dass ihnen kaum zu folgen war. Stichwortverzeichnisse, an die Zuhörer verteilt (Carla Buhl praktiziert das z.B. in ihrem Lesekreis) wären da hilfreich gewesen..


Dabei ist der „Traumsammler“ der Roman eines begnadeten Erzählers und Seelenkenners, von Pfarrer Seidel in seinem inhaltlichem Verlauf auch sehr gut veranschaulicht: In einem abgelegenen afghanischen Bergdorf – einer Gegend also, die unwillkürlich an Krieg und die Taliban denken lässt - beginnt die Geschichte einer innigen Liebe zwischen dem zehnjährigen Abdullah und seiner dreijährigen Schwester Pari. Seit dem Tod der Mutter halten die Geschwister zusammen wie Pech und Schwefel, Abdullah tut alles für seine kleine Schwester, und sie heitert ihn auf mit ihrer unbefangenen, munteren Art. Die ein jähes Ende findet: Der Vater hat eine neue Frau, Parawana, geheiratet und neue Kinder, es gibt nicht genug zu essen und zu heizen. Der Vater beschließt, die kleine Pari zu einer reichen Familie nach Kabul zu geben. Sie wird adoptiert und wächst reich und verwöhnt auf - erst in Kabul, dann in Paris.


Erzählt wird vom Verlust eines geliebten Menschen, wie man ihn bewältigt und wie man daran zerbricht: Die Liebe der vom Vater auseinander gebrachten Geschwister ist in Hosseinis Roman nur die Klammer um zahlreiche Variationen von diesem Thema: Da ist die wirklich unheimliche Geschichte des Dämons, der in der kalten Jahreszeit in den afghanischen Dörfern herumstreift und Kinder entführt. Wenn deren Eltern alles richtig machen, belohnt der Dämon sie mit dem Vergessen und ungeahntem Reichtum. Da ist die Geschichte von Abdullahs Stiefmutter Parwana, die wie ein Aschenputtel immer im Schatten ihrer kurz vor ihr geborenen Zwillingschwester steht, bis diese Schwester- nicht ganz ohne Parwanas Zutun - von einem Baum stürzt und zum Pflegefall wird. Da ist die Geschichte von Nila, der Dichterin und Adoptiv-Mutter von Pari, die ihren sterbenskranken Mann in Kabul zurück lässt, um mit Pari nach Paris zu ziehen. Und da ist die Geschichte von Markos, dem griechischen Arzt, der seine alte Mutter
in Athen lässt, um sich in Kabul kriegsverletzten Kindern zu widmen. Hosseini erzählt sie aus wechselnden Perspektiven und in wechselnden Erzählformen, ohne dass er den roten Faden verliert.

Das soll genügen, um erkennen zu lassen wie schicksalhaft es in Hosseinis Roman zugeht und wie die Akteure damit umgehen. Und es wird deutlich, dass es kaum reicht, um in einer knappen Stunde diese schicksalhaften Verläufe anschaulich darzustellen, wie es Pfarrer Seidel in einer vertretbaren Zeit versuchte. Verständlich deshalb, dass er den Roman anschließend in seiner Buchform vorstellte und damit Anreize schaffte, das Buch auszuleihen oder auch käuflich zu erwerben. Als literarische Lesepremiere war die meines Erachtens gelungene Veranstaltung dem Niveau des Autors Khaled Hosseini angepasst.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen