Freitag, 26. September 2014

IMK: Pause beim Anstieg der Einkommensungleichheit war nur Episode

Neue Studie in der Hans Böckler-Stiftung

IMK: Pause beim Anstieg der Einkommensungleichheit war nur Episode

Die Ungleichheit der Einkommen in Deutschland hat sich Ende der 2000er Jahre zeitweilig nicht weiter erhöht. Das lag vor allem am Einbruch der Kapitaleinkommen während der Finanzkrise – und war keine Trendwende, sondern nur eine vorübergehende Episode, zeigt eine neue Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.*

Über anderthalb Jahrzehnte, seit Beginn der 1990er-Jahre, hat sich die Schere zwischen hohen und niedrigen Einkommen in der Bundesrepublik stetig weiter geöffnet. Der Gini-Koeffizient, das verbreitetste Maß für Ungleichheit, stieg bis 2005 um rund 18 Prozent an. Deutschland, lange Zeit ein Staat mit relativ ausgeglichener Einkommensverteilung, rutschte auf das durchschnittliche Niveau der OECD-Länder ab. Nach 2005 ging der Gini-Wert wieder etwas zurück. 2010 lag er dennoch 13 Prozent höher als 1991. 2011, das letzte Jahr, für das bislang Zahlen vorliegen, hat nach Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung wieder einen Anstieg gebracht. Bedeutet das, dass sich der Trend zu steigender Einkommensungleichheit fortsetzt?

Um die weitere Entwicklung abschätzen zu können, ist ein Blick auf den Zusammenhang zwischen Konjunktur und Einkommensverteilung hilfreich. Das IMK hat deshalb gemeinsam mit Forschern der Arbeiterkammer Wien und der Universität Tübingen untersucht, in welchem Maß die Markteinkommen aus Vollzeit- und aus atypischer Beschäftigung sowie aus Kapitaleinkommen zu Veränderungen der Einkommensungleichheit beigetragen haben. Basis ihrer Analysen ist das Sozio-oekonomische Panel (SOEP), eine jährliche Wiederholungsbefragung von mehreren tausend Haushalten. Die Forscher fassen für ihre Untersuchung Teilzeitbeschäftigung und geringfügige Beschäftigung zu atypischer Arbeit zusammen. Zu den Kapitaleinkommen zählen Zinseinkünfte, ausgeschüttete Gewinne und Mieteinnahmen.

Das Ergebnis der IMK-Analysen stellt eine verbreitete Annahme infrage: Danach hat ab 2005 vor allem die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt, insbesondere die erfolgreiche Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 bis 2010, eine weitere Zunahme der Ungleichheit verhindert. Doch die SOEP-Daten weisen in eine andere Richtung: Die Arbeitseinkommen haben sich von 2005 bis 2010 weiterhin auseinanderbewegt, wenn auch in schwächerem Umfang als zuvor. Die Zunahme der gesamten Ungleichheit durch die Ausbreitung schlechter bezahlter atypischer Beschäftigung, die zu Beginn der 2000er Jahre stark ausgeprägt war, kam zwar mit dem Aufschwung ab 2006 kurzzeitig zum Erliegen. Nach 2008 gingen von der Entwicklung der atypischen Beschäftigung jedoch wieder spürbar ungleichheitserhöhende Effekte aus. Daneben stieg mit dem Ausbruch der Krise auch der bis dahin moderate Beitrag der Vollzeiteinkommen zur gesamten Ungleichheit leicht an.

Dass sich die Ungleichheit zwischen 2005 und 2010 insgesamt nicht weiter erhöhte, lag nach den Analysen des IMK in erster Linie an den Kapitaleinkommen. Diese gingen in der Finanzkrise ab 2008 nämlich stark zurück. Überproportional steigende Einkünfte aus Zinsen, Unternehmensgewinnen oder Immobilien hatten seit der Wiedervereinigung die Ungleichheit vergrößert, weil Kapitaleinkommen überwiegend einer relativ kleinen Gruppe in der Bevölkerung zufließen. Der krisenbedingte Wirtschaftseinbruch ließ den Anteil und die Konzentration der Kapitaleinkommen hingegen stark sinken, so dass die zunehmende Ungleichheit der Arbeitseinkommen zeitweise überkompensiert wurde.

Nach Einschätzung der Wissenschaftler dürfte die vermeintliche Entspannung bei der Verteilungsentwicklung daher nur eine Episode gewesen sein. Mittlerweile haben sich die gesamtwirtschaftliche Situation und mit ihr die Unternehmensgewinne und die Einkommen aus Vermögen in Deutschland wieder erholt. „Für die Jahre 2012-2014 muss daher wieder mit einem Anstieg der Einkommensungleichheit gerechnet werden“, konstatieren die Forscher des IMK. Ein politisches Gegensteuern sei deshalb angebracht. Die Wissenschaftler empfehlen, zweigleisig vorzugehen: In der Arbeitsmarktpolitik sei es sinnvoll, atypische zugunsten regulärer Beschäftigung zurückzudrängen. Die Steuerpolitik könne gegen den Trend zu wachsender Ungleichheit vorgehen, indem sie die pauschale Abgeltungssteuer auf Kapitaleinkommen abschaffe und die Vermögensteuer reaktiviere. 

Rainer Jung Abt. Öffentlichkeitsarbeit

Eine Mitteilung des idw – wissenschaftlichen Dienstes am 25.09.2014

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