Predigt
von
Kardinal Rainer Maria Woelki
in
der Eucharistiefeier
am
25. September 2014 in Fulda
zur
Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz
Liebe
Schwestern, liebe Brüder,
Nikolaus
von der Flüe, dessen Gedenktag wir heute feiern, gilt als einer der
letzten großen Mystiker des späten Mittelalters. Die meisten von
Ihnen werden sein Meditationsbild kennen, das ja das Bischöfliche
Hilfswerk Misereor 1980 als Hungertuch auswählte. Bruder Klaus
diente es vor allem zur Betrachtung der Dreieinigkeit Gottes.
Sie
erinnern sich: Da ist in einem Rundbild Christus zu sehen. Er ist
die Mitte des Ganzen. Umgeben wird er von sechs weiteren
Rundbildern, in denen wir – neben einem zentralen Geheimnis
unseres Glaubens – ein Symbol für ein Werk der Barmherzigkeit
finden. Gleich oben links z. B. Gott als Schöpfer, daneben ein
Krug, Fische und Brot. Wie ein guter Vater liebt Gott seine
Schöpfung und speist auch die Durstigen und Hungrigen. Gegenüber
dann das Bild von der Kreuzigung Jesu. Darin das Symbol für „Nackte
zu bekleiden“. Gott wird Mensch und lässt sich auf alle Untiefen
des Lebens ein – auch auf den Tod. Er will Menschen, die
ausgegrenzt und mit Scham besetzt sind, wieder ins Recht setzen.
Dann
ein Heilig-Geist-Bild, das von der Verkündigung des Engels an Maria
erzählt. Es erinnert uns: Gott ist kein einsamer Gott. Er lebt als
Vater, Sohn und Heiliger Geist. Der Vater verschenkt sich dabei an
den Sohn, und der Sohn schenkt sich zurück an den Vater. Und die
Liebe, die vom Vater in den Sohn strömt, fließt gleichsam über
Vater und Sohn hinaus und bringt den Heiligen Geist hervor. Und der
Geist, der schenkt sich wiederum liebend zurück. Gott lebt im
Austausch der Liebe, ja er lebt von der Liebe. Er ist selbst Liebe.
In diesem Bild entdecken wir zudem Krücken. Sie stehen für das
barmherzige Werk „Kranke zu besuchen“. Und schließlich finden
wir im Bild von der PRESSEMITTEILUNGEN
24.09.2014 -
2 - DER
DEUTSCHEN 161 BISCHOFSKONFERENZ
Geburt
Jesu einen Wanderstab mit Beutel. Die stehen für „Fremde zu
beherbergen“.
Von
Bruder Klaus, liebe Schwestern und Brüder, können wir das Staunen
lernen: Staunen über das, was Gott für uns getan hat, Staunen
darüber, dass sein Wesen Liebe ist und Liebe von ihm ausgeht und wir
Liebe als Antwort suchen sollen, Staunen über Gottes Werke der
Zuwendung, die uns in den sechs Kreisen des Betrachtungsbildes
begegnen. Bruder Klaus staunt in seinem Meditationsbild vor allem
über das Wunder aller Wunder: dass Gottes Sohn nackt und
verletzlich, angreifbar, in der Armut eines Stalles zu den Menschen
kommt. In diesen Tagen musste ich öfter an die thailändische Frau
denken, die um die Schule und Ausbildung ihrer Kinder zu finanzieren,
Leihmutter geworden ist für ein australisches Paar. Sie hat
Zwillinge bekommen, ein gesundes Mädchen und einen Jungen mit
Down-Syndrom, der dazu auch noch schwer herzkrank ist. Das Kind mit
Behinderung war nicht recht. Es wurde nicht mit nach Australien
genommen und die Leihmutter mit ihm alleingelassen. Die Nachricht
darüber löste weltweit eine Welle der Empörung und der Solidarität
aus – gerade auch in Australien. Warum? Sicherlich rührt zunächst
einmal viele das Schicksal der Mutter an, die mit ihren Sorgen und
dem kranken Kind zurückgelassen wurde. Und das Bild des kleinen
Kindes trifft viele im Herzen. Sicherlich spricht viele aber auch an,
dass das Baby Gammy offensichtlich nicht den Wunschvorstellungen des
australischen Paares entsprochen hat. Das Kind war quasi bestellt und
entsprach nicht ihren Erwartungen. Mein Anliegen heute ist weniger
die Problematik von Leihmutterschaft, die die Kirche ja eindeutig
ablehnt, sondern das Kind jenseits der Norm. Verständlicherweise
wünschen sich Eltern ein gesundes Kind und setzen alle ihre
Hoffnungen in eine gut verlaufende Schwangerschaft und Geburt. Wenn
sie die Diagnose einer möglichen Behinderung beim Fötus bekommen,
stehen sie häufig vor einem großen Konflikt, ob sie das Kind
bekommen wollen und können. Ich kann mir kaum vorstellen, wie schwer
das ist. Ihre Entscheidung wird sicherlich auch durch die Bilder von
Behinderung geprägt, die in der Gesellschaft herrschen. Und
natürlich auch durch die Rahmenbedingungen für Menschen mit
Behinderung und ihren Familien.
Inklusion
wird in allen Parteiprogrammen und Stadtentwicklungsprozessen
hochgehalten. Sie hat in den vergangenen Jahren einige Fortschritte
gemacht. Ohne Inklusion geht’s nicht mehr. Viele Kinder mit
Behinderung werden heute in die Regelschule eingeschult. Das ist
grundsätzlich gut so. Allerdings nur, wenn die notwendigen
Bedingungen stimmen. Aber ist es damit getan? Inklusion heißt auch,
dass sie nicht nur ein hochgestecktes Ziel sein darf, sondern konkret
erfahrbar sein muss für die Betroffenen und die ganze Gesellschaft.
Trotz vieler Fortschritte lebten in den vergangenen Jahrzehnten viele
Menschen mit Behinderung in einer Sonderwelt – vom
Förderkindergarten bis hin zur Sonderschule. Trotz aller
Inklusionsbestrebungen werden die Chancen für Menschen mit
Behinderung immer schlechter auf dem Arbeitsmarkt. Hier muss dringend
mehr getan werden! Und sie sind damit konfrontiert, dass durch die
pränatalen Tests Behinderung immer mehr als „vermeidbares Übel“
gilt. Mittlerweile können durch vermeintlich harmlose Bluttests
schon in der frühen Schwangerschaft Merkmale für eine mögliche
Beeinträchtigung festgestellt werden.
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