Donnerstag, 24. Juli 2014

Was ist zu tun gegen aufkommenden Judenhass?

In der „Tagespost“ stieß ich jüngst auf einen Kommentar, der mich beeindruckte. Auszug: „Wir leben in einer Informationsgesellschaft. Angeblich. Tatsächlich werden wir überflutet von Informationen und Desinformationen, von mit Fakten getarnten Meinungen und Manipulationen. Aus welcher Küche welches Gerücht stammt, lässt sich rasch nicht mehr nachvollziehen: von Nachrichtenagenturen oder Nachrichtendiensten, Publizisten oder Politikern, Spin-Docs oder Spinnern? Wir leben in der Blütezeit der Verschwörungstheorien: weil wir wissen wollen, möglichst alles sofort – und weil wir zu wissen glauben wollen.“ (Ende des Auszugs) Die „Tagespost“ nennt Beispiele, zu denen die Schüsse von Sarajevo, die vor hundert Jahren den ersten Weltkrieg auslösten ebenso gehören wie das „Hochfest“ aller Verschwörungstheorien, nämlich der 11. September 2001. „Ähnliches spielt sich an der Internet-Front des Nahost-Konflikts ab: Jede Seite findet da ihre lückenlosen Beweisketten, die die ultimative Bosheit der jeweils anderen Seite belegen. Unversöhnlich wie im Gaza-Streifen prallen auf Facebook & Co kontroverse Positionen aufeinander“, heißt es da weiter, womit ich zum eigentlichen Thema komme.

Es gibt kaum eine Zeitung, die öffentliche Verantwortung versichert, die in den vergangenen Tagen nicht aktuell zu diesem Konfliktthema Israel vs. Palästina Stellung nahm. Und im Zusammenhang damit zu den Demonstration in zahlreichen deutschen Städten gegen die israelische Militäroffensive im Gazastreifen. Viele davon kamen aus dem Kreis von türkisch- oder arabisch-stämmigen Einwanderern. Dort ist die Empörung angesichts schon mehrerer hundert getöteter Palästinenser besonders groß. Und die Polizei scheint sich dabei einer Situation gegenüber zu sehen, die nicht viel weniger problematisch ist. Dazu der Antisemitismusbeauftragte des American Jewish Committee, Stephan Kramer in einem Interview der „Welt“ am 22.07. (Auszug): „Vielleicht sind die Polizisten im Umgang mit islamistischen Gewalttätern schlicht nicht genügend geschult. Ich sehe da aber auch eine gewisse Naivität. Wenn man, wie in Frankfurt geschehen, zur Deeskalation den Demonstranten die Polizei-Lautsprecher zur Verfügung stellt und dann nicht einschreitet, wenn diese damit antisemitische Sprüche skandieren, dann ist das entweder naiv, oder es wird mit zweierlei Maß gemessen. Denn umgekehrt wurden proisraelische Demonstranten aufgefordert, den Platz zu verlassen, anstatt dass sie geschützt wurden.“(Ende des Auszugs)

Und auch Bundespräsident Joachim Gauck meldet sich angesichts der bei diesen Demonstrationen gehörten antisemitischen Parolen gegen Israel zu Wort und verlangt mehr Zivilcourage: „Ich möchte alle Deutschen und alle Menschen, die hier leben, auffordern, immer dann ihre Stimme zu erheben, wenn es einen neuen Antisemitismus gibt, der sich auf den Straßen brüstet“, sagte Gauck. Auch der Bundespräsident ging darauf ein, dass judenfeindliche Parolen vielfach von Einwanderern angestimmt wurden. „Antisemitismus, auch wenn er neu ist, wenn er aus ausländischen Gesellschaften hier importiert wird, der wird genau so wenig geduldet wie ein alter autochthoner Antisemitismus, den es in einigen rechtsradikalen oder linksradikalen Milieus gibt. Wir nehmen alles ernst.“Sagt das Staatsoberhaupt. Doch auch das ist meines Erachtens nicht leicht zu verstehen, wenn doch der Bundespräsident noch am 30.06 laut „Frankfurter Rundschau“ meinte (Auszug): „Es müsse überlegt werden, wie man mehr legale Zugangswege für Flüchtlinge schaffe. Denn wer einmal vergeblich um Asyl gebeten habe, werde hierzulande kaum durch ein anderes Tor Einlass finden, äußerte er und wies auf den Widerspruch hin, dass Flüchtlinge, die hier abgewiesen würden, in vielen Fällen leistungsorientiert seien sowie gute und gefragte Qualifikationen mitbrächten.“ Angesichts der jüngsten Demonstrationen liegt die Vermutung nahe, dass die Flüchtlinge dann aber auch den Judenhass mitbringen, den sie nach ihrer Aufnahme sogar in die Öffentlichkeit tragen. Und dadurch überhaupt erst rechts- und linksradikalen Anhängern die Möglichkeit eröffnen, ihre antijüdischen Aggressionen offen zu artikulieren.

Nun ist es für unsereinen allerdings auch nicht leicht, die Medienberichte zu dieser Problematik nach Objektivität und Sachlichkeit einzuschätzen (siehe weiter oben) Und angesichts der Propalästinensischen Kundgebungen, wie am Montag vor der Israelischen Botschaft in Berlin, wird zunehmend auch Kritik an der Berichterstattung in den deutschen Medien laut. Folgt man den Stimmen dieser Kritiker, werden nicht nur bei Demonstrationen "rote Linien überschritten", wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Dienstag in Bezug auf antijüdische Vorfälle bei Kundgebungen gegen Israels Politik feststellte (Berliner Morgenpost am 22.07.14). Nicht nur anonym und im Internet wird Stimmung gemacht – der Zentralrat der Juden beispielsweise muss viele Kommentare von seiner Facebook-Seite tilgen. Auch an bekannten Erzeugnissen der deutschen Publizistik gibt es heftige Kritik. „Artikelüberschriften sind oft propagandistisch – gegen Israel ausgerichtet." Das sei einer der Gründe, „warum es zu antijüdischen Aggressionen auf deutschen Straßen gekommen ist", kritisiert eine Kölner Initiative, die jetzt sogar zu einer Demonstration gegen den WDR aufrief.

Angesichts der ganzen Unausgewogenheit dieser Problematik die sich mir da auftut, könnte ich schließlich auch überlegen, ob die unlängst hier und in Erfurt gehaltenen Vorträge und Berichte zur Haltung des Reformators Martin Luther zum Judentum (z.B. TA am 16.06.14) in diese Problematik gehören? Ich blicke da nicht mehr so recht durch.

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