Das Interesse an dem gestrigen Vortrag
„Von Luther zu Hitler – Überlegungen zu dem Verhältnis von
Protestantismus und Nationalsozialismus“ in der Flohburg-dem
Nordhausen Museum, war für Nordhäuser Verhältnisse recht groß.
Und mit Dr. Jens-Christian Wagner, derzeit noch Leiter der
KZ-Gedenkstätte Mittelbau Dora hielt den Vortrag ein anerkannter
Wissenschaftler.
Der mich als Zuhörer mit diesen
Vortrag zumindest in seiner Schlüssigkeit als Nichtprotestant
überzeugte. Zuvor aber begrüßte die Leiterin des Flohburg-Museums,
Dr. Cornelia Klose, Gäste und Referenten und führte mit dem Hinweis
ins Thema ein, dass es sich
um einen Vortrag im Rahmen der
Luther-Dekade handele. Das Luther-Forum sei der Veranstalter. Es sei
auch schön, dass die Flohburg für die Gedenkstätte „so eine Art
Außenstelle“ geworden ist, die Themen wie Nationalsozialismus,
Konzentrationslager. Verfolgung von Menschen dadurch die Stadt
hineingetragen, und „wir freuen uns, dass wir damit auch etwas
enger an die Gedenkstätte kommen und an die Themen, die von dort
getroffen werden.“ Nachdem sie den Titel des Themas eingeführt
hatte, überreichte sie Jens-Christian Wagner eine umhüllte Flasche
- sicher mit Hochprozentigem - als Zeichen bisheriger guter
Zusammenarbeit. Und weil Wagner ja nun seine Tätigkeit in Nordhausen
beendet und nach Niedersachsen wechselt, wo er Direktor der
Niedersächsischen Gedenkstätten wird. Einen guten Schluck wolle sie
ihn neben den Dank für die gute Zusammenarbeit mit auf den Weg
geben. (Die Ausführlichkeit ist der Bedeutung der guten
Zusammenarbeit der vormaligen und dem nun scheidenden jetzigen Leiter
der Gedenkstätte geschuldet.)
Zunächst bemerkte der Referent, dass
es ihm bei seinem Vortrag gar nicht so sehr um Luther selbst ginge,
sondern mehr um die Wirkungsgeschichte Luthers und demzufolge um die
Beziehungen zwischen Nationalsozialismus und Protestantismus. Nur
lässt sich nach seinen Worten der deutsche Protestantismus
ideengeschichtlich und theologisch nicht ohne Luther erklären. Vor
allem waren seine Lehren weitaus prägender für das Verhältnis der
Protestanten zum Nationalsozialismus durch die Entwicklung der
protestantischen Kirche im deutschen Kaiserreich im ausgehenden 19.
Jahrhundert und ebenso im beginnenden 20 Jahrhundert in der Weimarer
Republik.
Nach dieser Einführung schlug der
Referent rhetorisch einen weiten Bogen, begann mit seinen
Ausführungen zu Zeiten des Kaiserreiches mit der Darstellung der
protestantischen Kirche in
ihrem Verhältnis zum Staat und
demgegenüber der katholischen Kirche, die sich – natürlich – am
Papst orientierte. Entsprechend unterschiedlich verlief auch die
Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende des Kaiserreiches.
Die Weimarer Reichsverfassung besiegelte die Trennung von Staat und
Kirche und regelte demzufolge das Verhältnis von Kirche und Staat
neu. Der Referent vermittelte mit seinen Ausführungen eine
Vorstellung von einem weltanschaulich neutralem Staat sowie der
Selbstbestimmung aller Religionsgemeinschaften als Grundlage dieser
Regelungen. Wagner skizzierte die Positionen vor allem der
protestantischen und katholischen Kirche zur Zeit der Machtergreifung
durch die Nationalsozialisten 1933. Danach gehörten
immerhin 62,7 Prozent der Deutschen der protestantischen und 32,5
Prozent der katholischen Kirche an.
Die
antichristliche Weltanschauung des Nationalsozialismus und taktische
Züge bestimmten daher in der Folgezeit eine widersprüchliche und
uneinheitliche NS-Kirchenpolitik in den ersten Jahren nach der
Machtergreifung. Die protestantische Kirche
war inhaltlich wie
organisatorisch zersplittert, die Landeskirchen im Deutschen
Evangelischen Kirchenbund nur locker zusammengeschlossen. Die
nationalsozialistische Machtübernahme wurde zunächst überwiegend
positiv aufgenommen. Bereits ab 1932 existierte die "Glaubensbewegung
Deutsche Christen". Diese Vereinigung protestantischer
Nationalsozialisten hatte bei den Synodalwahlen in der Altpreußischen
Union, der größten evangelischen Landeskirche, im September 1932
fast ein Drittel der Stimmen erhalten. Die Gleichschaltung der
protestantischen Kirche von innen heraus schien der NS-Führung daher
möglich. Nach massiver Propaganda gewannen am 23. Juli 1933 die
Deutschen Christen die Kirchenwahlen in der neugeschaffenen
einheitlichen Reichskirche und stellten damit die Bischöfe in fast
allen evangelischen Landeskirchen. Im September 1933 wurde Hitlers
"Bevollmächtigter für die Angelegenheiten der Evangelischen
Kirche", Ludwig Müller Reichsbischof. Für die Reichskirche
strebte er die Einführung des Führerprinzips an und überführte im
Dezember 1933 die evangelischen Jugendverbände in die Hitler-Jugend.
Die sich danach auch gleich an der Bücherverbrennung beteiligten. In
den Gemeinden setzten viele ihre Hoffnungen in die politische
Bewegung des Nationalsozialismus. Nordhausen machte da keine
Ausnahme. Die meisten der evangelischen Kirchenzeitungen haben den
Sieg der nationalsozialistischen Bewegung begrüßt. Hitler hatte die
Kirchen zunächst hofiert. Das Parteiprogramm der Nationalsozialisten
von 1930 hatte ein „positives Christentum“ proklamiert und die
Freiheit aller religiösen Bekenntnisse versprochen. Nur wenige
bemerkten allerdings,
was sich hinter der Formel verbarg, die
Freiheit der religiösen Bekenntnisse dürfe nicht „gegen das
Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen“.
Wagner erwähnte namentlich Martin Niemöller und den noch im April
1945 im KZ Flossenbürg ermordeten Dietrich Bonhoeffer.
Wagner ging dann in seinem Vortrag auf
die Glaubensbewegung Deutsche Christen ein, die sich als eine
kirchliche Erneuerungsbewegung verstand, die den nationalen Aufbruch
als von Gott gewollt verstand und entsprechend kirchenpolitisch
agierte. Unterstützt wurden die Deutschen Christen bei allen
Kirchenwahlen Anfang der dreißiger Jahre von der NSDAP und ihren
Gliederungen. Die Partei versprach sich
davon vor allem, die
evangelischen Kirchen für sich vereinnahmen zu können, wenn die
nationalsozialistische Form des Führerprinzips auch auf die Kirche
übertragen wäre.
Dann gab es aber auch noch die
"Bekennende Kirche", die sich dagegen formierte. Die ihre
geistigen Wurzeln vor allem in der „Dialektischen Theologie“
hatte, die in erster Linie vom damals in Münster, später in Bonn
lehrenden schweizerischen Theologen Karl Barth begründet und geprägt
worden war. Barth hat sich immer wieder, besonders kämpferisch in
seiner Schrift Quousque tandem? von 1930 gegen das kirchliche
Selbstbewusstsein der national gesinnten Kirchenführungen gewandt
und vor allem die attackiert, die in der Geschichte nach dem ersten
Weltkrieg die Bestätigung
eines „heiligen Dennoch“ erblicken, in
dem der in der deutschen Volksseele verwurzelte religiöse Gedanke
sich bewähre. Die markanteste Äußerung der Bekennenden Kirche ist
die Theologische Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen 1934, die
allerdings auf die Judenfrage nicht ausdrücklich einging. Dabei
erwähnte der Referent auch hier, dass es in Nordhausen Mitglieder
der „Bekennenden Kirche“ unter einem Pfarrer Trautmann gab.
Nach dem 30. Januar 1933 hatten die
evangelischen Kirchen jedenfalls schon viel von ihrem
Handlungsspielraum in der Judenfrage eingebüßt, soweit sie hier
überhaupt eine parteikritische Position gehabt hatten. Weder die
Rechtseinschränkungen der Juden nach dem Reichstagsbrand im Februar
noch die Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes im März,
auch
nicht der am 1. April von der NSDAP inszenierte Boykott jüdischer
Geschäfte haben nennenswerten kirchlichen Widerstand zur Folge
gehabt. Im Gegenteil, die meisten Kirchenleitungen ließen sich im
sogenannten Abwehrkampf gegen angebliche Gräuelhetze der Juden
instrumentalisieren; sie begrüßten die staatlichen Maßnahmen oder
äußerten Verständnis dafür. Auch dabei habe Nordhausen keine
Ausnahme gemacht, bemerkte der Referent und illustrierte das auch.
Eine ähnliche Einstellung der
protestantischn Kirche gab es nach den Ausführungen Wagners zur
Behandlung „unwerten Lebens“ (erbkranken Nachwuchses) in den
Anstalten der „Inneren Mission“, also zur Sterilisierung und
schließlich der Euthanasie. Ausführlich schilderte er, dass es auch
dabei zu keinen offenen Protestformen oder der Aufforderung an die
evangelischen Anstaltsleiter kam, die
Abtransporte zu boykottieren.
Dazu konnten sich die Verantwortlichen im Central-Ausschuss für
Innere Mission einfach nicht entschließen. Die Wahl solcher
Protestformen blieb den einzelnen Anstaltsleitern in ihrer
Eigenverantwortung überlassen.
In der Zusammenfassung meinte der
Referent, dass der Faschismus – im Verhältnis zu dem damaligen
Faschismus in Spanien oder Italien – in Deutschland ein eigenes,
deutsches Gesicht hatte, das völkisch geprägt war. Und das war
antikirchlich, rassistisch und radikal. Und der Protestantismus fügte
sich mehr oder weniger ein. Nach Kriegsende trafen sich die
Kirchenvertreter der protestantischen Kirchen, taten sich aber schwer
mit einem Schuldbekenntnis. Wagner erwähnte Landesbischof Theophil
Heinrich Wurm, der anlässlich der Nürnberger Prozesse gegenüber
den Siegermächten sogar gegen die Härte der Vorgehensweise gegen
die Angeklagten und die Entnazifizierung protestierte. Er
unterschrieb dann allerdings auch das „Stuttgarter
Schuldbekenntnis, in dem sich die evangelische Christenheit erstmals
nach dem Zweiten Weltkrieg (Oktober 1945) zu einer Mitschuld an den
Verbrechen des Nationalsozialismus bekennt. Autoren waren die
EKD-Ratsmitglieder Hans Christian Asmussen, Otto Dibelius und Martin
Niemöller, die sie auf einer Ratstagung in Stuttgart gemeinsam
verfassten. Wie der Referent berichtete, gab es damals viele Stimmen
dagegen, und der darin in Aussicht gestellte Neuanfang blieb aus. Und
auch bis heute besteht Zurückhaltung gegenüber einem
uneingeschränkten Bekenntnis zur Mitschuld.
Dem knapp einstündigem
Referat, das hier, gestützt auf den Mitschnitt, nur andeutungsweise
wiedergegeben ist, folgten lediglich einige spärliche Wortmeldungen.
Der Vortrag war dafür meines Erachtens einfach zu flüssig
formuliert, um sich aus dem Stegreif heraus dazu authentisch äußern
zu können. Es bleibt abzuwarten, ob das noch in geeigneter Form von berufener Seite erfolgen wird.
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