Dienstag, 8. Juli 2014

„Von Luther zu Hitler“ - folgerichtig oder initiiert?

Das Interesse an dem gestrigen Vortrag „Von Luther zu Hitler – Überlegungen zu dem Verhältnis von Protestantismus und Nationalsozialismus“ in der Flohburg-dem Nordhausen Museum, war für Nordhäuser Verhältnisse recht groß. Und mit Dr. Jens-Christian Wagner, derzeit noch Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau Dora hielt den Vortrag ein anerkannter Wissenschaftler.

Der mich als Zuhörer mit diesen Vortrag zumindest in seiner Schlüssigkeit als Nichtprotestant überzeugte. Zuvor aber begrüßte die Leiterin des Flohburg-Museums, Dr. Cornelia Klose, Gäste und Referenten und führte mit dem Hinweis ins Thema ein, dass es sich
um einen Vortrag im Rahmen der Luther-Dekade handele. Das Luther-Forum sei der Veranstalter. Es sei auch schön, dass die Flohburg für die Gedenkstätte „so eine Art Außenstelle“ geworden ist, die Themen wie Nationalsozialismus, Konzentrationslager. Verfolgung von Menschen dadurch die Stadt hineingetragen, und „wir freuen uns, dass wir damit auch etwas enger an die Gedenkstätte kommen und an die Themen, die von dort getroffen werden.“ Nachdem sie den Titel des Themas eingeführt hatte, überreichte sie Jens-Christian Wagner eine umhüllte Flasche - sicher mit Hochprozentigem - als Zeichen bisheriger guter Zusammenarbeit. Und weil Wagner ja nun seine Tätigkeit in Nordhausen beendet und nach Niedersachsen wechselt, wo er Direktor der Niedersächsischen Gedenkstätten wird. Einen guten Schluck wolle sie ihn neben den Dank für die gute Zusammenarbeit mit auf den Weg geben. (Die Ausführlichkeit ist der Bedeutung der guten
Zusammenarbeit der vormaligen und dem nun scheidenden jetzigen Leiter der Gedenkstätte geschuldet.)


Zunächst bemerkte der Referent, dass es ihm bei seinem Vortrag gar nicht so sehr um Luther selbst ginge, sondern mehr um die Wirkungsgeschichte Luthers und demzufolge um die Beziehungen zwischen Nationalsozialismus und Protestantismus. Nur lässt sich nach seinen Worten der deutsche Protestantismus ideengeschichtlich und theologisch nicht ohne Luther erklären. Vor allem waren seine Lehren weitaus prägender für das Verhältnis der Protestanten zum Nationalsozialismus durch die Entwicklung der protestantischen Kirche im deutschen Kaiserreich im ausgehenden 19. Jahrhundert und ebenso im beginnenden 20 Jahrhundert in der Weimarer Republik.

Nach dieser Einführung schlug der Referent rhetorisch einen weiten Bogen, begann mit seinen Ausführungen zu Zeiten des Kaiserreiches mit der Darstellung der protestantischen Kirche in
ihrem Verhältnis zum Staat und demgegenüber der katholischen Kirche, die sich – natürlich – am Papst orientierte. Entsprechend unterschiedlich verlief auch die Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende des Kaiserreiches. Die Weimarer Reichsverfassung besiegelte die Trennung von Staat und Kirche und regelte demzufolge das Verhältnis von Kirche und Staat neu. Der Referent vermittelte mit seinen Ausführungen eine Vorstellung von einem weltanschaulich neutralem Staat sowie der Selbstbestimmung aller Religionsgemeinschaften als Grundlage dieser Regelungen. Wagner skizzierte die Positionen vor allem der protestantischen und katholischen Kirche zur Zeit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933. Danach gehörten immerhin 62,7 Prozent der Deutschen der protestantischen und 32,5 Prozent der katholischen Kirche an.

Die antichristliche Weltanschauung des Nationalsozialismus und taktische Züge bestimmten daher in der Folgezeit eine widersprüchliche und uneinheitliche NS-Kirchenpolitik in den ersten Jahren nach der Machtergreifung. Die protestantische Kirche
war inhaltlich wie organisatorisch zersplittert, die Landeskirchen im Deutschen Evangelischen Kirchenbund nur locker zusammengeschlossen. Die nationalsozialistische Machtübernahme wurde zunächst überwiegend positiv aufgenommen. Bereits ab 1932 existierte die "Glaubensbewegung Deutsche Christen". Diese Vereinigung protestantischer Nationalsozialisten hatte bei den Synodalwahlen in der Altpreußischen Union, der größten evangelischen Landeskirche, im September 1932 fast ein Drittel der Stimmen erhalten. Die Gleichschaltung der protestantischen Kirche von innen heraus schien der NS-Führung daher möglich. Nach massiver Propaganda gewannen am 23. Juli 1933 die Deutschen Christen die Kirchenwahlen in der neugeschaffenen
einheitlichen Reichskirche und stellten damit die Bischöfe in fast allen evangelischen Landeskirchen. Im September 1933 wurde Hitlers "Bevollmächtigter für die Angelegenheiten der Evangelischen Kirche", Ludwig Müller Reichsbischof. Für die Reichskirche strebte er die Einführung des Führerprinzips an und überführte im Dezember 1933 die evangelischen Jugendverbände in die Hitler-Jugend. Die sich danach auch gleich an der Bücherverbrennung beteiligten. In den Gemeinden setzten viele ihre Hoffnungen in die politische Bewegung des Nationalsozialismus. Nordhausen machte da keine Ausnahme. Die meisten der evangelischen Kirchenzeitungen haben den Sieg der nationalsozialistischen Bewegung begrüßt. Hitler hatte die Kirchen zunächst hofiert. Das Parteiprogramm der Nationalsozialisten von 1930 hatte ein „positives Christentum“ proklamiert und die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse versprochen. Nur wenige bemerkten allerdings,
was sich hinter der Formel verbarg, die Freiheit der religiösen Bekenntnisse dürfe nicht „gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen“. Wagner erwähnte namentlich Martin Niemöller und den noch im April 1945 im KZ Flossenbürg ermordeten Dietrich Bonhoeffer.


Wagner ging dann in seinem Vortrag auf die Glaubensbewegung Deutsche Christen ein, die sich als eine kirchliche Erneuerungsbewegung verstand, die den nationalen Aufbruch als von Gott gewollt verstand und entsprechend kirchenpolitisch agierte. Unterstützt wurden die Deutschen Christen bei allen Kirchenwahlen Anfang der dreißiger Jahre von der NSDAP und ihren Gliederungen. Die Partei versprach sich
davon vor allem, die evangelischen Kirchen für sich vereinnahmen zu können, wenn die nationalsozialistische Form des Führerprinzips auch auf die Kirche übertragen wäre.
Dann gab es aber auch noch die "Bekennende Kirche", die sich dagegen formierte. Die ihre geistigen Wurzeln vor allem in der „Dialektischen Theologie“ hatte, die in erster Linie vom damals in Münster, später in Bonn lehrenden schweizerischen Theologen Karl Barth begründet und geprägt worden war. Barth hat sich immer wieder, besonders kämpferisch in seiner Schrift Quousque tandem? von 1930 gegen das kirchliche Selbstbewusstsein der national gesinnten Kirchenführungen gewandt und vor allem die attackiert, die in der Geschichte nach dem ersten Weltkrieg die Bestätigung
eines „heiligen Dennoch“ erblicken, in dem der in der deutschen Volksseele verwurzelte religiöse Gedanke sich bewähre. Die markanteste Äußerung der Bekennenden Kirche ist die Theologische Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen 1934, die allerdings auf die Judenfrage nicht ausdrücklich einging. Dabei erwähnte der Referent auch hier, dass es in Nordhausen Mitglieder der „Bekennenden Kirche“ unter einem Pfarrer Trautmann gab.

Nach dem 30. Januar 1933 hatten die evangelischen Kirchen jedenfalls schon viel von ihrem Handlungsspielraum in der Judenfrage eingebüßt, soweit sie hier überhaupt eine parteikritische Position gehabt hatten. Weder die Rechtseinschränkungen der Juden nach dem Reichstagsbrand im Februar noch die Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes im März,
auch nicht der am 1. April von der NSDAP inszenierte Boykott jüdischer Geschäfte haben nennenswerten kirchlichen Widerstand zur Folge gehabt. Im Gegenteil, die meisten Kirchenleitungen ließen sich im sogenannten Abwehrkampf gegen angebliche Gräuelhetze der Juden instrumentalisieren; sie begrüßten die staatlichen Maßnahmen oder äußerten Verständnis dafür. Auch dabei habe Nordhausen keine Ausnahme gemacht, bemerkte der Referent und illustrierte das auch.

Eine ähnliche Einstellung der protestantischn Kirche gab es nach den Ausführungen Wagners zur Behandlung „unwerten Lebens“ (erbkranken Nachwuchses) in den Anstalten der „Inneren Mission“, also zur Sterilisierung und schließlich der Euthanasie. Ausführlich schilderte er, dass es auch dabei zu keinen offenen Protestformen oder der Aufforderung an die evangelischen Anstaltsleiter kam, die
Abtransporte zu boykottieren. Dazu konnten sich die Verantwortlichen im Central-Ausschuss für Innere Mission einfach nicht entschließen. Die Wahl solcher Protestformen blieb den einzelnen Anstaltsleitern in ihrer Eigenverantwortung überlassen.

In der Zusammenfassung meinte der Referent, dass der Faschismus – im Verhältnis zu dem damaligen Faschismus in Spanien oder Italien – in Deutschland ein eigenes, deutsches Gesicht hatte, das völkisch geprägt war. Und das war antikirchlich, rassistisch und radikal. Und der Protestantismus fügte sich mehr oder weniger ein. Nach Kriegsende trafen sich die Kirchenvertreter der protestantischen Kirchen, taten sich aber schwer mit einem Schuldbekenntnis. Wagner erwähnte Landesbischof Theophil Heinrich Wurm, der anlässlich der Nürnberger Prozesse gegenüber den Siegermächten sogar gegen die Härte der Vorgehensweise gegen die Angeklagten und die Entnazifizierung protestierte. Er unterschrieb dann allerdings auch das „Stuttgarter Schuldbekenntnis, in dem sich die evangelische Christenheit erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg (Oktober 1945) zu einer Mitschuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus bekennt. Autoren waren die EKD-Ratsmitglieder Hans Christian Asmussen, Otto Dibelius und Martin Niemöller, die sie auf einer Ratstagung in Stuttgart gemeinsam verfassten. Wie der Referent berichtete, gab es damals viele Stimmen dagegen, und der darin in Aussicht gestellte Neuanfang blieb aus. Und auch bis heute besteht Zurückhaltung gegenüber einem uneingeschränkten Bekenntnis zur Mitschuld.


Dem knapp einstündigem Referat, das hier, gestützt auf den Mitschnitt, nur andeutungsweise wiedergegeben ist, folgten lediglich einige spärliche Wortmeldungen. Der Vortrag war dafür meines Erachtens einfach zu flüssig formuliert, um sich aus dem Stegreif heraus dazu authentisch äußern zu können. Es bleibt abzuwarten, ob das noch in geeigneter Form von berufener Seite erfolgen wird.

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