Sonntag, 27. Juli 2014

Christian Wulff: Eine Talkshow, die wenig brachte, aber einiges deutlich werden ließ

Das Urteil fiel eindeutig aus: Juristisch sei Christian Wulff nichts vorzuwerfen. Dass es überhaupt zum Prozess gegen ihn kam, habe allein an der „Kleinlichkeit und Verbissenheit der Staatsanwälte“ gelegen. Trotzdem sei Wulffs Rücktritt richtig gewesen, denn: „Sein Umgang mit den Enthüllungen zu Hauskredit, Gratis-Urlauben und Mail-Boxen wurde den Ansprüchen des Amtes nicht gerecht.“ Das schrieb am 03. März 2014 die TAZ. Und sie fügte hinzu, dass es nicht der Richter in Hannover war, der dieses Urteil sprach, sondern Bild-Chef Kai Diekmann, der schon im November vergangenen Jahres einen Schlussstrich unter die Affäre zog. Dass das Gericht dieses Urteil dann nachvollzogen hat und die meisten Medien in Diekmanns Tenor einstimmen, war am Ende nur noch Formsache. Und die letzte Strophe eines gemeinsamen Konzertes.

Ich musste gestern an diesen TAZ-Bericht denken angesichts der Talkshow bei Maybrit Illner. Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit und auch meiner Einstellung zu diesen Talkshows sah ich mir diese Show an und schnitt auch die Diskussion mit , um mir auch durch nachträgliches Hören ein eigenes Bild vom Verlauf machen zu können. Und wenn ich in der WELT vom 25.07.lese, dass der Altbundespräsident Wulff gegen die Medien „gewettert“ habe, dann kann ich das nicht nachvollziehen, denn von „wettern“ habe ich während der gesamten Talkschow und in der Mitschnitt-Wiedergabe von Chistian Wulff nichts gehört. Wohl aber von sehr disziplinierter und sachlicher Darstellung des damaligen Geschehens. Aus seiner Sicht natürlich. Warum aber nicht? Nur wurde dabei schon die Tendenz der Berichterstattung erkennbar und nahm die Lust am Zuhören. Ich halte mich dann besser an das Buch von Christian Wulff: „Ganz oben, ganz unten“.
Es gab ja im März auch einige Tage – nach dem Freispruch Christian Wulffs nämlich - in denen Zeitungsleser den Eindruck gewinnen konnten, Redaktionen und Chefredakteure wären auch zur Selbsteinsicht und -kritik fähig (Heribert Prantl erinnerte in der Talkshow daran). Diese kurze Phase aber war schnell überwunden und die alte Konstellation wieder hergestellt.
Die Zeitungen und Zeitschriften, die sich damals so erstaunlich einmütig zeigten, als es darum ging, den Expräsidenten zum Abschuss frei zu geben und sich dabei als Diekmanns willige Vollstrecker zeigten (TAZ vom 03.03.14), haben längst wieder Oberwasser und dominieren die öffentliche Meinung. Zumindest glauben sie das, denn trotz aller rhetorischen Register, die da zur Wiedererlangung der eigenen Meinungshoheit gezogen wurden, ist nicht nur unterschwellig ein Glaubwürdigkeitsproblem der Medien geblieben. Dessen Ursache zwar nicht die Problematik um Christian Wulff war, durch sie aber nachhaltig an die Oberfläche gespült wurde.
Dazu der Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl kürzlich im „Tagesspiegel“(Auszug): „Die Öffentlichkeitsarbeit hat lange darauf gesetzt, dass Journalismus glaubwürdiger ist als eigene Werbebotschaften – und deshalb hat sie den Journalismus über Pressearbeit infiltriert. Diese Pressearbeit ist immer professioneller geworden und hat viele Redaktionen dazu verführt, Medienmitteilungen mit einem Mausklick zu übernehmen, statt sie kritisch zu hinterfragen. Weil auf diese Weise die „andere Hälfte“ der Wahrheit systematisch ausgeblendet wird, hat die Glaubwürdigkeit des Journalismus Schaden genommen.“ (Ende des Auszugs).

Das Groteske dabei ist ja, dass „g'standene“ Journalisten das Problem sehen: nach dem jüngsten Social Media Trendmonitor vom Faktenkontor räumen 72 Prozent der Zeitschriften- und Tageszeitungsjournalisten der Glaubwürdigkeit den höchsten Stellenwert ein. Und obwohl sie also wissen, was nötig ist, folgt die Mehrzahl dem Trend der Zeit (oder der jeweiligen Redaktionsdirektive?)

Kürzlich hatte ich aus der „Tagespost“ zitiert und kann das hier sinngemäß fortsetzen: „Es wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Nicht bloß von Politikern und Geheimdiensten. Fotos und Dokumente fälschen kann heute fast jeder. Tatsache ist aber, dass nicht nur wir Endverbraucher von Informationen und Desinformationen ständig den Überblick verlieren. Auch die Politiker und Propagandisten, die Nachrichtendienste und Nachrichtenagenturen verlieren ihn angesichts immer häufigerer und komplexerer Krisen permanent. Und das ist wirklich nicht beruhigend oder gar glaubwürdigkeitsfördernd.

Christian Wulff ist also meines Erachtens nur Beispiel dafür, dass Zeitungen heute ein Glaubwürdikeitsproblem haben. Die „Tagespost“ dazu: „Tatsächlich werden wir überflutet von Informationen und Desinformationen, von mit Fakten getarnten Meinungen und Manipulationen. Aus welcher Küche welches Gerücht stammt, lässt sich rasch nicht mehr nachvollziehen: von Nachrichtenagenturen oder Nachrichtendiensten, Publizisten oder Politikern, Spin-Docs oder Spinnern? Wir leben in der Blütezeit der Verschwörungstheorien: weil wir wissen wollen, möglichst alles sofort – und weil wir zu wissen glauben wollen.“ (Ende des Auszugs) Zu letztem Satz allerdings gibt es meines Erachtens einen gravierenden Widerspruch: Wenn da nämlich festgestellt, dass „wir“ überflutet werden von Informationen und Desinformationen, von mit Fakten getarnten Meinungen und Manipulationen, dann ist das gewiss nicht das, was der Leser will, der ja zunächst gar nicht weiß, was sich in der Welt zuträgt. Es sind die Redaktionen, die sich ein Rennen um die schnellste Information und Nachricht liefern. Und dem Leser dadurch oft genug Nachrichten und Berichte liefern, die der Nachprüfung nicht stand halten. Man offeriert dem Leser also ein gar nicht gewünschtes Sammelsurium und überlässt es ihm, herauszufinden, was Dichtung und Wahrheit ist. Falls der überhaupt an der Wahrheit interessiert ist. Und nicht nur unterhalten werden will.   

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