Das Urteil fiel eindeutig aus: Juristisch sei Christian Wulff nichts vorzuwerfen. Dass es überhaupt zum Prozess gegen ihn kam, habe allein an der „Kleinlichkeit und Verbissenheit der Staatsanwälte“ gelegen. Trotzdem sei Wulffs Rücktritt richtig gewesen, denn: „Sein Umgang mit den Enthüllungen zu Hauskredit, Gratis-Urlauben und Mail-Boxen wurde den Ansprüchen des Amtes nicht gerecht.“ Das schrieb am 03. März 2014 die TAZ. Und sie fügte hinzu, dass es nicht der Richter in Hannover war, der dieses Urteil sprach, sondern Bild-Chef Kai Diekmann, der schon im November vergangenen Jahres einen Schlussstrich unter die Affäre zog. Dass das Gericht dieses Urteil dann nachvollzogen hat und die meisten Medien in Diekmanns Tenor einstimmen, war am Ende nur noch Formsache. Und die letzte Strophe eines gemeinsamen Konzertes.
Ich
musste gestern an diesen TAZ-Bericht denken angesichts der Talkshow
bei Maybrit Illner. Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit und auch
meiner Einstellung zu diesen Talkshows sah ich mir diese Show an und
schnitt auch die Diskussion mit , um mir auch durch nachträgliches
Hören ein eigenes Bild vom Verlauf machen zu können. Und wenn ich
in der WELT vom 25.07.lese, dass der
Altbundespräsident Wulff gegen die Medien „gewettert“ habe, dann
kann ich das nicht nachvollziehen, denn von „wettern“ habe ich
während der gesamten Talkschow und in der Mitschnitt-Wiedergabe von
Chistian Wulff nichts gehört. Wohl aber von sehr disziplinierter und
sachlicher Darstellung des damaligen Geschehens. Aus seiner Sicht
natürlich. Warum aber nicht? Nur wurde dabei schon die Tendenz der
Berichterstattung erkennbar und nahm die Lust am Zuhören. Ich halte
mich dann besser an das Buch von Christian Wulff: „Ganz oben, ganz
unten“.
Die Zeitungen und Zeitschriften, die sich damals so erstaunlich einmütig zeigten, als es darum ging, den Expräsidenten zum Abschuss frei zu geben und sich dabei als Diekmanns willige Vollstrecker zeigten (TAZ vom 03.03.14), haben längst wieder Oberwasser und dominieren die öffentliche Meinung. Zumindest glauben sie das, denn trotz aller rhetorischen Register, die da zur Wiedererlangung der eigenen Meinungshoheit gezogen wurden, ist nicht nur unterschwellig ein Glaubwürdigkeitsproblem der Medien geblieben. Dessen Ursache zwar nicht die Problematik um Christian Wulff war, durch sie aber nachhaltig an die Oberfläche gespült wurde.
Dazu
der Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl
kürzlich im „Tagesspiegel“(Auszug): „Die
Öffentlichkeitsarbeit hat lange darauf gesetzt, dass Journalismus
glaubwürdiger ist als eigene Werbebotschaften – und deshalb hat
sie den Journalismus über Pressearbeit infiltriert. Diese
Pressearbeit ist immer professioneller geworden und hat viele
Redaktionen dazu verführt, Medienmitteilungen mit einem Mausklick zu
übernehmen, statt sie kritisch zu hinterfragen. Weil auf diese Weise
die „andere Hälfte“ der Wahrheit systematisch ausgeblendet wird,
hat die Glaubwürdigkeit des Journalismus Schaden genommen.“ (Ende
des Auszugs).
Das
Groteske dabei ist ja, dass „g'standene“ Journalisten das Problem
sehen: nach dem jüngsten Social Media Trendmonitor vom Faktenkontor
räumen 72 Prozent der Zeitschriften- und Tageszeitungsjournalisten
der Glaubwürdigkeit den höchsten Stellenwert ein. Und obwohl sie
also wissen, was nötig ist, folgt die Mehrzahl dem Trend der Zeit
(oder der jeweiligen Redaktionsdirektive?)
Kürzlich
hatte ich aus der „Tagespost“ zitiert und kann das hier sinngemäß
fortsetzen: „Es wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Nicht
bloß von Politikern und Geheimdiensten. Fotos und Dokumente fälschen
kann heute fast jeder. Tatsache ist aber, dass nicht nur wir
Endverbraucher von Informationen und Desinformationen ständig den
Überblick verlieren. Auch die Politiker und Propagandisten, die
Nachrichtendienste und Nachrichtenagenturen verlieren ihn angesichts
immer häufigerer und komplexerer Krisen permanent. Und das ist
wirklich nicht beruhigend oder gar glaubwürdigkeitsfördernd.
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