Während der vergangenen Monate hörte
ich aus ganz persönlichem Interesse einige Vorträge zum Reformator
Luther und zum Protestantismus, von denen ich mitnahm, dass
sie im Rahmen der Lutherdekade stattfanden. Auch einige Predigten
während evangelischer Gottesdienste (im TV) zähle ich dazu – vor
allem von Margit Käßmann in Wittenberg – die mir als bekennenden
Katholiken den Protestantismus einigermaßen nahe brachten. Mit dem
ich ja überhaupt erst nach der Wende – aus einer erzkatholischen
Gegend gekommen - in Berührung kam.
In jüngster Zeit nun hörte ich
Vorträge und stieß auf Zeitungsartikel, die sich eher kritisch mit
der Thematik Luther und dem Protestantismus beschäftigten, etwa mit
der Frage, ob Luther ein Antisemit war. Und auch dem Verhältnis des
Protestantismus zum Nationalsozialismus in der Konsequenz der Lehre
Luthers.
Auch diese Problemthemen somit im
Rahmen der Lutherdekade. Über deren eigentlichen Sinn und Bedeutung
ich mich also kundig machte. Und zur Kenntnis nahm, dass es sich um
eine Veranstaltungsreihe handelt, die 2008 begann „und
auf das Jubiläum des 500. Jahrestags des Thesenanschlags von Martin Luther im Jahr 2017 hinführt. Jedes Jahr bis dahin ist einem eigenen
Themenkomplex gewidmet, und das lautet für 2014: Reformation
und Politik. Und
die gehörten Vorträge und gelesenen Artikel verstehen sich
folglich unter diesem Motto.
Nachdem
im Februar im Museum Tabakspeicher ein ausgezeichneter, anschaulicher
Vortrag zum Thema
„Der Rebell Martin Luther-Vom
Katholizismus zum Protestantismus“ von Dr. Heinz Schilling zu hören
war, in dem der Vortragende diesen welthistorischen Rebell Luther in
seiner Zeit vorstellte und ihn nicht als einsamen Heros, sondern als
Akteur in einem gewaltigen Ringen um Kirche und Religion
eindrucksvoll beschrieb, gab es seitdem Vorträge und Artikel mit
einem ganz anderen Tenor. Da ging es um die Frage „Luther und die
Juden“(am 19. Juni im Gemeindehaus St. Severi in Erfurt), und am
Montag hörte ich einen Vortrag in der Flohburg von Dr.
Jens-Christian Wagner, derzeit noch Leiter der KZ-Gedenkstätte
Mittelbau Dora, zum Thema „Von Luther zu Hitler –
Überlegungen zu dem Verhältnis von Protestantismus und
Nationalsozialismus“. Daneben widmete die „Thüringer Allgemeine“
am 16. Juni diesem Problemkomplex eine ganze Seite. Und alle diese
letztgenannten Vorgänge und Ereignisse sind geeignet, das Ansehen
Luthers und des gesamten Protestantismus in heutiger Sicht zu
beeinträchtigen.
Nun überlege ich, ob dieses Jahr 2014
unter dem genannten Motto einer Art später Vergangenheitsbewältigung
dienen soll, die es bisher möglicherweise noch nicht gegeben hat?
In dem Artikel der TA lese ich
(Auszug): „2017 wird ein Reformationsjubiläum, nicht, wie 1983,
ein Lutherjubiläum sein. Es geht darum, die ganze Breite der
Reformation und ihrer Erbschaften in der Geschichte des deutschen,
aber auch des weltweiten Protestantismus zu bedenken. Das gilt für
den Umgang mit Diktaturen ebenso wie für das Verhältnis zu den
Juden.“ (Ende des Auszugs).
Wenn ich mir dazu die Ausführungen
Jens-Christian Wagners am Montag vergegenwärtige, dann tut sich die
Protestantische Kirche noch immer schwer, sich abschließend zu ihrer
Mitschuld an den Verbrechen der Nationalsozialisten zu bekennen.
Wagner erwähnte zwar die „Stuttgarter Erklärung“, mit der sich
schon 1945, nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches, die
neugebildete Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zu einer
Mitschuld evangelischer Christen an diesen Verbrechen der Nazis
bekannte, doch war dieses Dokument ursprünglich noch nicht einmal
für die Öffentlichkeit gedacht. Und eine wirkliche
Vergangenheitsbewältigung soll es bis heute nicht gegeben haben.
In meinem Bemühen,
mich über diesen Problemkomplex zu informieren, stieß ich u.a. auf
den Historiker Manfred Gailus und mehr noch aus der Bundeszentrale
für politische Bildung auf eine Publikation von Anke Silomon,
Privatdozentin für Neuere Geschichte in Berlin und assoziierte
Wissenschaftlerin am ZZF Potsdam (Zentrum für Zeithistorische
Forschung), die u.a. 2009 an
Beispielen des Nationalsozialismus und der DDR theologische
Hintergründe von Widerstandsaktivitäten evangelischer Christen und
die grundlegend verschiedene Situation in beiden Diktaturen
beleuchtet. In diesen Publikationen wird neben den
grundsätzlichen
Positionen der evangelischen Kirche gegenüber den Diktaturen sehr
ausführlich über diese Widerstandsaktivitäten evangelischer
Christen berichtet. Die in vielen Fällen ins KZ und dort auch zur
Ermordung führten. Und die kamen in dem Vortrag Dr. Wagners am Monat
so gut wie gar nicht vor. Gerade sie müssten meines Erachtens aber
doch Erwähnung finden!?
Ohne mit meinem noch immer recht bescheidenen Wissen um diese
Problemthemen argumentieren zu wollen, hoffe ich deshalb einmal mehr,
dass es in diesem, der Reformation und Politik gewidmeten Jahr hier
noch Vorträge und Publikationen gibt, die auch dieses Verhalten
protestantischer Christen entsprechend ausführlich beleuchtet.
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