Donnerstag, 10. Juli 2014

Was bringt die Lutherdekade? (Einige vielleicht etwas einfältige Überlegungen)

Während der vergangenen Monate hörte ich aus ganz persönlichem Interesse einige Vorträge zum Reformator Luther und zum Protestantismus, von denen ich mitnahm, dass sie im Rahmen der Lutherdekade stattfanden. Auch einige Predigten während evangelischer Gottesdienste (im TV) zähle ich dazu – vor allem von Margit Käßmann in Wittenberg – die mir als bekennenden Katholiken den Protestantismus einigermaßen nahe brachten. Mit dem ich ja überhaupt erst nach der Wende – aus einer erzkatholischen Gegend gekommen - in Berührung kam.

In jüngster Zeit nun hörte ich Vorträge und stieß auf Zeitungsartikel, die sich eher kritisch mit der Thematik Luther und dem Protestantismus beschäftigten, etwa mit der Frage, ob Luther ein Antisemit war. Und auch dem Verhältnis des Protestantismus zum Nationalsozialismus in der Konsequenz der Lehre Luthers.

Auch diese Problemthemen somit im Rahmen der Lutherdekade. Über deren eigentlichen Sinn und Bedeutung ich mich also kundig machte. Und zur Kenntnis nahm, dass es sich um eine Veranstaltungsreihe handelt, die 2008 begann „und auf das Jubiläum des 500. Jahrestags des Thesenanschlags von Martin Luther im Jahr 2017 hinführt. Jedes Jahr bis dahin ist einem eigenen Themenkomplex gewidmet, und das lautet für 2014: Reformation und Politik. Und die gehörten Vorträge und gelesenen Artikel verstehen sich folglich unter diesem Motto.

Nachdem im Februar im Museum Tabakspeicher ein ausgezeichneter, anschaulicher Vortrag zum Thema „Der Rebell Martin Luther-Vom Katholizismus zum Protestantismus“ von Dr. Heinz Schilling zu hören war, in dem der Vortragende diesen welthistorischen Rebell Luther in seiner Zeit vorstellte und ihn nicht als einsamen Heros, sondern als Akteur in einem gewaltigen Ringen um Kirche und Religion eindrucksvoll beschrieb, gab es seitdem Vorträge und Artikel mit einem ganz anderen Tenor. Da ging es um die Frage „Luther und die Juden“(am 19. Juni im Gemeindehaus St. Severi in Erfurt), und am
Montag hörte ich einen Vortrag in der Flohburg von Dr. Jens-Christian Wagner, derzeit noch Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau Dora, zum Thema „Von Luther zu Hitler – Überlegungen zu dem Verhältnis von Protestantismus und Nationalsozialismus“. Daneben widmete die „Thüringer Allgemeine“ am 16. Juni diesem Problemkomplex eine ganze Seite. Und alle diese letztgenannten Vorgänge und Ereignisse sind geeignet, das Ansehen Luthers und des gesamten Protestantismus in heutiger Sicht zu beeinträchtigen.

Nun überlege ich, ob dieses Jahr 2014 unter dem genannten Motto einer Art später Vergangenheitsbewältigung dienen soll, die es bisher möglicherweise noch nicht gegeben hat?
In dem Artikel der TA lese ich (Auszug): „2017 wird ein Reformationsjubiläum, nicht, wie 1983, ein Lutherjubiläum sein. Es geht darum, die ganze Breite der Reformation und ihrer Erbschaften in der Geschichte des deutschen, aber auch des weltweiten Protestantismus zu bedenken. Das gilt für den Umgang mit Diktaturen ebenso wie für das Verhältnis zu den Juden.“ (Ende des Auszugs).

Wenn ich mir dazu die Ausführungen Jens-Christian Wagners am Montag vergegenwärtige, dann tut sich die Protestantische Kirche noch immer schwer, sich abschließend zu ihrer Mitschuld an den Verbrechen der Nationalsozialisten zu bekennen. Wagner erwähnte zwar die „Stuttgarter Erklärung“, mit der sich schon 1945, nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches, die neugebildete Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zu einer Mitschuld evangelischer Christen an diesen Verbrechen der Nazis bekannte, doch war dieses Dokument ursprünglich noch nicht einmal für die Öffentlichkeit gedacht. Und eine wirkliche Vergangenheitsbewältigung soll es bis heute nicht gegeben haben.

In meinem Bemühen, mich über diesen Problemkomplex zu informieren, stieß ich u.a. auf den Historiker Manfred Gailus und mehr noch aus der Bundeszentrale für politische Bildung auf eine Publikation von Anke Silomon, Privatdozentin für Neuere Geschichte in Berlin und assoziierte Wissenschaftlerin am ZZF Potsdam (Zentrum für Zeithistorische Forschung), die u.a. 2009 an Beispielen des Nationalsozialismus und der DDR theologische Hintergründe von Widerstandsaktivitäten evangelischer Christen und die grundlegend verschiedene Situation in beiden Diktaturen beleuchtet. In diesen Publikationen wird neben den
grundsätzlichen Positionen der evangelischen Kirche gegenüber den Diktaturen sehr ausführlich über diese Widerstandsaktivitäten evangelischer Christen berichtet. Die in vielen Fällen ins KZ und dort auch zur Ermordung führten. Und die kamen in dem Vortrag Dr. Wagners am Monat so gut wie gar nicht vor. Gerade sie müssten meines Erachtens aber doch Erwähnung finden!?


Ohne mit meinem noch immer recht bescheidenen Wissen um diese Problemthemen argumentieren zu wollen, hoffe ich deshalb einmal mehr, dass es in diesem, der Reformation und Politik gewidmeten Jahr hier noch Vorträge und Publikationen gibt, die auch dieses Verhalten protestantischer Christen entsprechend ausführlich beleuchtet.

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