Samstag, 7. April 2012

Gedenken auch gegen Geschichtsverfälschung

Diese Karwoche in Nordhausen stand einerseits ganz erheblich im Zeichen einer Podiumsdiskussion im Audimax der Fachhochschule,
die den furchtbaren Ereignissen von vor 67 Jahren gewidmet war. Also den Luftangriffen auf Nordhausen im Zweiten Weltkrieg mit seinen katastrophalen Auswirkungen auf die Stadt und seine Bewohner.

Aber auch tags darauf einem Gedenken an der Stele vor dem Nordhäuser Rathaus, das den etwa 8800 Opfern jener Bombenangriffe am 3. und 4. April 1945 galt. Zugleich aber auch dem Widerstand im Nazi-Deutschland. (Der allerdings mit Nordhausen sehr wenig zu tun hatte.) Letzteres fand in der offiziellen Erklärung der Veranstalter jener Podiumsdiskussion und mehr noch in der Berichterstattung der Medien sehr viel mehr Beachtung als die Veranstaltung im Audimax. Ganz offensichtlich, weil sie spektakulärer verlief als jene sehr sachlich verlaufene Diskussion im Audimax.

Am Montag also ging es in dieser Podiumsdiskussion um die Luftangriffe auf Nordhausen am 03. und 04. April 1945 mit allen ihren Auswirkungen. Und diese mündeten u.a. in eine Gedenkfolge für die Opfer dieser Bombenangriffe, gleichzeitig aber auch zu einer sehr unterschiedlichen Einschätzung dieser Bombardements im Laufe der Jahre. Und schließlich zu aktuellen Überlegungen, wie diese Gedenken jetzt und zukünftig sinnvoll und ohne unwillkommene Beteiligung rechtsextremer Gruppen gestaltet werden können.

Das Auditorium im Audimax war dicht gedrängt und zeugte von dem großen Interesse an der Erörterung dieses Problemkomplexes. Neben zahlreichen Einwohnern Nordhausens, meist gesetzteren Alters, waren es bemerkenswert viele junge Menschen, offenbar Studierende der Fachhochschule, denen man ernstliches Interesse an der Thematik unterstellen durfte. Unter dem Logo „„Zum Umgang mit der Bombardierung Nordhausens – Erinnern als Gradmesser der Gegenwart“ hatte der Verein „Schrankenlos e.V“ zusammen mit dem BgR (Bündnis gegen Rechtsextremismus) zu dieser Veranstaltung eingeladen. Und diese Vorgabe ließ schon vermuten, dass es weniger um geschichtliche Abläufe und Zusammenhänge und Hintergründe gehen würde. Und auch nicht um den Versuch einer objektiven Einschätzung, die unmittelbare Ursache dieser Luftangriffe waren, so kurz vor der Besetzung Nordhausens durch die Amerikaner, sondern um deren Reaktion unter gesellschaftlichen oder auch ideologisch orientierten Gesichtspunkten.

Dazu hielt der Leipziger Historiker Martin C. Winter einen einführenden Vortrag. Dafür qualifiziert durch sein 2010 erschienenes Buch: „Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945-2005“ läßt allerdings auch schon der Bucheinband (siehe Bild) erkennen, dass darin Bewertungen beschrieben werden als Ausdruck ideologischer Auffassungen und/oder entsprechende Tendenzen. Und tatsächlich geht ja Winter darin vornehmlich Fragen nach, wie und zu welchen Anlässen sich eine Stadt wie Nordhausen ihrer Zerstörung kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert? Und wer die Akteure sind, die diese Erinnerungskultur wach halten? Und welche Funktionen das Gedenken in der Endkriegsphase, US-amerikanischer und sowjetischer Besatzung, DDR-Diktatur und des Kaltem Krieges bis in die jüngste Zeit des „Erinnerungsbooms“ seit Mitte der neunziger Jahre erfüllte? Winter streifte in seiner Einführung diese Überlegungen nur, ließ aber die unterschiedliche Einschätzung unter Berücksichtigung des gesellschaftlichen und politischen „Mainstreams“ erkennen.

Nach der so gearteten Einführung kamen unter der sehr sachlichen Moderation des Journalisten Sebastian Voigt die Nordhäuser Obberbürgermeisterin Barbara Rinke, Dompfarrer Richard Hentrich, Gedenkstättenleiter Dr. Jens-Christian Wagner und Katja Fiebiger vom Verein „Mobile Beratung für Demokratie – Gegen Rechtsextremismus“ zu Wort und berichteten jeweils aus ihrer Sicht und Erfahrung, wie sich diese Bewertung jener Ereignisse von 1945 in der öffentlichen Wahrnehmung durch Zeitzeugen und politischer Einflussnahme entwickelten bzw. änderten. Wobei – auch in der folgenden Diskussion – immer wieder auf Zeitzeugen reflektiert wurde. Obwohl deren Bekundungen doch bekanntlich immer subjektiv und ohne wirklich authentischen Wert sind. Dazu wird immer wieder auf ein sehr markantes Beispiel aus Dresden verwiesen: Zeitzeugen wollten bei den Luftangriffen auf Elbflorenz angreifende Tiefflieger gesehen und sogar deren Piloten ausgemacht haben. Obwohl es objektiv nach der Geschichtsforschung nie an den Fluzeugangriffen auf Dresden beteiligte Tiefflieger gab.

Davon abgesehen heißt es nun in der offiziellen Stellungnahme des BgR u.a.: „Der für uns überraschend große Andrang zu der Veranstaltung (der Podiumsdiskussion d.A.) zeigt, dass das Thema, insbesondere vor dem Hintergrund der Teilnahme der extremen Rechten an den Gedenkveranstaltungen, bei den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt auf großes Interesse stößt. Für uns war, ist und bleibt eindeutig, dass Geschichtsverfälschung und Nazi-Propaganda innerhalb des Gedenkens keinen Platz hat. „ (Ende des Auszugs). Dass es schließlich auch um die Frage ging, wie Gedenkveranstaltungen zukünftig gestaltet werden sollen, um Rechtsextreme dabei gar nicht erst zum Zuge kommen zu lassen, sei zwar angemerkt, aber schlüssige Antworten darauf gab es nicht. Dompfarrer Hentrich regte an, das Gedenken zukünftig in die Kirche zu verlagern, um es den Rechtsextremen zu entrücken. Ob dem aber Atheisten und Linke zustimmen würden, darf bezweifelt werden. Auch könnte eine solche Verlagerung ja auch leicht als Zurückweichen vor dem Druck der Rechtsextremen gewertet werden.

Als Teilnehmer dieser Podiumsdiskussion vermisste ich jedenfalls gegenüber der tatsächlichen oder vermeintlichen Geschichtsumdeutung durch die DDR-Machthaber und danach durch die rechtsextremen Vertreter eine Fixierung auf die historische bzw. objektive Wahrheit und schließlich eine klare Antwort auf den in der Ankündigung dieser Veranstaltung erwähnten Gradmesser zur Gegenwart. Und wenn der in den Vorgängen am Folgetag an der Stele vor dem Rathaus gesehen werden sollte, bleibt mir festzustellen, dass man lediglich mit aufgespannten Regenschirmen keine Rechtsextremen „abschirmen“ kann. Und schon gar nicht deren Interpretation der Bombardements auf Nordhausen oder gar deren Geschichtsbild beeinflussen. Das jedenfalls ist oder war kein geeigneter Beitrag, mit dem man eine Geschichtsverfälschung dieser Bombardements unter dem Gesichtspunkt von Ursache und Wirkung auch nur symbolisch zurechtrücken kann. Die effektivste Lösung wäre allerdings ein Verbot der NPD. Zu dem von Nordhausen aus nach den erlebten und/oder auch berichteten Vorgängen kaum etwas beigetragen werden kann.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen