Freitag, 7. November 2014

Was doch der Zeitgeist vermag

Die Gedenkveranstaltungen und Berichte anlässlich des Mauerfalls vor 25 Jahren und insbesondere der Themenbericht in der „Thüringer Allgemeine“ vom 3. November, nach dem es in der DDR keinen echten Journalismus gab, hat mein Erinnerungsvermögen an frühere Zeiten langsam wieder wach werden lassen. Und da wurde mir bewusst, dass es nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches auch unter meinen älteren Bekannten nicht wenige gab, die ja „schon immer“ dagegen waren. Gegen das Nazi-System nämlich. Manche, von ihnen allerdings „nur insgeheim“, die man zuvor als stramme Parteigenossen kannte. Und seit es die DDR nicht mehr gibt, habe ich nur wenige kennengelernt, die sich offen zu diesen untergegangenen System bekannten. Außer den Mitgliedern der früheren PDS und nunmehrigen Linkspartei. Ich habe Respekt vor ihnen. Einfach deshalb, weil sie sich in gutem Glauben zu etwas bekannten, von dem man offensichtlich heute noch immer nicht recht weiß, ob es ein Unrechtsstaat war oder nicht.


Und ein besonderes Bewenden hatte es ja wohl mit dem Journalismus in der DDR, wenn ich den erwähnten Bericht von Hanno Müller richtig verstanden habe. Nun lese ich gerade heute vor dem Hintergrund eines möglichen Linksbündnisses in Thüringen von der Forderung der SPD gegenüber der CDU, wonach diese endlich ihre Vergangenheit aufarbeiten solle („Spiegel“-online von gestern). Und ich frage mich schon, ob diese ganzen Diskussionen, die man doch vor Jahren schon mal hatte, neu aufbereitet werden?


Von denen der Journalismus zu DDR-Zeiten immer ausgenommen war. Und in der TA nun ein Bild gezeichnet wurde, nach dem die Journalisten in der DDR – von denen man doch damals ein Bekenntnis zum Sozialismus verlangte – nicht nur ein solches ablegten um als „kollektive Agitatoren und Propagandisten“ zu wirkten um erst mit der Wende ihre „wahre“ Aufgabe als „echte Lebenshelfer und Begleiter des Systemwandels“ wahr zu nehmen. Immerhin aber schließt Hanno Müller seinen Bericht mit einen Anflug von nüchternen Realismus (Auszug): „Wo die Selbsterkenntnis doch stattfindet, ist sie schmerzlich. So wie bei Alexander Osang, der nach der Wende schreibt: „Die Frage , was aus mir geworden wäre, wenn sich die Ereignisse nicht überschlagen hätten, macht mich ganz krank.“


Wer aber war schon so selbstkritisch? Doch, ich habe welche kennengelernt, die man freilich finden musste. Die meisten anderen drehten bestenfalls ihren Redaktionsstuhl um die eigene Achse und setzten sich wieder, mit neuer Orientierung. Und unbeschadet von ihrer Agitatoren- und Propagandisten-Vergangenheit („Was geht mich die Verdummung von Lesern und Zuhörern bis gestern an?“)(Hanno Müller: „Oftmals die gleichen Redakteure, die noch gestern Beiträge über die Feinde des DDR-Sozialismus redigier(t)en...“).


Aber ganz so war es ja wohl auch wieder nicht. Und ich erinnerte mich zum Beispiel an meine Besuche der Leipziger Messe in den sechziger Jahren, und dabei an Journalisten und Redakteure, die sich in Gesprächen und Vorträgen dialektisch und rhetorisch so beschlagen, versiert und von ihrer „Sendung“ so überzeugt gaben, dass ich mir als Zuhörer oder Gesprächspartner ziemlich hilflos vorkam. Mir kam die Erinnerung an 1964, als die Filmfabrik Wolfen ihre Agfa-Filme erstmals als Eigenmarke ORWO auf der Messe in Leipzig vorstellte. Die Journalisten aus dem Westen meinten, ihre Kollegen aus dem Osten zur Offenlegung der wirklichen Hintergründe bewegen zu können. Die nämlich gab es. Und resignierten schließlich vor der geschliffenen Rhetorik der Ost-Kollegen, die man zur Einführung aufgeboten hatte. Ich wäre heute noch enttäuscht, müsste ich nach dem TA-Bericht glauben, dass auch damals alles nur cleveres Geschwätz gewesen sein soll. Eher stünde ich ihnen zu, dass sie nicht nur von sich, sondern auch von dem überzeugt waren, was sie so geschliffen und scheinbar absolut überzeugend vortrugen.



Vielleicht aber ist auch das eine Generationenfrage? In den sechziger Jahren glaubte man (vielleicht) wirklich, den real existierenden Sozialismus weiter und aus Überzeugung aufbauen und gestalten zu können. Der TA-Bericht lässt jedenfalls erkennen, dass ein Wille dazu jedenfalls später nicht (mehr) vorhanden war. Und nur mehr als Job mit Überlebensbestreben verstanden wurde. Und inzwischen zu einem Job ohne tiefere gesellschaftspolitische Grundeinstellung wurde. „Die Wende der Journalisten“. Oder die „Wendejournalisten“? Der Zeitgeist wirkt weiter.

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