Kardinal Marx auf Berliner Symposium: Danke denen, die zum Fall
der Mauer beigetragen haben
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal
Reinhard Marx, hat heute den Einsatz der Kirchen beim Zusammenbruch
der DDR gewürdigt. Anlässlich eines von der Deutschen
Bischofskonferenz in Berlin veranstalteten Symposiums unter dem
Leitwort „25 Jahre Berliner Mauerfall. Beiträge der katholischen
Kirche in Deutschland. Eine Ermutigung zum Atmen mit beiden
Lungenflügeln“, sagte Kardinal Marx: „Die Kirchen in der DDR
waren gezwungen, in eigener Verantwortung ihren Weg zu gehen: Zu
keiner Zeit waren sie fremdbestimmt oder ferngelenkt aus der
Bundesrepublik. Vielmehr hat wohl gerade der repressive Charakter der
DDR-Kirchenpolitik dazu beigetragen, dass sich unter Protestanten wie
Katholiken knorrige Persönlichkeiten herausgebildet haben, die die
Position ihrer Kirchen gegenüber dem Staat behaupteten.“
Mit rund 300 Teilnehmern und Diskussionsteilnehmern aus dem
In- und Ausland lenkte das Symposium der Bischofskonferenz den Blick
auf den Mauerfall und den damit verbundenen europäischen Kontext.
Kardinal Marx hob hervor, dass zum Fall der Mauer, zum Sturz der
SED-Diktatur und damit auch zur Möglichkeit der Wiedervereinigung
verschiedene Kräfte beigetragen hätten. Dazu zählten neben der
desolaten Verfassung der Wirtschaft in der DDR, die autoritäre und
repressive Politik der Staatspartei, eine Staats- und
Gesellschaftsordnung, die keinen Respekt vor den Freiheitsrechten der
Bürger kannte und die fehlende demokratische Legitimation der
Regierung. „Es waren also viele Faktoren, die – mit dem
Rückenwind von Perestroika und Glasnost aus der Sowjetunion – den
9. November 1989 möglich gemacht haben. Aber nichts geschieht von
selbst. Geschichte ist nicht determiniert. Und das heißt: Es
bedurfte, um den geschichtlichen Umschwung herbeizuführen,
derjenigen, die sich konkret und aktiv für die Überwindung der
Mauer und eines Systems der Unfreiheit engagiert haben, Jenen Männern
und Frauen, die in der DDR als Oppositionelle und Dissidenten gewirkt
haben, muss deshalb heute besonderer Dank gesagt werden. Und auch all
jenen, die im revolutionären Herbst 1989 auf die Straße gegangen
sind. Sie haben Mut gebraucht, weil sie nicht wissen konnten, wie die
Führung auf die Proteste reagieren würde“, so Kardinal Marx.
In Deutschland sei es vor allem die evangelische Kirche
gewesen, „der große Verdienste für den gelungenen Wandel
zukommen. Zum einen, indem sie Schutzräume für die Opposition
eröffnet hat. Zum anderen, indem sie das mühsame Geschäft der
Moderation zwischen den Aufbegehrenden und der Staatsmacht auf sich
nahm. Und zum dritten, indem sie einen Geist des friedlichen Austrags
der Konflikte zu evozieren vermochte“, sagte Kardinal Marx. Er
fügte hinzu: „Man mag, wie stets nach Revolutionen, auch
Kritisches über das Verhalten mancher Kirchenleute in der Diktatur
sagen. Und es ist gut und wichtig, dass die Aufarbeitung nach dem
Untergang des Kommunismus auch die Rolle der Kirchen intensiv
beleuchtet hat. Aber das historische Verdienst an der friedlichen
Revolution vermag – so scheint mir – durch nichts infrage
gestellt zu werden, was im Nachhinein an problematischem Verhalten
und an Versagen zutage gefördert wurde.“ Der Vorsitzende der
Deutschen Bischofskonferenz würdigte die Rolle der katholischen
Kirche in Polen, die über eine „längere Zeitspanne als manifeste
Oppositionskraft in Erscheinung getreten ist. Um dies richtig
einzuordnen, darf aber nicht übersehen werden, dass die polnische
Kirche eine historisch verbürgte Verkörperung des nationalen
Willens nach Unabhängigkeit und Freiheit darstellte, wie es sie so
in anderen Ländern mit anderer Geschichte nicht geben konnte.“
Kardinal Marx hob hervor, dass es trotz der Teilung
Deutschlands immer eine lebendige Verbindung zwischen den Kirchen im
Westen und im Osten gegeben habe: „Der Eiserne Vorhang war nie so
undurchlässig, dass nicht doch irgendeine Art von Austausch, sei es
von materiellen Dingen, sei es in menschlicher, intellektueller und
geistlicher Art stattgefunden hätte.“ Der Untertitel des
Symposiums in Berlin, „Eine Ermutigung zum Atmen mit beiden
Lungenflügeln“, gehe auf ein Wort von Papst Johannes Paul II.
zurück, mit dem er deutlich machen wollte, „dass das neu vereinte
Europa lernen möge, mit beiden Lungenflügeln zu atmen. Damit ist
auf die großen Kulturräume der europäischen Zivilisation
angespielt, die gemeinsam Europa ausmachen: den Westen und den Osten,
die lateinisch geprägten Länder und die östlichen, vor allem durch
die Orthodoxie bestimmten Regionen. In diesem Wort des Papstes wird
die Differenzierung Europas wahrgenommen und zur Sprache gebracht.
Und zugleich wird der Zusammenhang der Kulturräume ins Wort gefasst.
Wie die Lungenflügel in einem gesunden Körper zusammenwirken, so
sollen – und dies ist ja zunächst einmal eine Hoffnung – der
Westen und die östlichen Traditionen in eine Interaktion treten“,
so Kardinal Marx. Dazu trage auch diese Veranstaltung in Berlin bei:
den Fall der Mauer in einem europäischen Kontext zu interpretieren
und mit den Gesprächspartnern aus dem Ausland eine gemeinsame Sicht
der historischen Ereignisse zu gewinnen.
Bei verschiedenen Diskussionseinheiten sprachen Zeitzeugen
von ihrer Erfahrung über den Mauerfall. Beim Forum „Der Fall der
Berliner Bauer und seine Folgen“ erinnerte der frühere Bischof von
Erfurt, Bischof Dr. Joachim Wanke, an die Hoffnungen der Menschen
nach dem Mauerfall. Der Botschafter der Republik Polen, Dr. Jerzy
Margański, zeigte die Konsequenzen des Mauerfalls in seiner
polnischen Heimat auf. Der Chef des Bundespräsidialamtes,
Staatssekretär David Gill, schilderte die friedliche Revolution aus
seiner eigenen Erfahrung, als er im Herbst 1989 zu den friedlichen
Demonstranten in Ostdeutschland gehörte. Die Zeit und
Herausforderungen nach dem Mauerfall erörterte Bischof Dr. Tomo
Vuksic, Militärbischof in Bosnien und Herzegowina.
Beim Forum „Das Ende des Kommunismus. Anfang von was?“ wurde
der Kommunismus als Ideologie und Herrschaftspraxis diskutiert: Was
hat der Kommunismus mit den Menschen gemacht, wie hat er ihre
Identitäten geformt und deformiert? Mit dem früheren Staatsminister
und Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Prof.
Dr. Hans-Joachim Meyer, diskutierten Prof. Dr. Myroslav Marynovych,
Vizerektor der Ukrainischen Katholischen Universität Lemberg, und
die Berliner Autorin und Regisseurin Freya Klier.
Das dritte Diskussionsforum „Mit beiden Lungenflügeln atmen.
Europäische Perspektiven 25 Jahre nach dem Mauerfall. Ecclesia in
Europa“ wurde von einer Diskussion zwischen Kardinal Marx,
Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble und Bischof Dr. Boris
Gudziak, Bischof der katholischen Ukrainer in Frankreich, geprägt.
Dabei ging es um Europa als politischen und geistigen Lebensraum nach
der Überwindung der Teilung des Kontinents: Ist die europäische
Integration die Antwort auf die überhitzte Nationalstaatlichkeit und
die Anfälligkeit der Völker für extreme Ideologien, wie sie für
das 20. Jahrhundert typisch waren? Welche Werte müssen, welches
Menschenbild muss in einem solchen Europa leitend sein, sodass auch
die bereits angesprochene kulturelle Differenzierung einen
angemessenen Rahmen finden kann?
Kardinal Marx bedauerte dabei, dass es zwischen den kulturellen
Großregionen in Europa noch immer eine große Unkenntnis
untereinander gebe: „Tatsächlich würden wir in Europa bestenfalls
nebeneinander herleben, wenn wir uns diese Traditionen und die ihnen
zugrunde liegenden Erfahrungen nicht gegenseitig verstehbar machten.
Es geht hier also nicht um etwas bloß Wünschenswertes, sondern um
eine grundlegende Bedingung des zukünftigen Zusammenlebens. Manche
Krise der letzten 25 Jahre dürfte dies deutlich gemacht haben“, so
Kardinal Marx. „Unsere Antwort auf diese Situation muss sein:
Wenden wir uns einander zu! Bemühen wir uns um eine Kultur des
Zuhörens anstatt der vorschnellen gegenseitigen Schuldzuweisungen!
Gegen die Erfahrung der Überwältigung durch politische und
ökonomische Prozesse gilt es, eine Praxis der Beteiligung und der
Solidarität zu setzen.“
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