Die
Feiern zum 25. Jahrestags des Mauerfalls streben ihrem Höhepunkt zu.
Und wenn es auch in der einen und anderen Hinsicht unterschiedliche
Sichtweisen über das Ende der DDR gibt, die in den Berichten zum
Ausdruck kommen, ist der allgemeine Tenor doch im wesentlichen
einheitlich.
Bis
auf eine Ausnahme: die Einschätzung des Auftritts des Liedermachers
Wolf Biermanns am
Freitag während einer Feierstunde des Parlaments zum 25. Jahrestag
des Mauerfalls im Deutschen Bundestag und seine
Äußerungen gegenüber der Fraktion der Linkspartei. Waren sie
formal zulässig, waren sie vorhersehbar, nötig, angemessen oder
einfach die Abrechnung eines verbitterten alten Mannes mit den
vermeintlichen oder wirklichen Nachfolgern des SED-Regimes?
Die
Berichte und Kommentare dazu lassen erkennen, dass man die
Vergangenheit dieser 40 Jahre DDR noch lange nicht aufgearbeitet hat.
Und einige Politiker sahen scheinbar sogar in Biermanns Attacke eine
willkommene Gelegenheit, ihrer Aversion gegen die Linkspartei freien
Lauf zu lassen.
Zum
Auftritt Wolf Biermanns las ich zum Beispiel in der „Frankfurter
Rundschau (Auszug am 07.11.): „Bundestagspräsident Norbert Lammert
hat klare Vorstellungen, wenn es um den Bundestag geht. Respektvollen
Umgang miteinander wünscht er sich dort angeblich, bessere Reden und
mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Bei der Feierstunde zum 25.
Jubiläum des Mauerfalls hat er den Respekt nun der öffentlichen
Aufmerksamkeit geopfert. Aus der Erinnerung an ein freudiges Ereignis
wurde eine Krawallsitzung, ein Spektakel. Aus der Feier der Einheit
ein Dokument von Unversöhnlichkeit und Trennung.“ (Ende des
Auszugs).
Die
„Thüringische Landeszeitung“ schrieb gestern (Auszug): „Doch
Biermanns Auftritt ließ den Respekt vor dem Hohen Haus vermissen.
Indem er die Linke-Parlamentarier attackierte - mithin eine aus
freien und demokratischen Wahlen
hervorgegangenen
Fraktion -, griff er auch deren Wählerschaft an, die sich
bekanntlich vor allem aus Ostdeutschen rekrutiert. Ob das das
richtige Signal war - ausgerechnet zum Jahrestag des Mauerfalls?“
(Ende des Auszugs).
Soweit
zum Auftritt des Liedermachers selbst, dem man (ich) sicher
beistimmen kann. Kontrovers aber das Echo auf seine Äußerungen:
Als
einen "peinlichen Auftritt, der sich selbst kommentiert"
hat der ehemalige Vorsitzende der Linkspartei, Oskar Lafontaine, den
Auftritt des Liedermachers Wolf Biermann bezeichnet. Im „Bremer
Weserkurier“ ist heute u.a. zu lesen (Auzug), die heutige Linke
habe "mit der SED so viel zu tun wie die CDU
mit
der früheren Blockpartei Ost-CDU, die sie ja ganz übernommen hat".
Die von Bundespräsident Joachim Gauck losgetretene Diskussion über
die Regierungsfähigkeit der Linken bezeichnete Lafontaine, jetzt
Linken-Fraktionschef im Saarland, als "völlig
rückwärtsgewandt". Lafontaine wörtlich: "Ich finde es im
Sinne der deutschen Einheit gut, dass mit Angela Merkel eine
ehemalige FDJ-Sekretärin für Propaganda und Agitation heute
Bundeskanzlerin ist. 25 Jahre nach dem Fall der Mauer sollten wir
nicht mit falschen Argumenten und Unterstellungen rückwärts
gewandte Diskussionen führen, sondern den Blick nach vorne
richten.(Ende des Auszugs)
Ganz
anders dagegen Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU): in der
„WELT“ äußert sie am 07.11.(Auszug): „Nach
Auffassung von Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) hat der
Liedermacher Wolf Biermann bei seinem scharfen Angriff auf die
Linkspartei noch untertrieben. "Ich habe spontan geklatscht, als
Biermann das gesagt hat. Es ist aber leider anders und schlimmer",
sagte Wanka der "Welt am Sonntag". "25 Jahre nach der
Friedlichen Revolution können die SED-Nachfolger wieder ein ganzes
Bundesland führen. Die Linkspartei ist mehr als der elende Rest der
DDR-Staatspartei. Sie ist nicht geschlagen. Ich finde das
traurig."(Ende des Auszugs).
Auch
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hat für die
jüngsten Angriffe des Liedermachers Wolf Biermann auf die Linke
Verständnis gezeigt. In der „Mitteldeutschen Zeitung“ ist
darüber zu lesen (Auszug vom 08.11.14) „Wolf Biermann hat für
meine Generation eine wichtige Rolle gespielt. Deshalb bin ich
dankbar, dass ich diesen historischen Moment erleben durfte."
Haseloff fügte hinzu: "Biermann ist eine mutige und
verdienstvolle Persönlichkeit, der man Ecken und Kanten zugestehen
muss." (Ende des Auszugs).
Sei
noch die „Berliner Morgenpost“ erwähnt, in der Joachim
Stoltenberg am 07.11. schrieb (Auszug): „Die
wohl bedachte Konfrontation sorgte dafür, dass bei aller freudigen
Feierei die Opfer jenes Regimes nicht vergessen werden, dessen Ende
vor einem Vierteljahrhundert besiegelt wurde und dessen Erben heute
weiter ein politischer Faktor im Lande sind. Dass
sich Biermann nicht mit einem Sangesauftritt begnügen und die Gunst
der Stunde auch zu einer Philippika gegenüber den politischen
Kindern und Enkeln der SED nutzen würde, konnte
niemanden überraschen. Über die eine oder andere Formulierung mag
man streiten. Nötig und wohltuend waren sie angesichts des Unrechts
in der DDR, die sich demokratisch wähnte, allemal.“ (Ende des
Auszugs).
Und
noch einmal die „Frankfurter Rundschau“ (Auszug): „Liedermacher
Wolf Biermann war zum Singen geladen. Er wollte sich dann das Reden
nicht verbieten lassen, redete dann aber nicht, sondern geiferte.
Seine Beschimpfungsarie gegen die Linkspartei war zwar ganz
aggressiver Biermann-Ton und also wenig überraschend. Aber
„Drachenbrut“ und „elender Rest“ – das ist, auch wenn sich
Biermann damit selbst zitiert, nicht mehr nur Kritik, sondern
diffamierend. Es ist auch nicht entschuldbar mit Bitterkeit und
Schmerz angesichts der eigenen Biografie. Man muss die Linkspartei
nicht bemitleiden, sie hat um die Angriffe geradezu gebeten.
Bedauerlich ist die Angelegenheit aber für ein Parlament, dessen
Präsident offenbar nichts Besseres zu tun hat, als bei einer
Feierstunde einer der Fraktionen eins auswischen zu wollen.“ (Ende
des Auszugs).
Auszüge
dieser Art könnte ich fast beliebig fortsetzen, mit denen ich aber
auch eingestehen müsste, keine eigene Meinung zu haben. Außer, dass
Äußerungen wie die Biermanns nicht in den Bundestag gehören. Und
wenn sie angeblich schon nicht überraschten, könnte auch die
Vermutung nahe liegen, dass Bundestagspräsident Lammers zumindest
damit rechnete. Doch schon das wäre Spekulation.
Keine
Spekulation dagegen ist das, was Bundesinnenminister Thomas de
Maizière (CDU) angesichts des Mauerfalljubiläums in einem Interview
in der „Rheinischen Post sagte (Auszug): „Wir sollten im
Gedenkjahr darüber nachdenken: Welches Volk sind wir eigentlich und
welches Volk wollen wir in 25 Jahren sein? Wollen wir dann immer noch
über Ost und West diskutieren?" (Ende des Auszugs). Dem stimme
ich mit meiner ganz unmaßgeblichen Meinung gern zu. Auch wenn ich es
nicht mehr erleben werde.
De
Maizière will am kommenden Dienstag dazu gemeinsam mit der
Bundeszentrale für politische Aufklärung eine Veranstaltungsreihe
starten. Der Innenminister verwies auch darauf, dass es 25 Jahre nach
dem Mauerfall vor allem
eine Debatte in Deutschland "über unsere Rolle in der Welt"
gebe. Und das scheint auch nach den Vorwürfen, die der frühere
sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow gerade gegen
den Westen erhob, dringend geboten.
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