Sonntag, 9. November 2014

Überlegungen zu Wolf Biermann im Bundestag

Die Feiern zum 25. Jahrestags des Mauerfalls streben ihrem Höhepunkt zu. Und wenn es auch in der einen und anderen Hinsicht unterschiedliche Sichtweisen über das Ende der DDR gibt, die in den Berichten zum Ausdruck kommen, ist der allgemeine Tenor doch im wesentlichen einheitlich.


Bis auf eine Ausnahme: die Einschätzung des Auftritts des Liedermachers Wolf Biermanns am Freitag während einer Feierstunde des Parlaments zum 25. Jahrestag des Mauerfalls im Deutschen Bundestag und seine Äußerungen gegenüber der Fraktion der Linkspartei. Waren sie formal zulässig, waren sie vorhersehbar, nötig, angemessen oder einfach die Abrechnung eines verbitterten alten Mannes mit den vermeintlichen oder wirklichen Nachfolgern des SED-Regimes?


Die Berichte und Kommentare dazu lassen erkennen, dass man die Vergangenheit dieser 40 Jahre DDR noch lange nicht aufgearbeitet hat. Und einige Politiker sahen scheinbar sogar in Biermanns Attacke eine willkommene Gelegenheit, ihrer Aversion gegen die Linkspartei freien Lauf zu lassen.


Zum Auftritt Wolf Biermanns las ich zum Beispiel in der „Frankfurter Rundschau (Auszug am 07.11.): „Bundestagspräsident Norbert Lammert hat klare Vorstellungen, wenn es um den Bundestag geht. Respektvollen Umgang miteinander wünscht er sich dort angeblich, bessere Reden und mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Bei der Feierstunde zum 25. Jubiläum des Mauerfalls hat er den Respekt nun der öffentlichen Aufmerksamkeit geopfert. Aus der Erinnerung an ein freudiges Ereignis wurde eine Krawallsitzung, ein Spektakel. Aus der Feier der Einheit ein Dokument von Unversöhnlichkeit und Trennung.“ (Ende des Auszugs).


Die „Thüringische Landeszeitung“ schrieb gestern (Auszug): „Doch Biermanns Auftritt ließ den Respekt vor dem Hohen Haus vermissen. Indem er die Linke-Parlamentarier attackierte - mithin eine aus freien und demokratischen Wahlen hervorgegangenen Fraktion -, griff er auch deren Wählerschaft an, die sich bekanntlich vor allem aus Ostdeutschen rekrutiert. Ob das das richtige Signal war - ausgerechnet zum Jahrestag des Mauerfalls?“ (Ende des Auszugs).


Soweit zum Auftritt des Liedermachers selbst, dem man (ich) sicher beistimmen kann. Kontrovers aber das Echo auf seine Äußerungen:


Als einen "peinlichen Auftritt, der sich selbst kommentiert" hat der ehemalige Vorsitzende der Linkspartei, Oskar Lafontaine, den Auftritt des Liedermachers Wolf Biermann bezeichnet. Im „Bremer Weserkurier“ ist heute u.a. zu lesen (Auzug), die heutige Linke habe "mit der SED so viel zu tun wie die CDU mit der früheren Blockpartei Ost-CDU, die sie ja ganz übernommen hat". Die von Bundespräsident Joachim Gauck losgetretene Diskussion über die Regierungsfähigkeit der Linken bezeichnete Lafontaine, jetzt Linken-Fraktionschef im Saarland, als "völlig rückwärtsgewandt". Lafontaine wörtlich: "Ich finde es im Sinne der deutschen Einheit gut, dass mit Angela Merkel eine ehemalige FDJ-Sekretärin für Propaganda und Agitation heute Bundeskanzlerin ist. 25 Jahre nach dem Fall der Mauer sollten wir nicht mit falschen Argumenten und Unterstellungen rückwärts gewandte Diskussionen führen, sondern den Blick nach vorne richten.(Ende des Auszugs)


Ganz anders dagegen Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU): in der „WELT“ äußert sie am 07.11.(Auszug): „Nach Auffassung von Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) hat der Liedermacher Wolf Biermann bei seinem scharfen Angriff auf die Linkspartei noch untertrieben. "Ich habe spontan geklatscht, als Biermann das gesagt hat. Es ist aber leider anders und schlimmer", sagte Wanka der "Welt am Sonntag". "25 Jahre nach der Friedlichen Revolution können die SED-Nachfolger wieder ein ganzes Bundesland führen. Die Linkspartei ist mehr als der elende Rest der DDR-Staatspartei. Sie ist nicht geschlagen. Ich finde das traurig."(Ende des Auszugs).


Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hat für die jüngsten Angriffe des Liedermachers Wolf Biermann auf die Linke Verständnis gezeigt. In der „Mitteldeutschen Zeitung“ ist darüber zu lesen (Auszug vom 08.11.14) „Wolf Biermann hat für meine Generation eine wichtige Rolle gespielt. Deshalb bin ich dankbar, dass ich diesen historischen Moment erleben durfte." Haseloff fügte hinzu: "Biermann ist eine mutige und verdienstvolle Persönlichkeit, der man Ecken und Kanten zugestehen muss." (Ende des Auszugs).
Sei noch die „Berliner Morgenpost“ erwähnt, in der Joachim Stoltenberg am 07.11. schrieb (Auszug): „Die wohl bedachte Konfrontation sorgte dafür, dass bei aller freudigen Feierei die Opfer jenes Regimes nicht vergessen werden, dessen Ende vor einem Vierteljahrhundert besiegelt wurde und dessen Erben heute weiter ein politischer Faktor im Lande sind. Dass sich Biermann nicht mit einem Sangesauftritt begnügen und die Gunst der Stunde auch zu einer Philippika gegenüber den politischen Kindern und Enkeln der SED nutzen würde, konnte niemanden überraschen. Über die eine oder andere Formulierung mag man streiten. Nötig und wohltuend waren sie angesichts des Unrechts in der DDR, die sich demokratisch wähnte, allemal.“ (Ende des Auszugs).
Und noch einmal die „Frankfurter Rundschau“ (Auszug): „Liedermacher Wolf Biermann war zum Singen geladen. Er wollte sich dann das Reden nicht verbieten lassen, redete dann aber nicht, sondern geiferte. Seine Beschimpfungsarie gegen die Linkspartei war zwar ganz aggressiver Biermann-Ton und also wenig überraschend. Aber „Drachenbrut“ und „elender Rest“ – das ist, auch wenn sich Biermann damit selbst zitiert, nicht mehr nur Kritik, sondern diffamierend. Es ist auch nicht entschuldbar mit Bitterkeit und Schmerz angesichts der eigenen Biografie. Man muss die Linkspartei nicht bemitleiden, sie hat um die Angriffe geradezu gebeten. Bedauerlich ist die Angelegenheit aber für ein Parlament, dessen Präsident offenbar nichts Besseres zu tun hat, als bei einer Feierstunde einer der Fraktionen eins auswischen zu wollen.“ (Ende des Auszugs).
Auszüge dieser Art könnte ich fast beliebig fortsetzen, mit denen ich aber auch eingestehen müsste, keine eigene Meinung zu haben. Außer, dass Äußerungen wie die Biermanns nicht in den Bundestag gehören. Und wenn sie angeblich schon nicht überraschten, könnte auch die Vermutung nahe liegen, dass Bundestagspräsident Lammers zumindest damit rechnete. Doch schon das wäre Spekulation.
Keine Spekulation dagegen ist das, was Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) angesichts des Mauerfalljubiläums in einem Interview in der „Rheinischen Post sagte (Auszug): „Wir sollten im Gedenkjahr darüber nachdenken: Welches Volk sind wir eigentlich und welches Volk wollen wir in 25 Jahren sein? Wollen wir dann immer noch über Ost und West diskutieren?" (Ende des Auszugs). Dem stimme ich mit meiner ganz unmaßgeblichen Meinung gern zu. Auch wenn ich es nicht mehr erleben werde.

De Maizière will am kommenden Dienstag dazu gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Aufklärung eine Veranstaltungsreihe starten. Der Innenminister verwies auch darauf, dass es 25 Jahre nach dem Mauerfall vor allem eine Debatte in Deutschland "über unsere Rolle in der Welt" gebe. Und das scheint auch nach den Vorwürfen, die der frühere sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow gerade gegen den Westen erhob, dringend geboten.

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