Samstag, 3. Dezember 2016

Maischberger-Talk: Weiß man jetzt, warum „Lügenpresse?“

Nach einer Studie glauben landläufig sechs von zehn Deutschen, dass Politik und Wirtschaft die Medien lenken würden. Vor allem wegen der Berichterstattung über die Flüchtlingskrise werden deutsche Medien vermehrt als „Lügenpresse“ beschimpft. Begründet das aber diesen Vorwurf?
Die Vorwürfe artikulierten sich konkret mit der „Pegida“- Bewegung und verbreiten sich seitdem beständig . Über Ursachen und Berechtigung diskutierte am Mittwoch die Talkerin Sandra Maischberger mit Uli Wickert, dem früheren „Mister Tagesthemen“, dem Blogger Sascha Lobo, dem Pegida-Anhänger Joachim Radke und schließlich mit der CDU-Politikerin und Publizistin Vera Lengsfeld. Und quasi als Regulator mit Medienwissenschaftler Gerhard Vowe. Einfach verlief die Diskussion nicht, was wohl auch daran lag, dass die bisherigen Talshow-Verläufe – Angehörige oder Sympathisanten der AFD einzuladen um sich dann auf sie „einzuschießen“ statt sich mit ihnen sachlich auseinander zu setzen – diesmal völlig daneben ging: der mehrmals als Berliner Busfahrer herausgestellte Joachim Radtke erwies sich als versierter und rhetorisch cleverer Diskusionspartner, der alle gegen ihn als AFD-Anhänger gerichtete Angriffe – vor allem die des Bloggers Sascha Lobo – gekonnt abwehrte und seinerseits gegenüber Lobo stichelte: „Vielleicht sollten sie mal bemerken, dass sie permanent versuchen, sich intellektuell zu überhöhen.“ (Eine Bemerkung, die man von einem Busfahrer sicher nicht erwartet hatte.) Nachdem sich Radtke also als zu clever erwies, schoss man sich thematisch auf die ehemalige Bürgerrechtlerin, Bundestagsabgeordnete und nunmehrige Bloggerin Vera Lengsfeld ein. Mit beträchtlich größerem Erfolg: Lengsfeld musste Schwachstellen und nicht beweisbare Behauptungen in ihren Blogger-Publikationen einräumen und versuchte, diese in der Diskusion zu relativieren.
Ohne weiter oder gar näher auf den Verlauf dieser Talkshow einzugehen sei festgestellt, dass sie zur „Lügenpresse“ keine neuen Erkenntnisse oder Aufschlüsse brachte.
In diesem Zusammenhang fand ich eine Rede des Bundespräsidenten Joachim Gauck interessant, die er am Donnerstag bei einem Festakt zum 60-jährigen Bestehen des Deutschen Presserats in Berlin hielt. Als zugestanden etwas aus dem Zusammenhang gerissenen Auszug führte der Bundespräsident aus: „Natürlich machen auch Medien Fehler, und Kritik sei erwünscht, sagte Gauck. Doch wer behaupte, fehlerhafte Berichterstattung sei nicht die Ausnahme, sondern die Regel, dem gehe es um die Bestätigung seiner Überzeugung, dass überall nur gelogen und betrogen werde. „Und die maßlose Wut, ja der Hass auf die Medien, sie erschrecken uns.“
Und er argumentierte: „Umso wichtiger ist es, dass Journalisten sich ernstzunehmender Kritik stellen. „Mir scheint, auch in Deutschland waren und sind Journalisten nicht immer davor gefeit, nur in eine Richtung zu schauen statt in alle möglichen“, sagte der Bundespräsident. Nur mit Verstand und Scharfsinn, Offenheit und Vorurteilslosigkeit könnten sich die seriösen Medien ein Überleben gegen die Konkurrenz „digitaler Stammtische“ sichern.“ (Ende der Auszüge aus „Meedia“)
Dem kann ich und kann man sicher zustimmen. Zustimmen kann ich aber auch insoweit dem, wie Meedia tags darauf seinen Wochenrückblick einleitete: „Die Medien führen das Unwort von der „Lügenpresse“ mittlerweile häufiger im Mund als die „Lügenpresse“-Rufer.“ (Ende des Zitats). Dann aber kann ich vermuten, dass die Medien inzwischen deshalb häufiger die „Lügenpresse“ im Mund führen, um sich geflissentlicher rechtfertigen oder aber bemitleiden zu können. Um dadurch ernsthafter öffentlicher Kritik zu entgehen. Die Selbstgefälligkeit der Journalisten (Dunja Hajali ist für mich lediglich ein Beispiel dafür)steht da offenbar der Selbsteinsicht entgegen. Und vielfach reagieren Journalisten auf sachliche Kritik in sehr persönlicher Weise, was scheinbar einfacher ist als eine sachliche Entgegnung.
Ich denke angesichts dieser ganzen „Lügenpresse“-Problematik, dass mit dieser Floskel etwas ganz anderes ausgedrückt werden soll: dass sich nämlich die Medien und die Journalistik inzwischen sehr weit schon von ihrer ursprünglichen und eigentlichen Aufgabe entfernt hat, nämlich zu recherchieren und danach Fakten anzubieten. Stattdessen verbindet man reale Vorgänge mit Kommentaren, mit denen man Spekulationen, Annahmen und Vermutungen verbreitet. Und damit Meinungsmache betreibt. Die Präsidentenwahl in den USA mit seinem Trump-Ergebnis ist nur ein, aber recht blamables, Beispiel. Mich jedenfalls wundert es nicht, wenn bei dieser Tendenz der Verdacht (und Vorwurf) aufkommt, die Presse sei von der Politik und Wirtschaft gesteuert. Was aber bedeutet es, wenn Fakten nicht mehr zählen? Wenn (auch deshalb) Menschen Twitter und Facebook zu ihrer Nachrichten-Welt machen? Überlegungen zum Wahljahr 2017 kommen da auf und machen besorgt. Talkshows wie der eingangs erwähnte Maischberger-Talk helfen da sicher nicht.


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