Freitag, 30. Dezember 2011

Zuhause in der Rentnerrepublik

Folge ich den Berichten über die demografische Entwicklung, könnte oder müsste es besser heißen: ...in der Altenrepublik. Zu früheren Zeiten stimmten beide Begriffe nahezu überein: der Mensch arbeitete unter normalen Umständen bis zum 65 Lebensjahr, hatte im Jahr acht Tage Urlaub und ging schließlich in Rente, in aller Regel körperlich so verbraucht, dass das Rentnerdasein nicht mehr allzu lange währte. Die Generation von vor-vorgestern erarbeitete sich aber auch die Rente überwiegend durch mehr oder weniger schwere körperliche Arbeit. Frührentner kannte man nach Aussteuerung durch die Krankenkassen wegen anhaltender gesundheitlicher Probleme. Zu denen aber kaum Probleme psychischer Art gehörten. Die mag es zwar unterschwellig gegeben haben, aber zur vorzeitiger Rente dürften sie in den seltensten Fällen geführt haben. Heutzutage werde allein die gesetzliche Krankenversicherung mit direkten Kosten in Höhe von rund 17 Milliarden Euro durch arbeitsbedingte Erkrankungen belastet. Die dramatische Zunahme psychischer Erkrankungen sei nicht zuletzt auf zunehmenden Zeitdruck, Stress und schlechte Arbeitsbedingungen, insbesondere in prekären Jobs, zurückzuführen, konstatierte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Die Arbeitsbedingungen scheinen also im Laufe der Zeit eher schlechter geworden zu sein, will man nicht annehmen, dass die Arbeitnehmer sensibler und anfälliger für derartige Erkrankungen geworden sind.

Und nun berichten die Medien, Deutschland sei auf dem Weg zur Frührentnerrepublik. Nicht etwa, weil die psychischen Belastungen weiter gestiegen wären, und sich Deutschland auf dem Weg zur Republik psychisch kranker Menschen befindet. Viele Frührentner entscheiden sich im Alter einfach für mehr Zeit mit den Partner, weil sie es sich schlicht leisten können. Das Häuschen sei abgezahlt, zur gesetzlichen Rente kommt noch eine Lebensversicherung oder eine betriebliche Versorgung. Und es gibt ja auch die Möglichkeit, nebenher etwas dazuzuverdienen, was immer mehr Rentner nutzen.Dass viele Menschen die Frührente mit Abschlägen von im Durchschnitt 113 Euro in Anspruch nehmen, zeigtvorgeblich: Das Modell einer starren Altersgrenze ist überholt. Die Zukunft gehört dem gleitenden Übergang, die individuelle Kombination von Arbeit und Ruhestand über Teilrenten, gerade in einer Gesellschaft die immer älter wird. Arbeit und Alter, das passt sehr wohl zusammen.

Das liest sich zunächst einmal recht schön und weckt den Eindruck, hier handele es sich um eine heile Welt, in der tatsächlich alles zusammenpasst. Und lediglich die Altersgrenze müsste flexibler gehandhabt werden. Ist das aber so? Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hat die vorgesehene Rente mit 67 als „unverzichtbar“ bezeichnet. Sie sei ein wichtiger Baustein, „um die Rentenversicherung zukunftsfest zu machen“, sagte der Chef der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) Die Anhebung des Rentenalters sei für die Menschen auch zumutbar.

Noch im August berichteten die Medien, dass immer mehr Rentner in Deutschland für ihren Lebensunterhalt noch arbeiten oder die staatliche Grundsicherung beantragen müssen. Nach Zahlen des Bundesarbeitsministeriums waren im vergangenen Jahr etwa 660.000 Menschen im Alter zwischen 65 und 74 Jahren einer geringfügigen Beschäftigung oder einem Minijob nachgegangen. Im Jahr 2000 seien es noch 416.000 gewesen. Das Ministerium warnte allerdings vor einer Fehlinterpretation dieser Zahlen. Das mag auch so sein, nur ist es auch für einen ernstlich interessierten Betrachter dieses Problemkomplexes kaum möglich, nach den Berichten in den Medien zu einem allgemeingültigen Bild der Situation zu kommen. Dazu trägt auch bei, dass nach einem aktuellen Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ jeder vierte Beschäftigte, der arbeitslos wird, sofort in Hartz IV. rutscht. Es ist leicht abzusehen, wie sich dieser Verlauf auf die spätere Rente der Betroffenen auswirkt.Und das umso mehr, als das „Handelsblatt“ gerade heute unter Berufung auf die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, dass in Deutschland mehr als 100.000 ältere Menschen bei der Bundesagentur für Arbeit registriert sind, ohne in der Arbeitslosenstatistik mitgezählt zu werden. Das hat das Bundesarbeitsministerium in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen bestätigt.
Hintergrund ist dem Bericht zufolge eine Sonderregelung, die 2008 noch von der großen Koalition eingeführt wurde: Wer mindestens 58 Jahre alt ist und wenigstens zwölf Monate Hartz IV bezieht, ohne ein Jobangebot bekommen zu haben, gilt nicht als arbeitslos. Nach Angaben des Arbeitsministeriums waren dies im November 2011 knapp 105.000 Menschen und damit 16 Prozent mehr als im Vorjahr - so viele wie nie zuvor. Die Grünen werfen der Bundesregierung deshalb vor, bei den Arbeitslosenzahlen vor der Einführung der Rente mit 67 zu tricksen. Deren Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer forderte eine „ehrliche Arbeitslosenstatistik, die nicht länger die Probleme verschleiert“. Ältere Arbeitslose dürften nicht aus dem Blick geraten, nur weil sie nicht in der Statistik seien, sagte sie der Zeitung. Es ist leicht abzusehen, dass die spätere Rente dieser Menschen direkt in die Altersarmut führt.
Das Bild, das sich unter Berücksichtigung der hier sehr unvollständig erwähnten Berichte der Medien zu dem Komplex der Lebenssituation der Menschen im Rentenalter ergibt, ist schillernd und eher verwirrend. Weilja auch jede Institution, Partei und Einrichtung dieses Bild nach ihren Interessen gestaltet. Die heile Welt aber, die sich nach den Berichten über eine Frührentnerrepublik aufdrängt, die gibt es jedenfalls nicht.

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