Über die Liebe in der Familie“ der deutschen Synodenteilnehmer 2015, Kardinal Reinhard Marx,
Erzbischof Dr. Heiner Koch und Bischof Dr. Franz-Josef Bode,
anlässlich der Veröffentlichung am 8. April 2016
Papst Franziskus hat heute das Nachsynodale Schreiben „Amoris
Laetitia – Über die Liebe in der Familie“ veröffentlicht. Es
ist ein wirkliches Geschenk für die Eheleute, die Familien und alle
Gläubigen in der Kirche. Wir freuen uns sehr darüber.
Der Text bündelt einen gesamtkirchlichen Reflexionsprozess zu Ehe
und Familie, der mit der Einberufung einer Außerordentlichen
Generalversammlung der Bischofssynode im Herbst 2014 begonnen hatte.
Diese Versammlung, der erstmals eine Befragung der Katholiken
weltweit vorangegangen war, diente der Vorbereitung einer
Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode, ein Jahr später,
im Herbst 2015. Nochmals wurden hierzu die Gläubigen um ihre
Stellungnahmen gebeten, die in die Vorbereitung einer lebhaften
Diskussion der Synodenväter einflossen. Papst Franziskus war während
dieses gesamten Diskursprozesses in erster Linie ein „hörender
Papst“, ließ jedoch von Beginn an keinen Zweifel daran, dass es
seinem Dienst an der Einheit der Kirche entsprechen werde, die vielen
Stimmen schließlich zusammen- und weiterzuführen. Mit seinem
Nachsynodalen Schreiben „Amoris Laetitia“ hat er nun die Erträge
des synodalen Weges gesammelt, die Aspekte abgewogen und
weiterentwickelt. Er hat sie in das Gesamt der Lehre der Kirche
eingefügt und zugleich den Gläubigen in gut verständlicher Weise
zugänglich gemacht. Der dabei entstandene Text ist in erster Linie
eine herzliche, gleichermaßen tiefgehende wie lebenspraktische
Einladung zur Lebensform von Ehe und Familie, die ihre Inspiration
aus den Quellen des christlichen Glaubens erfährt.
Der Text beginnt, nach einigen wegweisenden Vorbemerkungen, mit
Ausführungen zu den biblischen, alt- wie neutestamentlichen
Grundlagen (1. Kapitel: „Im Licht des Wortes“). Es folgen
zentrale Aspekte zur gegenwärtigen Situation von Ehe und Familie (2.
Kapitel: „Die Wirklichkeit und die Herausforderungen der Familie“)
sowie Ausführungen zur Theologie von Ehe und Familie (3. Kapitel
„Auf Jesus schauen – Die Berufung der Familie“). Gewissermaßen
das Herzstück des gesamten Textes stellen die beiden folgenden
Kapitel dar, die in einer Auslegung des „Hohenliedes der Liebe“
des Apostels Paulus (1 Kor 13,4–7) spirituell-katechetische
Aspekte für das Leben in der Ehe (4. Kapitel: „Die Liebe in
der Ehe“) und in der Familie (5. Kapitel: „Die Liebe, die
fruchtbar wird“) darlegen. Dem folgen Hinweise für die Seelsorge
der Kirche (6. Kapitel: „Einige pastorale Perspektiven“) und
Ausführungen zur Erziehung in der Familie (7. Kapitel: „Die
Erziehung der Kinder stärken“). In einem eigenen Kapitel geht
Papst Franziskus auf den Umgang der Kirche mit den Ehen und Familien
ein, die nicht oder nur zum Teil mit der kirchlichen Lehre
übereinstimmen (8. Kapitel: „Die Zerbrechlichkeit begleiten,
unterscheiden und eingliedern“), bevor er noch einmal explizit die
spirituelle Dimension des Lebens in Ehe und Familie thematisiert (9.
Kapitel: „Spiritualität in Ehe und Familie“). Das Schreiben
endet mit einem Gebet zur Heiligen Familie.
Insgesamt geht es Papst Franziskus spürbar darum, in positiver
und ermutigender Weise Wertoptionen, Möglichkeiten und Perspektiven
für das Leben in Ehe und Familie zu eröffnen. „Als Christen
dürfen wir nicht darauf verzichten, uns zugunsten der Ehe zu
äußern“, so der Papst. „Wir würden der Welt Werte
vorenthalten, die wir beisteuern können und müssen. … Uns kommt
ein verantwortungsvollerer und großherzigerer Einsatz zu, der darin
besteht, die Gründe und die Motivationen aufzuzeigen, sich für die
Ehe und die Familie zu entscheiden, so dass die Menschen eher bereit
sind, auf die Gnade zu antworten, die Gott ihnen anbietet.“ (Nr.
35) Dabei verliert der Papst keineswegs einen realistischen Blick auf
die Lebenswirklichkeiten und erliegt nicht der Gefahr, die Ehe zu
überhöhen. „Man sollte nicht“, sagt Franziskus mit Verweis auf
den heiligen Papst Johannes Paul II., „zwei begrenzten Menschen die
gewaltige Last aufladen, in vollkommener Weise die Vereinigung
nachzubilden, die zwischen Christus und seiner Kirche besteht, denn
die Ehe als Zeichen beinhaltet einen ,dynamischen Prozess von Stufe
zu Stufe entsprechend der fortschreitenden Hereinnahme der Gaben
Gottes‘.“ (Nr. 122) Vielmehr rät er den Familien, „mit
Realismus die Grenzen, die Herausforderungen oder die
Unvollkommenheit zu akzeptieren und auf den Ruf zu hören, gemeinsam
zu wachsen“ (Nr. 135).
Der Text schöpft sowohl aus den beiden Synodenversammlungen wie
auch aus biblischen Quellen sowie aus den Aussagen des päpstlichen
Lehramts und hier insbesondere aus den Reflexionen des heiligen
Papstes Johannes Paul II. Neben zahlreichen anderen Autoren, die
Papst Franziskus zitiert, ist es immer wieder Thomas von Aquin, der
zu Wort kommt. Dies unterstreicht die Ausrichtung, die sich deutlich
stärker an tugend-ethischen und insbesondere auf die Klugheit
bezogenen Linien orientiert als an einer Ethik der normativen
Verbote. So traut der Papst dem Menschen und besonders den Ehepaaren
etwas zu, was nicht zuletzt auch an der mehrfachen Hervorhebung des
individuellen Gewissens deutlich wird: „Aufgrund der Erkenntnis,
welches Gewicht die konkreten Bedingtheiten haben, können wir
ergänzend sagen, dass das Gewissen der Menschen besser in den Umgang
der Kirche mit manchen Situationen einbezogen werden muss ...“ (Nr.
303) „Wir sind berufen, die Gewissen zu bilden, nicht aber dazu,
den Anspruch zu erheben, sie zu ersetzen.“ (Nr. 37)
Der Duktus des Schreibens ist den Menschen zugewandt. Dazu gehört
auch eine ausnehmend positive Würdigung der menschlichen Sexualität
und der Erotik: „Wir dürfen also die erotische Dimension der Liebe
keineswegs als ein geduldetes Übel oder als eine Last verstehen, die
zum Wohl der Familie toleriert werden muss, sondern müssen sie als
Geschenk Gottes betrachten, das die Begegnung der Eheleute
verschönert.“ (Nr. 152)
Im Blick auf die Art und Weise der kirchlichen Verkündigung mahnt
der Papst eine „heilsame Selbstkritik“ (Nr. 36) an, da man
anerkennen müsse, „dass unsere Weise, die christlichen
Überzeugungen zu vermitteln, und die Art, die Menschen zu behandeln,
manchmal dazu beigetragen haben, das zu provozieren, was wir heute
beklagen“ (Nr. 36). Gefordert werden dagegen Unterstützung und
Hilfe für die Ehepaare und Familien: „Wer kümmert sich heute
darum, die Ehen zu stärken, ihnen bei der Überwindung der Gefahren
zu helfen, die sie bedrohen, sie in ihrer Erziehungsrolle zu
begleiten und zur Beständigkeit der ehelichen Einheit zu
motivieren?“ (Nr. 52) Hier sieht der Papst eine zentrale Aufgabe
der Kirche und ihrer Pastoral, von der er vor allem das „Bemühen“
fordert, „die Ehen zu festigen und so den Brüchen zuvorzukommen“
(Nr. 307). Dabei betont er zugleich, „dass die christlichen
Familien durch die Gnade des Ehesakraments die hauptsächlichen
Subjekte der Familienpastoral sind …“ (Nr. 108). Der Papst macht
deutlich, dass nicht nur die Eheleute und Familien von der
Unterstützung durch die Gemeinschaft der Kirche profitieren, sondern
dass diese Beziehung auch umgekehrt gilt: „Die in den Familien
gelebte Liebe ist eine ständige Kraft für die Kirche.“ (Nr. 88)
Beachtlich ist die Vielzahl der Aspekte, die in diesem Schreiben
aufgegriffen werden und die den Text zu einem umfassenden Zeugnis der
Lehre von Papst Franziskus machen. Dies wird nicht zuletzt daran
deutlich, dass der Papst in hohem Maß auch auf die bisherigen
Ansprachen, Texte und Dokumente seines Pontifikats Bezug nimmt. Dabei
knüpft er immer wieder am Zentrum des christlichen Glaubens an, denn
„das Geheimnis der christlichen Familie kann man nur im Licht der
unendlichen Liebe des himmlischen Vaters ganz verstehen, die sich in
Christus offenbarte …“ (Nr. 59).
Im achten Kapitel geht das Schreiben schließlich auch auf die
Gläubigen ein, die in – wie der Papst bewusst sagt –,
sogenannten „irregulären“ Situationen leben, die dem kirchlichen
Leitbild von Ehe und Familie nicht oder nur teilweise entsprechen,
also Gläubige, die ohne Trauschein oder in einer Zivilehe
zusammenleben und auch die zivil geschiedenen und wiederverheirateten
Katholiken. Hier sind dem Papst zwei pastorale Prinzipien wichtig.
Zum einen hebt er die „Logik der Integration“ hervor, die
niemanden aus der kirchlichen Gemeinschaft ausschließt: „Niemand
darf auf ewig verurteilt werden, denn das ist nicht die Logik des
Evangeliums!“ (Nr. 297) Zum anderen fordert er die Seelsorger auf,
die konkreten Situationen, in denen die Gläubigen leben, genau zu
unterscheiden. Es ist gerade die Vielfalt und Komplexität der
Situationen, die es verbietet, eine generelle Regel undifferenziert
anzuwenden. Damit wird die Bedeutung allgemeiner sittlicher und
kirchenrechtlicher Normen keineswegs gering geschätzt. Aber der
Papst erinnert an eine grundlegende Einsicht des Thomas von Aquin,
dass eine allgemeine Norm unmöglich alle besonderen Situationen
umfassen kann. Insbesondere gilt es, zwischen einer Situation, die
objektiv nicht den Anforderungen des Evangeliums entspricht, und der
Schuldhaftigkeit der betreffenden Person genau zu unterscheiden.
„Daher ist es nicht mehr möglich zu behaupten, dass alle, die in
irgendeiner sogenannten ‚irregulären‘ Situation leben, sich in
einem Zustand der Todsünde befinden und die heiligmachende Gnade
verloren haben.“ (Nr. 301)
Diese prinzipielle Einsicht hat weitreichende Konsequenzen für
den pastoralen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Es reicht
eben nicht für ein Urteil einfach festzustellen, dass eine zweite
zivile Verbindung im Widerspruch zur ersten, sakramentalen Ehe und
damit im Widerspruch zur objektiven Norm steht. Es ist vielmehr
notwendig, in jedem einzelnen Fall die besondere Lebenssituation der
Betroffenen zu betrachten. Angesichts dieser Überlegungen ist es nur
konsequent, dass der Papst keine generelle Regelung zur Zulassung von
wiederverheirateten Geschiedenen zur sakramentalen Kommunion gibt.
Nur im Blick auf die jeweilige Lebensgeschichte und Realität lässt
sich gemeinsam mit den betroffenen Personen klären, ob und wie in
ihrer Situation Schuld vorliegt, die einem Empfang der Eucharistie
entgegensteht. Dabei ist die Frage einer Zulassung zu den Sakramenten
der Versöhnung und der Kommunion immer im Kontext der Biographie
eines Menschen und seiner Bemühungen um ein christliches Leben zu
beantworten. Auf beide zuletzt genannten Aspekte weist der Papst
explizit hin (vgl. Fußnoten 336 und 351).
Das Nachsynodale Schreiben ist reich an Anregungen für die
pastorale Praxis; es bietet zudem auch eine wichtige Vertiefung der
kirchlichen Lehre über Ehe und Familie. Nicht zuletzt sind nun wir
Bischöfe, aber auch unsere Priester und die Theologen gefragt, die
vielfältigen Einsichten und Akzentsetzungen moraltheologisch und
pastoraltheologisch zu durchdringen und in der Verkündigung und
Pastoral wirksam werden zu lassen: „Es wird dann Aufgabe der
verschiedenen Gemeinschaften sein, stärker praxisorientierte und
wirkungsvolle Vorschläge zu erarbeiten, die sowohl die Lehre der
Kirche als auch die Bedürfnisse und Herausforderungen vor Ort
berücksichtigen.“ (Nr. 199)
Für die Eheleute und die Familien ist das Schreiben ein
außerordentlich hilfreiches Orientierungsangebot und ein reicher
Schatz an Impulsen für das konkrete Leben. Gerade die einfachen und
griffig formulierten katechetischen Hinweise des Papstes eignen sich,
um sie mit ins alltägliche Leben zu nehmen. So etwa, wenn Papst
Franziskus sein eigenes, schon bekanntes Diktum wiederholt: „In der
Familie ist es nötig …, drei Worte zu gebrauchen … Drei Worte:
,darf ich?‘, ,danke‘ und ,entschuldige‘.“ (Nr. 133) Oder
aber, wenn er den Familien mit auf den Weg gibt: „Die Familie muss
immer der Ort sein, von dem jemand, der etwas Gutes im Leben erreicht
hat, weiß, dass man es dort mit ihm feiern wird.“ (Nr. 110)
Wir sind Papst Franziskus für das Nachsynodale Schreiben „Amoris
Laetitia“ überaus dankbar. Es weist einen Weg der Kirche, an dem
wir auch als Bischofskonferenz arbeiten werden. Wir werden uns in den
kommenden Monaten bemühen, die Anregungen und Impulse umzusetzen und
für die pastorale Arbeit in Deutschland anzuwenden. Das Schreiben
des Papstes ist eine Ermutigung zum Leben und zur Liebe! Wir bitten
besonders die Priester, im Geist dieses Textes auf die Menschen
zuzugehen, auf die, die sich auf dem Weg zur Ehe befinden, auf die
Eheleute, aber auch auf die, deren eheliche Beziehungen missglückt
sind und die sich oft von der Kirche alleingelassen vorkommen. Der
Tenor dieses Schreibens ist: Niemand darf ausgeschlossen werden von
der Barmherzigkeit Gottes.
Kardinal Reinhard Marx
Erzbischof Dr. Heiner Koch
Bischof Dr. Franz-Josef Bode
Mitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz am 08. April 2016
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