Samstag, 16. April 2016

Lehrmeister Deutschland?

Zunächst einige Bemerkungen in eigener Sache: mein Blog gleicht seit geraumer Zeit mehr einem Mitteilungskanal statt einem solchen mit persönlichen Einträgen. Die Ursache dafür sind nach wie vor die Anästhesie-Nachwirkungen meiner jüngsten Auszeit. Ich bin insoweit sehr froh über den derzeit in Leipzig stattfindenden Anästhesiecongress, der sich insbesondere auch mit „Klarheit nach OP und Kommunkation“ befasste. Dem Thema war zu entnehmen, dass sich Anästhesie-Nachwirkungen auch im fortgeschrittenem Alter des Patienten allmählich verflüchtigen. Tröstlich für mich. Es braucht halt seine Zeit.

Nun gibt es ja gerade derzeit im Lande Ereignisse und Vorgänge, die einem ambitionierten Beobachter einen tunlichst klaren Kopf und Verstand abverlangen. Oder ist im Zweifel doch alles Satire? Noch vor wenigen Wochen redete niemand von einen Jan Böhmermann, inzwischen ist zumindest sein Name der bekannteste in Deutschland, wohl auch in der Türkei und auch sonst in vielen Ländern. Ging es bei und von ihm zunächst um Satire gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, die schon die Frage aufkommen ließ, wo deren Grenze liegt (siehe meinen Eintrag vom 31. März: „Im Zweifel einfach immer Satire“), geht es inzwischen um ein Schmähgedicht, mit dem Böhmermann bewusst den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan beleidigte. Was sich daraus entwickelte ist inzwischen ein ausgewachsener politischer Konflikt, die Medien berichteten ja überaus ausführlich und auch teilweise kontrovers.

Es geht dabei neben Satire nach dem Verständnis dessen, der sich ihrer bedient um unbegrenzte Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland. Die meines Erachtens zur Narrenfreiheit tendiert. Von Verantwortung all derer, die sie für sich in Anspruch nehmen, lese und höre ich nämlich so gut wie nichts.

Bis dahin ist das meines Erachtens noch eine auf Deutschland begrenzte Problematik, sogar auf bürgernahes Niveau zugeschnitten, die Kommentare lassen es erkennen. Dass man sich dann aber in Politik und den Medien aufschwingt, die Berechtigung jenes Schmähgedichts gegen Erdogan mit den Verhältnissen in der Türkei in Verbindung zu bringen und sogar dessen sehr persönlichen Inhalt verteidigt, halte ich für selbstherrlich und überheblich. Da glaubt sich ein arroganter Satiriker aufgerufen, den türkischen Präsidenten mit einen Schmähgedicht aus der untersten Schublade attackieren zu dürfen und Politiker und Medien halten das durch die Presse- und Meinungsfreiheit gedeckt oder gar begrüßenswert. Und weil es dagegen einen § 103 STGB gibt, soll der abgeschafft werden. Damit dergleichen zukünftig auch gegenüber anderen missliebigen Staatsoberhäuptern möglich wird. (Russlands Präsident Putin soll sich schon mal auf ähnliches vorbereiten). Warum fällt mir da wohl ein Lied aus früheren Zeiten ein, das in etwas abgewandelter Form lautet: „...und heute da hört uns Deutschland, und morgen die ganze Welt“? Will man also heute auf denkbar zweifelhafte satirische Weise zum Lehrmeister autokratischer Staatsmänner in ihren Ländern werden?

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