Freitag, 9. Oktober 2015

Jeder mag seine eigenen Erinnerungen und Vorstellungen haben

Die Feiern zum „Silberjubiläum“ der Wiedervereinigung haben sich weitgehend verflüchtigt, der Alltag ist zurück und macht wieder uneingeschränkt der seit Monaten dominierenden Flüchtlingsproblematik Platz. Die ja noch nicht einmal der Bundespräsident in seiner Festansprache in der Alten Oper in Frankfurt ausklammerte. Die „Verjüngung“ der deutschen Gesellschaft durchzieht also alle Bereiche des öffentlichen Geschehens und wird das auch die nächsten Monate und Jahre tun.

Ich nahm das aktuelle Ereignis des „Silberjubiläums“ der Wiedervereinigung - durchsetzt mit der Flüchtlingsproblematik - als interessierter Bürger so zur Kenntnis wie es durch Politik und die Berichterstattung der Medien geboten wurde. Wobei mir der Begriff „Silberjubiläum“ bewusst werden ließ, dass ich mit der 25. Wiederkehr der Wiedervereinigung auch 25 Jahre älter geworden bin. Dass aber mein Erleben und meine Erinnerungen sehr viel weiter zurückreichen als dieses Vierteljahrhundert. Und diese Erinnerungen wurden mir ins Gedächtnis gerufen nach der Übertragung des Festaktes mit dem Bundespräsidenten in Frankfurt durch den Thementag von ZDF info. Dieser Thementag war im wesentlichen dem „Countdown zum Untergang“ gewidmet, also der Geschichte Hitler-Deutschlands mit seinem Aufstieg, dem Zweiten Weltkrieg, seinen Verbrechen und seinem schließlichen Zusammenbruch. Und das in einer Ausführlichkeit und – soweit ich das beurteilen kann – in einer Authentizität, die mich mit meinen Erinnerungen an diese Zeit doch nicht ganz so beschämt werden ließ, wie das durch manche andere Darstellungen oder „Dokumentationen“ bisher bewirkt wurde Schließlich wollte ich ja 1945 als damaliger Hitlerjunge noch mit Großdeutschland retten. Was ich dann durch sowjetische Gefangenschaft und eine schwere Lungen-Tbc bezahlen musste. Gerade dadurch aber wohl sogar mein Leben retten konnte, weil das der Grund meiner Entlassung und einer ersten Krankenhausbehandlung war.

Ich will und werde hier ganz gewiss nicht meine Erinnerungen öffentlich machen, wie das ja heutzutage vielfach in Mode gekommen ist. In der ARD läuft gerade die Themenwoche „Heimat“ und Viele folgen der Anregung – etwa im Morgenmagazin – um zu erzählen, was sie unter diesem Begriff verstehen. Und das ist nur ein Beispiel zum Thema „Mitteilungsbedürfnis“ der Leute. Immerhin aber war und ist für mich Hitlerdeutschland, Vertreibung (aus dem Sudentenland), Irrungen und Wirrungen im zerbombten Nachkriegsdeutschland und seiner allmählichen menschlichen, gesellschafts(politischen), urbanen und wirtschaftlichen Konsolidierung Thema. Mit gelegentlichen Krankenhaus- und Kuraufenthalten zwischendurch. Ich habe also immerhin Vorstellungen, wenn es um Unterdrückung, Massenunterbringung,Verfolgung, „Umsiedlung“ (meiner Angehörigen) und deren „Wieder-“Findung geht. Damit kann und soll es dann hier sein Bewenden haben.

Aktuell allerdings geht es nach der Talkshow der Moderatorin Anne Will mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch nicht nur um „Verjüngung der Gesellschaft in Deutschland durch den Flüchtlingsandrang junger Menschen nach Deutschland“, es geht um die Gesamtproblematik des Flüchtlingszustroms nach Deutschland. Inzwischen sind Hunderttausende in Deutschland an- und irgendwie untergekommen, die Problematik richtet sich also mit dem weiteren Zustrom auf Leben, Verhalten und Zukunft der Flüchtlinge in Deutschland. Und weil man dabei auf die Berichterstattung der Medien angewiesen ist, wieder einmal auf deren Glaubwürdigkeit. Ich lese also neben der Verjüngung der Gesellschaft vom Abbau des Fachkräftemangels durch die Flüchtlinge, sogar von einer zu erwartenden Sonderkonjunktur durch Flüchtlinge („Rheinische Post“ vom 07.10.) und einiges mehr. Und zwischendurch von vereinzelten Gewaltausbrüchen und sexuellen Straftaten in Aufnahmeeinrichtungen. Dabei beklagen die Spitzen der Polizeigewerkschaft, dass solche Vorgänge verharmlost oder ganz verschwiegen werden. Was also ist Fakt, was wird verharmlost oder gar verschwiegen? Machen auch die Medien Politik?

Ich denke, die Absichten der bayerischen CSU zur Eindämmung des Flüchtlingsstroms an der österreichischen Grenze sind ein ernstes Zeichen für die Grenzen der Aufnahmefähigkeit von Flüchtlingen. Und ich erinnere mich an entsprechende Passagen des Redetextes der Ansprache des Bundespräsidenten Joachim Gauck anlässlich des Festaktes zum Start der 40. bundesweiten Interkulturellen Woche in Mainz, die von den Kirchen getragen wird. Gauck rief zu einem von Vernunft und Mitgefühl geleiteten Umgang mit dem Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland auf (Zitat): „Wir wollen helfen. Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten sind endlich" (Ende des Zitats) Das Asylrecht sei nicht nach Zahlen zu bemessen, aber "unsere Aufnahmekapazität ist begrenzt, auch wenn noch nicht ausgehandelt ist, wo diese Grenzen liegen." Die Politik müsse darauf achten, dass die Kernaufgaben eines staatlichen Gemeinwesens weiter erfüllt werden. Dazu gehörten etwa der Schutz der Außengrenzen und die Aufrechterhaltung des inneren Friedens. "Sie sind die Voraussetzung dafür, überhaupt Flüchtlinge in großer Zahl aufnehmen zu können", sagte Gauck. Nötig seien Analysen und eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, wie eine humane Aufnahmepolitik auch in Zukunft gesichert werden könne.

Dem kann man, denke ich, nur zustimmen. Dazu aber hilft kein stoisches „Wir schaffen das“ und ebenso wenig Parolen bei Pegida-Demonstrationen. Dazu braucht es ruhiger Überlegung der Politik und dem Bemühen um Konsens mit den Bürgern. An dem es meines Erachtens doch weitgehend fehlt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen