Wer
sich mit Weltwirtschaft befasst weiß, dass Chinas Industrie
im Januar den zweiten Monat in Folge geschrumpft ist. Der am Montag
veröffentlichte endgültige Einkaufsmanagerindex der Großbank HSBC
und des Markit-Instituts (PMI) wies für Januar 49,7 Punkte aus -
nach 49,6 im Dezember. Das mag als Vorspann genügen, um nachfolgend
ein Buch vorzustellen, in dem der Autor, Prof. Herrmann-Pillath
erklärt, wie China seinen Wirtschaftsstil gefunden hat und wie der
Westen damit zurechtkommen kann
Prof. Dr. Carsten
Herrmann-Pillath analysiert in seinem neuen Buch „Wachstum, Macht
und Ordnung“ die Wirtschaftsordnung Chinas und kommt zu dem
Schluss: Der Westen kann sich auf mindestens zwei bis drei Jahrzehnte
einstellen, in denen China keine fundamentalen institutionellen
Verwerfungen mehr erfahren wird und dadurch ein stabiler und
verlässlicher Handelspartner sein wird. Das war nicht immer so: „In
der Mao-Zeit hatte China viele Dinge wie Gerichte und
Finanzverwaltung abgeschafft, weil sie angeblich westlich-bürgerlich
waren. Das hat sich in den frühen 90er Jahren gerächt, weil der
Staat keine Steuern mehr einnahm und fast pleite war“, erklärt
Herrmann-Pillath im historischen Rückblick die Voraussetzungen.
„Dann gab es eine Steuerreform, die gut funktionierte. Die Zentrale
in Peking hatte nun wieder Geld, aber die lokalen
Gebietskörperschaften, vergleichbar mit Ländern und Gemeinden in
Deutschland, bekamen von dem warmen Regen nichts ab.“ Das war der
gewollte oder ungewollte Startschuss für die massenhafte
Privatisierung der vielen lokalen Staatsfirmen. „Es wird viel
darüber spekuliert, ob das strategisch geplant war. Aber der Effekt
ist eindeutig: Die Städte und Länder, um die deutschen Begriffe zu
wählen, mussten die vorher mit hohen Subventionen am Leben
gehaltenen Firmen verkaufen. Die Not wurde von der Zentrale in die
Fläche umverteilt und löste so das chinesische Wirtschaftswunder
aus.“ Daraus entstand das heutige Nebeneinander von nationaler
Staatswirtschaft und regionaler Marktwirtschaft, die oft als
‚Staatskapitalismus‘ bezeichnet wird.
Eine weitere Besonderheit in
China liegt in der schieren Größe: Dort gibt es viele
Bürgermeister, die einen Einzugsbereich mit 20 bis 30 Millionen
Menschen regieren. Zur Einordnung: Länder wie Portugal, Griechenland
oder Dänemark haben je rund zehn Millionen Einwohner. „Die Städte
in China wachsen mit einer Geschwindigkeit, die wir uns hier gar
nicht vorstellen können. Und trotzdem ist diese Urbanisierung für
die nächsten 20, 30 Jahre eine feste planbare Größe, die das
Wachstum in China treiben wird. Eben weil das Land so groß ist, so
viele Reserven hat“, sagt Herrmann-Pillath voraus. Und diese
Dynamik entspricht so gar nicht dem westlichen Bild von einem
Kommunistischen Staat, der alles plant und ordnet. „Viele Kommunen
in China können ihren Haushalt zurzeit nur dadurch sichern, dass sie
immer mehr Ackerfläche zu Bau- oder Gewerbegebieten umwidmen.
Aufsichtsrechtliche Beschränkungen sind schwach, das ist alles nicht
so geordnet, wie gerade wir Deutschen das angeblich so lieben.“ Und
in diesem Prozess der Urbanisierung entstehen dann auch neue
Probleme: Da werden auch schon mal Bauern übervorteilt, die dann mit
Gewalt und Unruhen dagegen protestieren und es in westliche Medien
schaffen. Da gibt es wie überall, wo große Bausummen bewegt werden,
Korruption. Das war in Deutschland beim Wiederaufbau nicht anders.
„Aber unser Bild von einem Kommunistischen System ist eben nicht
eines, das mit solchen Improvisationen in Einklang zu bringen ist“,
beschreibt Herrmann-Pillath in seinem Buch die Irritationen im
Westen. „Vielleicht kann man das mit der Zeit der
Industrialisierung vor der Jahrhundertwende in Deutschland
vergleichen: Viele Menschen wandern zu, um Arbeit zu finden, aber die
Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer waren völlig
ungeregelt. Hier haben sie sich in vielen Arbeitskämpfen gebildet.
In China steht dieser Prozess noch aus, wird aber bei dem anhaltend
hohen Wachstum sicher keine Instabilität bringen“, ist sich
Herrmann-Pillath sicher.
Prof. Dr. Carsten
Herrmann-Pillath steht kurz vor der Wieder-Berufung zum Professor an
der Universität Witten/Herdecke, an der er von 1996 bis 2008 bereits
einen Lehrstuhl für Evolutionsökonomik und Institutionentheorie
Inne hatte. Er ist Volkswirt und Sinologe und befasst sich seit 30
Jahren mit der Erforschung der Wirtschaft Chinas. Er ist Fellow am
Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der
Universität Erfurt.
Außerdem ist er seit dem 24.
Dezember 2014 der erste europäische ‚Distinguished Visiting
Professor‘ am neu gegründeten Schwarzman College der
Tsinghua-Universität in Peking. Der Chef des weltweit größten
Investors Blackstone gründete hier mit einer 300 Mio. Dollar-Spende
eine einzigartige Studienmöglichkeit für 200 Stipendiaten.
http://schwarzmanscholars.org/
Carsten Herrmann-Pillath:
Wachstum, Macht und Ordnung
Eine wirtschaftsphilosophische
Auseinandersetzung mit China
2015, Metropolis, 586 Seiten, ISBN
978-3-7316-1108-0
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