Das ist stets die
Leidensgeschichte Jesu, wie sie im Matthäus-Evangelium (Kapitel 26)
erzählt wird. Seit meiner Zeit als Ministrant in jungen Jahren
begleitet mich diese Leidensgeschichte im Vorfeld des Osterfestes als
Zeit der Besinnung und geistigen Einkehr. Und als ich am gestrigen
Palmsonntag vor dem Bildschirm den festlichen Gottesdienst aus der
Stiftskirche Klosterneuburg miterlebte, war das quasi die Fortsetzung
im liturgischen Sinne, was ich am Abend zuvor in der Nordhäuser
Kirche St. Blasii musikalisch erlebte: die Matthäuspassion. In
einer
Aufführung, wie ich sie ergreifender und eindrucksvoller nicht
erleben konnte. Am Schluss umarmten sich die beiden Dirigenten, die
Kantore Michael Kremzow (Kantorei Nordhausen) und Oliver Stechbart
(Kreiskantor Mühlhausen). Womit offenkundig wurde, dass sich bei
ihnen damit eine Spannung löste, die sie begleitet haben mag über
die Dauer der Aufführung. Und Genugtuung erkennen ließ über die
ausgezeichneten Leistungen, zu denen sie die Mitwirkenden geführt
hatten. Eine Spannung übrigens, die sich mir in ihrer Entstehung
schon mitteilte, als ich knapp vor Beginn an den vor der Kirchentür versammelten Mitwirkenden vorbei, die Kirche betrat.
Und während ich mich dann auf den
beginnenden Ablauf konzentrierte, ließ ich mir einmal mehr bewusst
werden, dass es sich bei dieser Matthäuspassion um das Werk eines
der größten Musiker seiner Zeit handelt. Dabei hatte es Johann
Sebastian Bach seiner Zeit mit seinen Kompositionen wirklich nicht
leicht, öffentliche Akzeptanz und Anerkennung zu finden. Die
Uraufführung der Matthäuspassion, die am 11. April 1727 in der
Leipziger
Thomaskirche stattfand, muss wohl ein recht zurückhaltendes
Echo gefunden haben. Weil es, wie berichtet wird, vom Leipziger
Magistrat und auch vielen Besuchern dieser Uraufführung und anderen
seiner Kompositionen damals als zu modern und unpassend für die
Kirche erachtet wurde. Man kürzte ihm als Thomaskantor und
Musikdirektor das Gehalt und untersagte ihm teilweise weitere
Aufführungen.
Beirren ließ sich Bach dadurch nicht,
es war ihm Anliegen, mit seiner Musik den Menschen den Weg zu Gott zu
weisen. „Bey einer andächtigen
Musique ist allzeit Gott mit seiner
Gnaden Gegenwart“, ist mir ein Satz von ihm aus einer Publikation
erinnerlich. Trotzdem geriet er nahezu in Vergessenheit, bis ihn 100
Jahre später Felix Mendelssohn-Bartholdy mit der erneuten Aufführung
der Matthäuspassion aus dieser Vergessenheit holte. Die unter
zwischenzeitlich offener gewordenen Einschätzungen seiner Musik,
danach geradezu eine Bach-Renaissance bewirkte, die bis heute anhält.
Und noch eine persönliche Bemerkung
erlaube
ich mir: dominiert wird diese Matthäuspassion neben einigen
Passionschorälen und Dichtungen von dem Kirchenlied „Oh Haupt voll
Blut und Wunden...“, (ursächlich von Pfarrer Paul Gerhard), das
sich mir eben schon als Ministrant ganz allgemein ins Gedächtnis
einprägte. Als Beginn der Karwoche. War es damals der Textbeginn
dieses Liedes, ist es heute mehr dessen Ausklang, der gestern auch
vom Chor eindringlich besungen wurde: „Wenn ich einmal soll
scheiden, so scheide nicht von mir...“ womit ich in diesem Werk
auch für mich ein ganz persönliches Anliegen erkenne.
Doch nun zur Aufführung selbst, deren
Verlauf ich ja auch nur mit meiner eher bescheidenen Rhetorik
beschreiben kann, angesichts der gesanglich und instrumental
vorgetragenen Virtuosität und Eindringlichkeit der Mitwirkenden. Und
das waren (der Reihenfolge des Ablaufes angenähert)), der Kinderchor
der Ev. Grundschule Nordhausen mit dem Kinderchor an St. Blasii, die
Nordhäuser Kantorei, der Bachchor Mühlhausen, das Weimarer
Barockensemble. Und als Solisten Stephan H. Scherpe (Tenor und
Recitator), Barbara-
Christina Steude (Sopran), Viola Kremzow (Alt),
Stephan Heinemann und Gotthold Schwarz (Bassisten). Unter den bereits
erwähnten Dirigenten Michael Kermzow und Oliver Stechbart, die sich
die Leitung teilten: den ersten Teil dirigierte Michael Kremzow
(während Oliver Stechbart den Kinderchor leitete), während
letzterer den zweiten Teil des Werkes dirigierte.
Und das auf absolut überzeugende
Weise, die sich entsprechend auf Chöre, Solisten, Orchester und
schließlich auch stimmungsmäßig
auf die Zuhörer übertrug. Und
damit auch erkennen ließ, mit welcher Sorgfalt sie zuvor das Werk
mit den Mitwirkenden einstudiert hatten. Es harmonierte einfach
alles. In einer Weise, die in seiner Gesamtheit überzeugte, die von
Emotionalität erfüllt war und deren einzelne Parts – ob
gesangliche oder instrumentale Solisten – ob Kinderchor, Bachchor
oder Kantorei, sich so nahtlos an- und ineinander fügten, dass
dieses Werk in seiner Darbietung einfach großartig, eindrucksvoll
und nachhaltig wirkte. Es wäre an sich sogar mir möglich, einzelne
Solis hervorzuheben - etwa und vor allem dem des Rezitators - aber auch den FlötistInnen, Geiger, der Cellistin und natürlich den GesangsolistInnen - nur verschmoz ja alles zu einer Gesamtleistung, in der jeder einzelne der Mitwirkenden Lob verdiente.
Eine Reminiszenz? Die eingangs erwähnte
Spannung schien sich allmählich auch instrumentell auszuwirken: einem
Geiger riss urplötzlich eine Saite seines Instruments. (Bild) Das
wäre an sich noch nicht bemerkenswert.
Wohl aber die unmittelbare
kollegiale Hilfe seines Nachbarn (ersten Geiger?), der sofort und
unauffällig aushalf und Abhilfe schaffte.
Das Lob schließlich wurde allen
Akteuren (stellvertretend den Leitern) auch in vielfältiger Form
zuteil. Die Aufführung endete mit einem kurzen besinnlich wirkenden
Glockengeläut. Man hätte es dabei belassen und auf händischen
Applaus verzichten können.
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