In einer gemeinsamen Pressekonferenz haben heute
die Landeselternvertretung (LEV), die Landesschülervertretung (LSV), der
Thüringer Lehrerverband (tlv) und die Gewerkschaft Erziehung und
Wissenschaft (GEW) Thüringen vor den aktuellen wie zukünftigen Folgen
des Lehrer*innenmangels gewarnt und folgende gemeinsam erarbeitete
Erklärung vorgetragen und erläutert:
Thüringer Schulen vor dem Kollaps
Erfurt,
29.03.2017 - Die Landeselternvertretung (LEV), die
Landesschülervertretung (LSV), der Thüringer Lehrerverband (tlv) und
die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Thüringen fordern die
Landesregierung auf, die Anstrengungen zur Absicherung des Unterrichts
an den staatlichen Thüringer Schulen deutlich zu verstärken. Wir
fordern ein Thüringer Sofortprogramm zur Absicherung des Unterrichts:
1. Es
sind unmittelbar 2.500 Lehrerinnen und Lehrer in den Schuldienst
einzustellen, um die bisher aufgerissenen Lücken zu schließen.
2. Jede frei werdende Lehrerstelle ist zwingend sofort zu besetzen.
3. Die Landesregierung erlässt ein sofortiges Moratorium des Stellenabbaupfads.
4. Zur
Entwicklung hin zu echten Ganztagsschulen fordern wir die Abschaffung
der prekären 50%-Stellen für Erzieherinnen und Erzieher (dies entspricht
mindestens weitere 300 VZB).
5. Schulsozialarbeit ist personell abzusichern und als Landesaufgabe im Schulgesetz zu verankern.
Statistisch
gesehen fielen Ende letzten Jahres 3,5 Prozent aller Unterrichtsstunden
an den Thüringer Schulen aus. Nicht erfasst wurden in diesem Wert
fachfremde Vertretung, die Kürzung der Stundentafel, Stillarbeit oder
die Erteilung von Hausaufgaben. Die Lage ist jedoch weitaus
dramatischer, als die Zahl es vermuten lässt: Ganze Unterrichtsfächer
werden nicht mehr erteilt, Zeugnisse enthalten statt Zensuren die
entsprechenden Vermerke. Ursache hierfür ist der gravierende Mangel an
Lehrerinnen und Lehrern in allen Schularten, vor allem aber im Grund-
und Regelschulbereich. Hinzu kommt die gewachsene Altersstruktur in der
Lehrerschaft. Die Folgen sind offensichtlich: Ausfall, Mehrbelastung
durch Vertretung, Krankheit und innere Kündigung bei einem
Lehrerpersonal, das sich zunehmend vom Land allein gelassen fühlt.
Nicht
alle Kinder und Jugendliche bekommen im gemeinsamen Unterricht die
Unterstützung, die sie brauchen. Es nehmen Schülerinnen und Schüler mit
manifester Behinderung teil, ohne je Kontakt zu einer
sonderpädagogischen Fachkraft gehabt zu haben. Alle Beteiligten am
gemeinsamen Unterricht werden damit vor extreme Herausforderungen
gestellt, die letztlich zum Scheitern von Inklusion führen werden.
Auch
der Zustand der Schulhorte ist nach der Rückführung in
Landesverantwortung als äußerst unbefriedigend zu beschreiben.
Offensichtlich ist eine deutlich zu geringe Anzahl an Beschäftigten in
den Schulhorten in überwiegend prekären Beschäftigungsverhältnissen mit
der Aufgabe betraut, sowohl die Vor- als auch Nachmittagsbetreuung, die
Begleitung zum Schwimmunterricht und in immer mehr Einzelfällen auch die
Absicherung des Unterrichts an den Grundschulen zu gewährleisten. Schülerinnen
und Schüler fürchten um ihre Abschlüsse, Eltern um die beruflichen
Entwicklungschancen ihrer Kinder, Ausbildungsbetriebe um die
Ausbildungsfähigkeit der Lehrlinge und Hochschulen um die
Basisqualifikationen ihrer Studenten.
Wir befürchten den Kollaps des Thüringer Bildungssystems!
Der
besorgniserregende Zustand in den Klassenräumen ist nicht über Nacht
eingetreten, sondern hat sich über Jahre entwickelt. Zu lange galt und
gilt das Primat des Haushalts über das pädagogisch Vernünftige und wir
müssen uns voller Sorge die Frage stellen, ob Thüringen Bildungsstandort
bleiben oder zu einem Beschulungsstandort degenerieren soll.
Von
den etwa 18.000 Lehrkräften an den allgemeinbildenden Thüringer Schulen
wird in den kommenden fünf Jahren rund ein Viertel wegen Alters
ausscheiden. Demgegenüber ersetzen die vom Land avisierten
Neueinstellungen noch nicht einmal die Altersabgänge. Auch die von der
Landesregierung kürzlich verkündeten Einstellungszahlen für die Jahre
2018 und 2019 werden an dieser Tatsache nichts ändern, so sie sich
überhaupt realisieren lassen. Die Landesregierung hält am einmal
beschlossenen Stellenabbaupfad fest, sie streckt lediglich den Zeitraum.
Völlig außer Betracht bleiben die bereits
verwirklichten Stellenkürzungen, die uns erst in die Krise geführt
haben. Der heutige Zustand mit all seinen negativen Folgen würde damit
nicht beseitigt, sondern lediglich zementiert werden.
Es
reicht bei Weitem nicht aus, die Lösung in einer Diskussion über
Schulstrukturen zu finden, denn diese wird viel zu spät aufgenommen. Bis
diese Diskussion beendet ist, die notwendigen Schritte eingeleitet
wurden, mit allen Beteiligten Lösungen gefunden sind und solcherart
Maßnahmen umgesetzt werden können, wird noch sehr viel Zeit
verstreichen. Zu viel Zeit! Wir fordern alle Schülerinnen und Schüler auf: Werdet kreativ gegen Unterrichtsausfall!
Wir planen zum 1. Juni 2017 einen Thüringer Aktionstag mit einer zentralen Veranstaltung vor dem Thüringer Landtag.
Mitteilung der GEW Thüringen am 29.03.2017
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