Mittwoch, 20. August 2014

Wir verblöden doch nicht

Gerade noch rechtzeitig vor Erreichen der kostenlosen 20-Artikel-Grenze, die man in der Internet-Ausgabe der WELT abrufen kann, erwischte ich unter dem Stichwort „Massenverblödung“ einen Artikel, in dem eingangs festgestellt wird (Zitat): „Das Wissen der Deutschen erodiert.“ (Zitatende). Und schon da frage ich mich, ob man im Zusammenhang mit genau diesem Thema eine solche Wortwahl treffen muss?Stellt sich der Autor damit nicht auf ein Podest, von dem herunter er argumentiert?

Mein eigenes Wissen etwa ist längst erodiert, wenn es um die Kenntnis und den Umgang mit einem Großteil der neuen Medien geht. Meine Kenntnisse reichen gerade soweit, wie ich die für meine Tätigkeit am Rechner benötige. Und ich sehe auch insofern recht alt aus etwa gegenüber meinen Enkeln oder Schulkindern im allgemeinen, wenn es um Kenntnisse und Begriffe geht, die den Kids heutzutage im digitalen Zeitalter und im praktischen Umgang mit der digitalen Technik geradezu selbstverständlich sind.

Und nun lese ich also, dass etwa in Neukölln etwa 40 Prozent der Jugendlichen keinen Abschluss hat. „Dabei haben wir aus unserer Geschichte gelernt, dass Dummheit tödlich sein kann“ heißt es zur Einleitung in diesem Artikel. Wobei der Autor mit Dummheit Unwissenheit und nicht etwa Mangel an Intelligenz meint .

Nun verstehe ich nicht, warum als Beleg für die Verdummung junger Menschen der Teil einer Stadt herangezogen wird, in dem bekanntlich überwiegend Einwohner mit Migrantenhintergrund wohnen. Und ich denke, sinnvoller wäre es zu untersuchen (wenn das bisher nicht schon geschehen ist), wie sich ein steigender Anteil von Migranten und deren Kinder auf die einheimischen Bewohner und deren Kinder auch in der schulischen Bildung auswirkt. Und warum. Mir scheint, hier wird wieder einmal bewusst eine Entwicklung und Situation mit negativen Auswirkungen – hier im Bildungswesen – zur Grundlage düsterer Prognosen gemacht und verallgemeinert.

Gerade berichtet „Deutschlandradio“ dass die Bundesländer einer Studie zufolge Fortschritte in ihren Bildungsangeboten gemacht haben (Auszug): „Besonders bei den Betreuungsbedingungen für Kinder und im Kampf gegen Schul- und Ausbildungsabbrüche verzeichnet der von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft vorgestellte Bildungsmonitor 2014 Verbesserungen. Außerdem wurde positiv hervorgehoben, dass Professoren mehr Geld zur Forschung bereit gestellt werde und sich das Fachkräfteangebot gebessert habe. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft bewertete im Auftrag der Initiative die Bildungspolitik der Bundesländer. Dabei schnitt Sachsen am besten ab, gefolgt von Thüringen und Bayern.“ (Ende des Auszugs). Soweit ich die Szenerie überschauen kann – als Vater dreier längst erwachsener Töchter – gibt es nicht wenige Defizite im bundesdeutschen Bildungswesen. Dass sich darüber aber „das gebildete Deutschland abschafft“, wie es im Titel des WELT-Artikels heißt, halte ich eher für die Erodierung einer seriösen Berichterstattung. Mit der die Redaktion dem Anspruch des gebildeten Deutschlands auf verantwortungsvolle Berichterstattung kaum gerecht wird.

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