Erklärung des Ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz
zur Situation im Mittleren Osten
Der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz hat
sich in Würzburg-Himmelspforten mit der aktuellen Situation im
Mittleren Osten befasst. Mit Blick auf die gegenwärtige Lage erklärt
der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz heute (25. August
2014):
„Der Irak, seit Jahrzehnten geschunden durch Diktatur, Krieg und
Bürgerkrieg, erlebt seit einigen Monaten einen neuen Tiefpunkt
seiner jüngeren Geschichte. Die Terrororganisation ISIS (seit Kurzem
auch ‚Islamischer Staat‘ genannt), die schon seit einiger Zeit
größere Gebiete in Syrien kontrolliert, hat in den zurückliegenden
Monaten etwa ein Drittel des irakischen Staatsgebietes in ihre Gewalt
gebracht und ein grenzüberschreitendes sogenanntes ‚Kalifat‘
errichtet. Die Millionenmetropole Mossul ist in ihre Hände gefallen,
ebenso andere wichtige Städte. Dabei gehen die sunnitischen
Dschihadisten mit ungeheurer Grausamkeit vor. Alle, die sich ihrer
Version des Islam nicht unterwerfen wollen, haben zu leiden –
besonders aber die religiösen Minderheiten. In der Folge von
Zwangskonversionen, Vertreibung und Mord stehen die Christen und die
kleine Glaubensgemeinschaft der Jesiden im Herrschaftsgebiet der
Terror-Milizen vor der Auslöschung. Sie versuchen, in die autonome
Kurdenregion zu fliehen, um Leib und Leben zu retten. Für die
Christen bedeuten die Einnahme von Mossul und der christlichen Stadt
Karakosch (das biblische Ninive) weitere Stationen des Martyriums,
das mit dem Bürgerkrieg nach der Invasion des Irak (2003) begann. In
den zurückliegenden Wochen hat die internationale Gemeinschaft –
vor allem die Vereinigten Staaten – erfolgreich begonnen, sich dem
mörderischen Treiben entgegenzustellen.
Gemeinsam mit Papst Franziskus und den Bischöfen im Irak fordern
wir: Der Terror muss aufgehalten werden, und die unzähligen
Vertriebenen müssen die Chance erhalten, zügig in ihre Heimat
zurückzukehren. Deshalb begrüßen wir es, dass die
Staatengemeinschaft in diesen Tagen intensiv über eine wirkungsvolle
Bekämpfung der ISIS-Terroristen berät. In Deutschland wird vor
allem über die Lieferung von Waffen an die kurdischen Kämpfer
diskutiert, die sich dem Ansturm von ISIS entgegenstellen. Dazu
möchten wir als Bischöfe festhalten: Militärische Maßnahmen, zu
denen auch die Lieferung von Waffen an eine im Konflikt befindliche
Gruppe gehört, dürfen niemals ein selbstverständliches und
unhinterfragtes Mittel der Friedens- und Sicherheitspolitik sein. Sie
können aber in bestimmten Situationen auch nicht ausgeschlossen
werden, sofern keine anderen – gewaltfreien oder gewaltärmeren –
Handlungsoptionen vorhanden sind, um die Ausrottung ganzer
Volksgruppen und massenhafte schwerste Menschenrechtsverletzungen zu
verhindern. Wir erinnern in diesem Zusammenhang an die rechtliche
Pflicht der Staaten, gegen Völkermord aktiv tätig zu werden, und
die sogenannte ‚Schutzverantwortung‘ (responsibility to
protect) zur Abwehr schlimmster, viele Menschen bedrohender
Verbrechen. Diese Maßgabe entspricht den Grundsätzen der
katholischen Lehre über den gerechten Frieden.
Die Lage im Orient wirft für viele in unserer Gesellschaft die
Frage nach der Rolle des Islam auf. Besonders verstörend wirkt es,
dass Hunderte Muslime, die in Europa gelebt haben, sich dem Kampf von
ISIS und anderen militanten oder terroristischen Organisationen
angeschlossen haben. Die deutschen Bischöfe stellen sich auch
weiterhin all jenen entgegen, die das Feindbild eines seinem Wesen
nach gewalttätigen Islam propagieren. Islam und ISIS sind nicht
dasselbe. Vielmehr tobt in der muslimischen Welt selbst ein hitziger,
manchmal erbarmungsloser und mörderischer Kampf um das rechte
Verständnis der eigenen Religion und zu Recht wird immer wieder auf
die große Zahl der Muslime hingewiesen, die Opfer dieses Konflikts
werden. Hier sind die muslimischen Religions- sowie Staatsführer in
besonderer Weise gefordert, Position zu beziehen. Dennoch: Die
überwältigende Mehrheit der friedliebenden Muslime muss sich der
Frage stellen, welche Faktoren den beängstigenden Entwicklungen in
der eigenen Religionsgemeinschaft zugrunde liegen. Nur auf Fehler,
Versäumnisse und Schuld zu verweisen, die außerhalb der islamischen
Kultur liegen, greift zu kurz.
Die Opfer der Katastrophen im Mittleren Osten brauchen
unmittelbare humanitäre Unterstützung. Dies ist nicht nur eine
Aufgabe der Staaten. Alle können zur Hilfe beitragen, dazu gehört
auch die Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen. Wir danken allen,
die bereits auf vielerlei Weise helfen und bitten die Menschen in
Deutschland, gleich welcher Religion oder Weltanschauung sie
anhängen, das Los der Bedrängten durch ihre Spende zu erleichtern.
Caritas international, das auf Not- und Katastrophenhilfe
spezialisierte Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes, sorgt
gemeinsam mit den Partnern vor Ort für eine wirksame Unterstützung
der Notleidenden.
Wir rufen die Gläubigen zum nicht nachlassenden Gebet für die
Menschen im Mittleren Osten auf. Es gilt den verfolgten und
bedrängten christlichen Glaubensgeschwistern, aber auch allen
anderen Opfern von Willkür und Gewalt. Möge der allmächtige und
barmherzige Gott in jener Weltgegend Wege des Friedens weisen, die
durch die biblische Geschichte besonders ausgezeichnet ist und in der
auch der Islam seinen Ursprung hat!“
(Mitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz am 25.08.2014)
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