Freitag, 17. Juni 2016

Die Zeit scheint nicht auf meiner Seite

Zumindest habe ich mitunter den Eindruck, dass sie mir davonläuft. Oder die Vorgänge und Ereignisse im Lande sind so inhalts- und bedeutungsvoll, dass die Medien vollauf damit beschäftigt sind, darüber zu berichten, sie zu kommentieren, oder darüber zu spekulieren. Und letzteres können sie ja wohl am besten, wenn ich auch nur an die mögliche Nachfolge des derzeitigen Bundespräsidenten oder an die Debatten über Sichere Herkunftsländer denke. Ganz abgesehen von der Europameisterschaft im Fußball und deren möglichen Ausgang.

Apropos „Sichere Herkunftsländer“: in der „Taz“ fand ich heute einen Bericht über die Verfolgung Schwuler und Lesben in Marokko, weshalb dieses Land kein Sicheres Herkunftsland werden könne.(Auszug): Der Islamismus von der Sorte des IS hasst Homosexuelle grundsätzlich. Er verabscheut alles, was offen schwul oder lesbisch oder trans* ist, und beabsichtigt, es auszulöschen. Des Täters Vater (Attentat von Orlando) gab zu Protokoll, dass sein Sohn gewiss verstört war wegen zweier sich küssender Männer, die er gesehen habe. Das sind, sozusagen, Konfrontationen, die im islamistischen Kontext Hass und Wünsche nach Vergeltung auslösen.“ (Ende des Auszugs)

Demgegenüber berichtete gerade die „Neue Osnabrücker Zeitung“ u.a. (Auszug): „...der deutsche Botschafter in Marokko, Volkmar Wenzel, beschrieb das Land als stabil und prosperierend. Der Diplomat warf der deutschen Presse vor, systematisch falsch zu berichten und die Lage zu dramatisieren. Auf einem Empfang des Euro-Mediterran-Arabischen Ländervereins (EMA) in Casablanca sagte der Diplomat Ende Mai, der einseitige und negative deutsche Blick auf das Land verbittere ihn inzwischen. "Die Kritiker interessiert die Wahrheit nicht", sagte er und nannte ein Beispiel: "Was immer auch behauptet wird: In Marokko wird nicht gefoltert." Alles andere stimme nicht. "Ich rate Ihnen dringend: Glauben Sie nicht der deutschen Presse", sagte Wenzel mit Blick auf Marokko. "Glauben Sie nicht, was im ,Spiegel' steht." (Ende des Auszugs).

Ich bin zwar weit entfernt, das Beispiel als Beweis für die „Lügenpresse“ anzuführen, tendenziös - vielfach auch widersprüchlich - ist eine Berichterstattung, wie man sie derzeit vielfach in den Medien findet, meiner Meinung nach ganz sicher.

Interessant dazu fand ich den Verlauf des Google-Talks kürzlich in Berlin, von dem u.a. Hans-Ulrich Jörges in einem Bericht daraus zitiert wird (Auszug): „Dass ein breites Meinungsspektrum nicht mehr in der Art und Weise vorhanden ist, wie vor einigen Jahren, sieht auch Hans-Ulrich Jörges so. Zwar seien die Vorwürfe der Gleichschaltung, Systemmedien, Lügenpresse schlichtweg falsch, allerdings sei Journalismus nicht frei von Verfehlungen. „Es ist etwas faul in unserer Branche“, kritisiert das Mitglied der Chefredaktion des stern. Damit gemeint ist die „schreckliche Erscheinungsform“ des „Rudeljournalismus“, den er beobachtet. Das treffe nicht nur auf Meinungen und Haltung zu, sondern auch auf das Agenda Setting. „Wir haben es mit einer veränderten Medienhierarchie zu tun.“ Es seien die Online-Medien, die mittlerweile den Takt vorgeben. Was am Morgen Top-Thema bei Spiegel Online sei, liefe am Abend „in ähnlichem Stil“ in der „Tagesschau“. Der Journalist geht mit seiner eigenen Zunft hart ins Gericht: „Wir lügen nicht – wir sind schlampig, denkfaul und ein bisschen propagandistisch.“ (Ende des Auszugs). Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang auch an Sonia Seymour Mikich, (Chefredakteurin des WDR), die in einem Bericht einräumt (Auszug): Ob Print, Radio, Fernsehen oder Online: Viele Nutzer bekritteln – nicht grundlos – den Mangel an Tiefgang, an Persönlichkeiten, an Meinungsfreude. Sie erleben intellektuelles Versagen beim Deuten großer Zusammenhänge und geringe Lust am Einmischen. Und merken an, dass Feuerwehrleute, Lehrer, Briefträger oder Ärzte höhere Vertrauenswerte vorweisen können als 'die' Journalisten. (Ende des Auszugs aus der Broschüre „Wozu noch Journalismus?“)

Nun könnte angesichts dieser Auszüge der Eindruck entstehen, ich klaube mir eine Meinung aus den Auszügen zurecht. Dem halte ich leicht entgegen, dass viele der aktuellen Vorgänge und Ereignisse so komplex und vielgestaltet sind, dass man umgekehrt eine möglichst große Zahl an Publikationen zur Kenntnis nehmen muss, um zu einer tunlichst ausgewogenen Meinung zu kommen. Wobei ich zum Beispiel aus gutem Grund auf Facebook und Twitter ganz verzichte. Und auch so habe ich schon oft das Gefühl (siehe oben), dass mir die Zeit davonläuft. Abgesehen davon, dass die Meinung, die sich mir dann aufdrängt, sehr persönlich ist und die auch ohne jeden Anspruch auf Authentizität.


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