Zumindest habe ich
mitunter den Eindruck, dass sie mir davonläuft. Oder die Vorgänge
und Ereignisse im Lande sind so inhalts- und bedeutungsvoll, dass die
Medien vollauf damit beschäftigt sind, darüber zu berichten, sie zu
kommentieren, oder darüber zu spekulieren. Und letzteres können
sie ja wohl am besten, wenn ich auch nur an die mögliche Nachfolge
des derzeitigen Bundespräsidenten oder an die Debatten über Sichere
Herkunftsländer denke. Ganz abgesehen von der Europameisterschaft im
Fußball und deren möglichen Ausgang.
Apropos „Sichere
Herkunftsländer“: in der „Taz“ fand ich heute einen Bericht
über die Verfolgung Schwuler und Lesben in Marokko, weshalb dieses
Land kein Sicheres Herkunftsland werden könne.(Auszug): Der
Islamismus von der Sorte des IS hasst Homosexuelle grundsätzlich. Er
verabscheut alles, was offen schwul oder lesbisch oder trans* ist,
und beabsichtigt, es auszulöschen. Des Täters Vater (Attentat von
Orlando) gab zu Protokoll, dass sein Sohn gewiss verstört war wegen
zweier sich küssender Männer, die er gesehen habe. Das sind,
sozusagen, Konfrontationen, die im islamistischen Kontext Hass und
Wünsche nach Vergeltung auslösen.“ (Ende des Auszugs)
Demgegenüber berichtete
gerade die „Neue Osnabrücker Zeitung“ u.a. (Auszug): „...der
deutsche Botschafter in Marokko, Volkmar Wenzel, beschrieb das Land
als stabil und prosperierend. Der Diplomat warf der deutschen Presse
vor, systematisch falsch zu berichten und die Lage zu dramatisieren.
Auf einem Empfang des Euro-Mediterran-Arabischen Ländervereins (EMA)
in Casablanca sagte der Diplomat Ende Mai, der einseitige und
negative deutsche Blick auf das Land verbittere ihn inzwischen. "Die
Kritiker interessiert die Wahrheit nicht", sagte er und nannte
ein Beispiel: "Was immer auch behauptet wird: In Marokko wird
nicht gefoltert." Alles andere stimme nicht. "Ich rate
Ihnen dringend: Glauben Sie nicht der deutschen Presse", sagte
Wenzel mit Blick auf Marokko. "Glauben Sie nicht, was im
,Spiegel' steht." (Ende des Auszugs).
Ich bin zwar weit
entfernt, das Beispiel als Beweis für die „Lügenpresse“
anzuführen, tendenziös - vielfach auch widersprüchlich - ist eine
Berichterstattung, wie man sie derzeit vielfach in den Medien findet,
meiner Meinung nach ganz sicher.
Interessant dazu fand ich
den Verlauf des Google-Talks kürzlich in Berlin, von dem u.a.
Hans-Ulrich Jörges in einem Bericht daraus zitiert wird (Auszug):
„Dass ein breites Meinungsspektrum nicht mehr in der Art und Weise
vorhanden ist, wie vor einigen Jahren, sieht auch Hans-Ulrich Jörges
so. Zwar seien die Vorwürfe der Gleichschaltung, Systemmedien,
Lügenpresse schlichtweg falsch, allerdings sei Journalismus
nicht frei von Verfehlungen. „Es ist etwas faul in unserer
Branche“, kritisiert das Mitglied der Chefredaktion des stern.
Damit gemeint ist die „schreckliche Erscheinungsform“
des „Rudeljournalismus“, den er beobachtet. Das treffe
nicht nur auf Meinungen und Haltung zu, sondern auch auf das Agenda
Setting. „Wir haben es mit einer veränderten
Medienhierarchie zu tun.“ Es seien die Online-Medien, die
mittlerweile den Takt vorgeben. Was am Morgen Top-Thema bei
Spiegel Online sei, liefe am Abend „in ähnlichem Stil“ in der
„Tagesschau“. Der Journalist geht mit seiner eigenen Zunft hart
ins Gericht: „Wir lügen nicht – wir sind schlampig,
denkfaul und ein bisschen propagandistisch.“ (Ende des Auszugs).
Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang auch an Sonia Seymour
Mikich, (Chefredakteurin des WDR), die in einem Bericht einräumt
(Auszug): Ob Print, Radio, Fernsehen oder Online: Viele Nutzer
bekritteln – nicht grundlos – den Mangel an Tiefgang, an
Persönlichkeiten, an Meinungsfreude. Sie erleben intellektuelles
Versagen beim Deuten großer Zusammenhänge und geringe Lust am
Einmischen. Und merken an, dass Feuerwehrleute, Lehrer, Briefträger
oder Ärzte höhere Vertrauenswerte vorweisen können als 'die'
Journalisten. (Ende des Auszugs aus der Broschüre „Wozu noch
Journalismus?“)
Nun könnte angesichts
dieser Auszüge der Eindruck entstehen, ich klaube mir eine Meinung
aus den Auszügen zurecht. Dem halte ich leicht entgegen, dass viele
der aktuellen Vorgänge und Ereignisse so komplex und vielgestaltet
sind, dass man umgekehrt eine möglichst große Zahl an Publikationen
zur Kenntnis nehmen muss, um zu einer tunlichst ausgewogenen Meinung
zu kommen. Wobei ich zum Beispiel aus gutem Grund auf Facebook und
Twitter ganz verzichte. Und auch so habe ich schon oft das Gefühl
(siehe oben), dass mir die Zeit davonläuft. Abgesehen davon, dass
die Meinung, die sich mir dann aufdrängt, sehr persönlich ist und
die auch ohne jeden Anspruch auf Authentizität.
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