Erzbischof Stefan Heße: „Schutzsuchenden Menschen ein Gefühl von
Heimat geben“
Anlässlich des Weltflüchtlingstages der Vereinten Nationen am 20.
Juni 2016 erinnert der Sonderbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz
für Flüchtlingsfragen, Erzbischof
Dr. Stefan Heße (Hamburg), an die Sorgen und Hoffnungen von
schutzsuchenden Menschen: „Auf ihrer Suche nach einem Leben in Freiheit,
Würde und Sicherheit machen viele Flüchtlinge schmerzhafte Erfahrungen.
Auch nach ihrer Flucht leiden sie unter traumatischen
Erlebnissen, unsicheren Zukunftsaussichten und der steten Sorge um ihre
zurückgebliebenen Angehörigen. Bei allen politischen
Auseinandersetzungen um Fragen von Flucht und Migration dürfen wir
niemals vergessen: Wer sein Heimatland verlässt, um sein Leben zu
retten, hat Anspruch auf unsere Solidarität. Das christliche Gebot der
Nächstenliebe ruft uns dazu auf, schutzbedürftigen Menschen Zuflucht zu
gewähren und ihnen ein Gefühl von Heimat zu geben. Wer an unsere Tür
klopft, hat deshalb ein Recht auf ein rechtsstaatliches,
ein faires Verfahren.“ Erzbischof Heße verweist in diesem Zusammenhang
auch auf die deutlichen Worte, die Papst Franziskus anlässlich des
katholischen
Welttags des Migranten und Flüchtlings im Januar 2016 formuliert
hat: „Die biblische Offenbarung ermutigt zur Aufnahme des Fremden und
begründet dies mit der Gewissheit, dass sich auf diese Weise die Türen
zu Gott öffnen und auf dem Antlitz des anderen
die Züge Jesu Christi erkennbar werden.“
Mit Blick auf die aktuellen Statistiken des UNHCR stellt
Erzbischof Heße fest: „Die Weltgemeinschaft darf sich nicht daran
gewöhnen, dass die Flüchtlingszahlen Jahr
für Jahr einen neuen Negativrekord erreichen.“ Insbesondere die Staaten
Europas stünden in der Pflicht, die Bekämpfung von Fluchtursachen
verstärkt in Angriff zu nehmen: „Solange Krieg und Gewalt,
menschenunwürdige Lebensverhältnisse und eklatante Verstöße
gegen die Menschenrechte in weiten Teilen Afrikas und des Mittleren
Ostens auf der Tagesordnung stehen, ist kein Ende der starken
Migrationsbewegungen in Sicht. Europa muss seinen Nachbarregionen eine
Entwicklungspartnerschaft anbieten, die diesen Namen auch
verdient!“ Ebenso wichtig sei es, den Flüchtlingen auch in den
Erstaufnahmeländern – vor allem im Libanon, der Türkei und Jordanien –
ein Leben in Würde zu ermöglichen. Erzbischof Heße wird vom 15. bis 18.
Juli 2016 Flüchtlingseinrichtungen im Libanon besuchen,
um vor Ort Einblick in die Situation zu erhalten.
In Deutschland sei im vergangen Jahr Beeindruckendes geleistet
worden, um eine Million schutzsuchender Menschen unterzubringen und mit
dem Lebensnotwendigen zu versorgen.
Auf längere Sicht seien jedoch auch die anderen Staaten Europas
gefordert, einen angemessenen Beitrag zu leisten: „Wir brauchen eine
gesamteuropäische Flüchtlingspolitik, die dem Geist der europäischen
Solidarität entspricht und die Bedürfnisse der schutzsuchenden
Menschen ins Zentrum stellt.“
Insgesamt zeigt sich Erzbischof Heße zuversichtlich, dass
Deutschland die anstehenden Herausforderungen bewältigen könne: „Unser
Land zeichnet sich nicht nur durch
eine hohe politische und wirtschaftliche Stabilität aus, sondern vor
allem auch durch seine aktive Zivilgesellschaft. Allen Schwierigkeiten
und Problemen zum Trotz: Es ist mittlerweile zur Selbstverständlichkeit
geworden, dass Menschen unterschiedlicher kultureller
und religiöser Prägungen in Deutschland gut zusammenleben.“ Die
vielerorts spontan entstandene Willkommenskultur müsse nun zu einer
längerfristigen Integrationskultur weiterentwickelt werden. „Nur wenn
Menschen sich wertgeschätzt fühlen und einer sinnvollen
Tätigkeit nachgehen können, werden sie sich erfolgreich in unsere
Gesellschaft integrieren“, führt der Sonderbeauftragte weiter aus. In
diesem Zusammenhang spiele auch die Familienzusammenführung eine
wichtige Rolle: „Ich bin überzeugt, dass Menschen sich
in einer ungewohnten Umgebung leichter zurechtfinden, wenn sie in der
Gemeinschaft ihrer Familie leben“, so Erzbischof Heße.
Mit Sorge betrachtet der Sonderbeauftragte den rauer werdenden
Tonfall im gesellschaftlichen Diskurs: „Wer Flüchtlingen ihre
Schutzbedürftigkeit abspricht und die Religionsfreiheit
für Muslime einschränken will, verrät die Werte des Grundgesetzes.“
Besonders bedrückend sei es, dass hasserfüllte Rhetorik immer häufiger
in rohe Gewalt umschlage: „2015 zählte das Bundeskriminalamt über 1.000
Übergriffe auf Asylbewerberunterkünfte. Wir dürfen
nicht länger zulassen, dass schutzsuchende Menschen inmitten unseres
Landes bedroht und angegriffen werden!“
Anlass zur Hoffnung gebe hingegen das ungebrochene Engagement der
vielen ehrenamtlichen Helfer. „Allein in den katholischen
Kirchengemeinden setzen sich über 100.000
Ehrenamtliche für die Anliegen von Flüchtlingen und Asylbewerbern ein.
Ihr unverzichtbarer Dienst zeigt Tag für Tag: Probleme löst man nicht
mit Hetze und Parolen, sondern mit tatkräftigem Engagement. Ohne die
Ehrenamtlichen wäre unser Land um einiges ärmer“,
so Erzbischof Heße.
Hintergrund
Anlässlich des 50. Jubiläums der Genfer Flüchtlingskonvention begingen die Vereinten Nationen am 20. Juni 2001 erstmals den
Weltflüchtlingstag. Auch in diesem Jahr veröffentlicht das
Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen am 20. Juni die aktuellen
Zahlen zu den weltweiten Fluchtbewegungen. Gleichzeitig startet die
Kampagne „Wir stehen zusammen #WithRefugees“, die die
Hoffnungen von Flüchtlingen in den Mittelpunkt stellt. Der katholische Welttag des Migranten und Flüchtlings
wird seit 1914 jährlich im Januar begangen. 2016 stellte Papst
Franziskus ihn unter das Motto „Migranten und Flüchtlinge sind eine
Herausforderung
– Antwort gibt das Evangelium der Barmherzigkeit“.
Bei ihrer Herbst-Vollversammlung 2015 haben die deutschen Bischöfe
das Amt des Sonderbeauftragten für Flüchtlingsfragen geschaffen und es
dem Erzbischof von Hamburg,
Dr. Stefan Heße, übertragen. Zusammen mit seinem Arbeitsstab und in
enger Abstimmung mit der Migrationskommission trägt der
Sonderbeauftragte auf überdiözesaner Ebene zu einer bedarfsgerechten
Weiterentwicklung der kirchlichen Flüchtlingshilfe bei. Auf seine
Anregung hin haben die deutschen Bischöfe bei ihrer
Frühjahrs-Vollversammlung 2016 „Leitsätze des kirchlichen Engagements
für Flüchtlinge“ beraten und beschlossen.
Angesichts der hohen Zahl von Menschen, die im Verlauf des letzten
Jahres in Deutschland Zuflucht suchten, hat die katholische Kirche ihr
Engagement für Flüchtlinge
spürbar intensiviert. So haben die 27 deutschen Bistümer und die
kirchlichen Hilfswerke im Jahr 2015 insgesamt mindestens 112 Millionen
Euro für die Flüchtlingshilfe aufgewendet: rund 71 Millionen Euro für
die Förderung von Initiativen im Inland und rund 41
Millionen für Flüchtlingsprojekte in den Krisenregionen. Zum Vergleich:
Im Jahr 2014 hatten die Bistümer und Hilfswerke insgesamt ca. 73
Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe bereitgestellt.
Hinweis:
Weitere Informationen zur kirchlichen Flüchtlingshilfe sind unter
www.fluechtlingshilfe-katholische-kirche.de
verfügbar.
Mitteilung der Deutschen Bischofskonferenz am 18.06.2016
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen