Mittwoch, 11. Juli 2012

Zu Stil und Niveau im Journalismus

 Viele Stunden habe ich heute zugebracht, um einen Eintrag zusammen zu stellen, der meine Auffassung zu diesem Thema „als Medienkonsument“, wohlgemerkt, wiedergibt. Und dann drücke ich beim Versuch, diesen Beitrag ins Netz zu stellen, aus Unachtsamkeit auf einen falschen Knopf und alles ist gelöscht. Ich werte es nicht als Menetekel, sondern als Anregung, alles nochmal zu überdenken. Und formuliere das Ergebnis.

Hatte ich bisher dieses Thema aus eigener Sicht betrachtet und eingeschätzt, sah ich jetzt mal bei Google nach, um wenigstens einen unkomplizierten Einstieg zu finden. Leicht war's nicht bei den höchst unterschiedlichen, teils auch widersprüchlichen Meinungen und Auffassungen zum Thema, die im Endeffekt nicht zu mehr Klarheit führen, sondern im Gegenteil, das Thema zur Problematik machen und zu neuen Überlegungen nötigen. Falls man ernstlich um ein Ergebnis bemüht ist.

In einem scheinen sich aber alle einig, die sich damit beschäftigen – ich stoße da immer auf Namen wie Knüwer, Niggermeier, Lobo und einige andere - die ihre Meinung als Blog ins Netz stellen: keiner sieht in Internetzeitungen einen generellen Trend oder Verlust, was Qualität und Niveau betrifft gegenüber Print-Zeitungen. Nur befassen sich die mehr mit den Machern und weniger mit den Lesern von Zeitungen.

In NERDICISM stieß ich gerade auf eine Leserinnenmeinung, die ich diesem Thema zuordnen kann. Und weil das Internet ja unendlich Platz bietet, der angeblich genutzt werden sollte, hier also ein etwas längerer Auszug aus dem Jahr 2009, aber immerhin recht aufschlussreich:

„Ich erwarte beileibe von keinem Journalisten totale Selbstlosigkeit, aber zu behaupten, es ginge bei dem Gezeter ums Internet ausschließlich um die Wahrung der Pressefreiheit und die Einhaltung journalistischer Qualitätsstandards, ist unehrlich und unwürdig. Hier wird vielmehr das angeblich so seriöse, unabhängige Medium Zeitung gnadenlos als Propagandaplattform genutzt, der nichtsahnende, vertrauensvolle Leser wird sehenden Auges verschaukelt.
Besonders dünn finde ich das Argument, Inhalte im Internet seien prinzipiell schlechter oder weniger vertrauenswürdig als solche die auf Papier gedruckt sind. Papier und Internet sind im Prinzip nur Gefäße, die jeweils mit gutem oder schlechtem Inhalt gefüllt werden können, so dass kein Medium eine grundsätzlich höhere Qualität für sich beanspruchen kann. Zudem werden zahlreiche Internetinhalte durchaus von Profis bereitgestellt. Das in den USA beliebte konservative Blog Daily Dish wird z.B. unter dem Flügel des auch im Print erscheinenden Journals Atlantic vom Konservativen und professionellen Journalisten Andrew Sullivan geführt. Es ist eines von zahlreichen Beispielen für die mittlerweile hohe Professionalität von Internetmedien. Hierbei ist auch interessant, dass es durchaus eine Menge Journalisten gibt, die bereit sind, im Internet zu publizieren, obwohl das doch angeblich keine anständige Einnahmequelle ist, vom dadurch ausgelösten Untergang des Abendlandes im Allgemeinen und Verfall der (Zahlung-) Moral im Speziellen ganz zu schweigen.
Natürlich gibt es auch schlechte Inhalte. Hier ist, genau wie bei traditionellen Presseerzeugnissen, die Medienkompetenz des Lesers gefragt. Der Leser ist ja nicht plötzlich dümmer und unkritischer, bloß weil er einen Artikel am Bildschirm statt auf Papier liest. Natürlich könnte man argumentieren, dass die Zeitung eine redaktionelle Überwachung bietet, die Qualität garantiert. Jeder, der schonmal einen miesen Artikel gelesen hat, weiß, wie gut das funktioniert. Das Denken, das hinter solch einem Argument steckt, ist aus meiner Sicht außerdem zutiefst zynisch: Wir dummen Leser brauchen demnach eine Kontrollinstanz, einen guten Onkel, der für uns entscheidet, was ein vernünftiger, für unsere schlichten Gemüter geeigneter Inhalt ist und was nicht.
Wenn man bedenkt, dass der durchschnittliche Zeitungsleser (mit Ausnahme derer einer Publikation mit vier Buchstaben, die vermutlich eh nicht durch das Internet bedroht ist), um dessen Gunst hier gerungen wird, eher gebildet und doch recht intelligent ist, wird gerade er diesen Filter am wenigsten brauchen.“ (Ende des Auszugs)
Und da fällt mir wieder Paul-Josef Raue ein, der Chefredakteur der „Thüringer Allgemeine“. Ich kenne ihn nicht und bin eigentlich erst durch jenen Brief einer Vielzahl von Redakteuren der TA auf ihn und der damit verbundenen Problematik aufmerksam geworden, die in der „taz“ ziemlich ausführlich behandelt wurde (warum nur liest man nichts mehr von den Redakteuren, die diesen Brief unterzeichneten?!) Raue also hat Zerwürfnisse bei der TA ganz allgemein bestritten, und zu seinem Konzept bei dieser Zeitung geäußert:
„. . .die Leser werden immer anspruchsvoller, wollen Qualität in ihrer Zeitung, gerade auch im Lokalteil. Sie wollen exzellent erzählte Geschichten und gut recherchierte Nachrichten, sie erwarten den gleichen Tiefgang im Lokalen wie in Berichten über Griechenland. Da wollen wir hin, dafür ist die Desk-Struktur ideal.“
Dieser Auszug ist zugestandenermaßen aus dem Zusammenhang gerissen, nachdem ja die Redakteure u.a. die sinkende Qualität der Zeitung kritisierten. Hier aber geht es lediglich um den Anspruch der Leser, den Raue sieht und ihm entsprechen will. Und darum allein geht es auch mir hier.
Zerlege ich aber nun diese Absicht Raues in einzelne Teile, bleibe ich schon bei den „exzellent erzählten Geschichten“ hängen. Er meint doch nicht etwa die „Guten-Morgen-Geschichtchen seiner Nordhäuser Lokalredakteure, die in seiner Zeit das „Stichwort“ ablösten? Und wenn ich dieses vorgebliche Bemühen, den Anspruch der Leser – die angeblich immer anspruchsvoller werden – verallgemeinere, fällt mir auf, dass in vielen Zeitungen, ganz gleich ob Print oder Internet, Stil und Orthographie zu wünschen übrig lassen, von Flüchtigkeitsfehlern ganz zu schweigen. Und entgegen der Meinung jener oben zitierten Leserin, scheint sich die Leserschaft – wie klein oder groß sie auch sein mag – inzwischen damit abgefunden zu haben (sich in das „Unabänderliche“ gefügt zu haben).
Sie haben dabei eine Art Schützenhilfe bei einem Blogger namens Thomas Knüwer, früher mal Redakteur beim Handelsblatt. In seiner „Diskretion Ehrensache“ schrieb er im Februar über „Qualitätsjournalismus am Beispiel Paul-Josef Raue und Wolf Schneider“(Wer Raue ist weiß man inzwischen. Und Wolf Schneider (Jahrgang 1925) ist ein ehemaliger Journalist, leidenschaftlicher Verfechter der deutschen Sprache und Sprachstillehrer. Was beide verbindet ist deren sachlich weitgehende Übereinstimmung von konzeptioneller Auffassung in Sachen Journalismus und der deutsche Sprache. Schneider ist Autor von mehr als zwanzig Büchern vornehmlich zu Sprache in Stil und Ausdruck. Ich besitze einige davon (z.B.„Deutsch für Kenner“ oder auch „Deutsch für Profis“) und versuche, mich an deren Inhalt zu orientieren.
Mir ist vor allem eine Passage Knüwers im Gedächtnis geblieben, die da lautet: „Ja, der Journalismus in Deutschland hat ein Problem. Doch es sind nicht die jungen Leute, es ist nicht das Internet und Social Media. Es sind die alten Herren, die sich für das journalistische Geschenk an die Menschheit halten. Die hoffen, die Veränderung der Welt aufhalten zu können, indem sie schreiben, dass sie sich nicht verändere und wenn, dann zum üblen.“ (Ende des Zitats). Und besonders aufgebracht scheint ihn zu haben das Gemeinschaftswerk Raues und Schneiders unter dem Titel „Das neue Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus“, in dem Schneider u.a. zur präzisen und informationsreichen Schreibweise mahnt.
Was mich ganz allgemein befremdet ist der Umstand, dass es Knüwer vielfach weniger um die Sache geht, sondern um die Personen, die er angreift. Und wenn es auch nur des Alters halber ist. Ich muss mir da wohl erst mal Gedanken darüber machen, inwieweit ich in meinem Alter mit dem Anspruch auf Qualität und Niveau als Konsument noch eine Rolle spiele. Auch wenn es nur um Sprache und Stil geht. Von Inhalten, Qualität und Niveau ganz zu schweigen. Sollte vielleicht auch das mit der Demografie zusammenhängen?

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